Episode #003 Proteste allenthalben – müssen wir alle ungehorsamer werden?

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„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller, die von Medienprofi Falk S. Al-Omary interviewt wird. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.
Heute sprechen wir darüber, wie stark wir uns von außen manipulieren lassen und welche Mittel und Wege es wieder zurück in die Selbstbestimmtheit gibt.

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Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Proteste allenthalben – müssen wir alle ungehorsamer werden?

Die Evolution lehrt uns, dass nur der optimal angepasste in der Natur überlebt. Doch wie angepasst müssen und dürfen wir Menschen in unserem Geist sein, damit Menschlichkeit wieder Einzug hält in Unternehmen und in unserem Verhalten? Diskutieren Sie gedanklich mit, wenn die Publizistin und Bewusstseins-Evolutionärin Annette Müller sich im philosophischen Diskurs mit ihren Gesprächspartner Gedanken zur Menschlichkeit macht und Antworten auf die dringenden Fragen der Zeit gibt.

Falk Al-Omary: Wir haben heute ein sehr spannendes Thema, das alle angeht. Die Frage lautet: Müssen wir alle ungehorsamer werden? Ich freue mich darauf.

Annette Müller: Dazu müssen wir zunächst einmal klären, was Ungehorsam üfberhaupt ist. Unsere Gesellschaft beruht auf zwei Pfeilern, von denen jeder einzelne, der darin lebt, abhängig ist. Der erste Pfeiler ist das Kommando, der andere ist der Gehorsam – also die Kontrolle. Wir haben entweder selbst die Kontrolle, oder wir werden kontrolliert. Wir haben entweder das Kommando, oder wir folgen einem Kommando. Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Ungehorsam werden kann nur derjenige, dem ein Kommando gegeben wird. Die Frage lautet also: Welches Kommando haben wir und wer hat es uns gegeben?

Al-Omary: Genau das ist die Frage. Aktuell gibt es sehr viele Proteste: gegen die Urheberrechtsreform, für den Klimaschutz, für die Enteignung großer Wohnkonzerne. Man hat den Eindruck, im Moment sind alle auf der Straße. Hinzu kommen die ganz normalen Arbeitskämpfe und die Demonstrationen kleiner partikularer Gruppen. Ich habe den Eindruck, gerade ist die ganze Gesellschaft in Aufruhr und jeder protestiert. Müssen wir also alle ungehorsamer werden? Gehen da gerade die Frustrierten auf die Straße, oder sind wir alle aufgerufen, jetzt was zu tun? Ich möchte mich dabei ein bisschen beziehen auf Stéphane Hessel, der das Buch „Empört euch“ geschrieben hat. In dieser Streitschrift macht sich Hessel gegen Finanzkapitalismus und Umweltzerstörung stark. Gleichzeitig fordert er die Leute aufgefordert, sich mehr zu empören und mehr auf die Straße zu gehen. Jetzt erleben wir genau das. Sind das alles Enttäuschte, sind das alles Frustrierte? Oder müssten wir vielleicht alle auf die Straße gehen?

Müller: Wir hatten ja in einer unserer letzten Podcast-Folgen darüber gesprochen, dass die Menschheit immer intelligenter wird. Dass die Menschen immer bewusster werden. Dass die Menschen sich nicht mehr so gängeln lassen und stattdessen zunehmend für sich denken. Dieses Aufstehen und Ungehorsamwerden, das Protestieren bedeutet ja, für sich selbst zu denken. Man muss allerdings unterscheiden, inwieweit jemand tatsächlich für sich selbst denkt und inwieweit eben auch die Proteste manipuliert sind. Wenn etwa eine Bewegung, die gerade erst ins Leben gerufen wurde, kurze Zeit später schon Abermillionen gedruckte Plakate und tausende Menschen hat, die auf die Straße gehen, kann sie im Grunde genommen nicht gesund gewachsen sein. Das muss manipuliert sein.

Al-Omary: Zumindest muss es inszeniert sein.

Müller: Inszeniert, manipuliert. Jeder, der sich einer Protestbewegung anschließt, sollte dringend danach schauen: Was genau ist das eigentlich, für das ich mich hier engagiere? Was wollen die Initiatoren bewirken und was will ich mit meinem Einsatz bewirken? Das ist ganz wichtig. Auch das ist Ungehorsam. Man sollte ganz genau nachschauen, wessen Agenda man folgt. Das ist die große Verantwortung, die jeder, der ungehorsam ist, übernehmen muss.

Al-Omary: Wir haben zurzeit drei große Protestbewegungen. Die eine richtet sich gegen die Urheberrechtsreform. Dabei denken die Menschen, es würde sich im Internet etwas für sie ändern, wenn Upload-Filter kommen. Das glaube ich auch. Das ist ein Protest, den ich verstehe, den ich auch unterstütze, weil ich eben denke, das ist ein extremer Eingriff in den Markt und in das Internet, das uns vieles an Freiheit und Mündigkeit gibt und ermöglicht. Diese Proteste kann ich ein Stück weit verstehen. Dann haben wir die Schülerproteste, „Fridays for Future“, bei denen es überhaupt kein konkretes Ziel gibt und unklar bleibt, was die konkreten Forderungen sind. Mehr über Klimaschutz diskutieren, als es ohnehin schon getan wird, kann man ja gar nicht. Zudem ist der Klimawandel nichts, das die Protestanten hierzulande selbst erleben – im Gegensatz etwa zu den Menschen auf den Malediven, wo der Meeresspiegel beständig steigt. Zudem haben wir die Mieterproteste. Mieter, die erleben, dass die Mieten so hoch sind, haben ein ganz existentielles Thema, das sie ganz konkret erleben. Das heißt, die Protestziele oder die Protestbewegungen werden teilweise immer konkreter, aber teilweise auch total abstrakt. Und hier stellt sich eben die Frage: Wieviel Ungehorsam ist sinnvoll? Und ist das überhaupt eine Art von Ungehorsam? Denn letztlich sind diese Demonstrationen ja auch politisch initiiert und nützen niemandem. Sie stehen auf der Agenda von Menschen, die davon profitieren. Parteien unterstützen das. Die Schüler werden umarmt von allen möglichen Parteivertretern. Die Linke unterstützt etwa Thema Enteignung von großen Wohnkonzernen in Berlin. Also es gibt immer eine Agenda, die dahintersteht. Ist es Politik? Ist es Manipulation? Ist das Ungehorsam? Ist das ehrlich gemeint? Ist das Aktionismus?

Müller: Das sind genau die Fragen, die sich jeder, der dabei ist, stellen muss. Das ist ganz wichtig. Im Prinzip ist der Ungehorsam sehr wichtig. Schließlich rennt niemand einfach mit der Waffe in der Hand herum und erschießt jemanden, nur, weil es ihm gesagt wird.

Al-Omary: Hierzulande nicht, aber in anderen Ländern schon.

Müller: Ja. Aber auch nur, weil die Menschen dort manipuliert sind. Dazu wird zunächst einmal Angst vor dem Fremden geschürt. Den Menschen wird weisgemacht, sie würden sich verteidigen, wenn sie jemanden ermorden. Und Verteidigung sei legitim. Viele Menschen wurden und werden auf diese Weise manipuliert und missbraucht. Auch hierzulande. Das heißt, wir haben hier gute Menschen, die etwas Gutes möchten, die aber von anderen missbraucht werden, um eine bestimmte Agenda auszuführen. Ich sehe dies zum Beispiel bei „Fridays for Future“. Es müsste nicht „Fridays for Future“ heißen, sondern „Life for Future“. Schließlich sollte das ganze Leben im Sinne von einer guten Zukunft gelebt werden und nicht nur ein Freitag. Genau das sollte in der Schule vermittelt werden. Stattdessen aber wird den Kindern dort erklärt, sie müssten ihren Abschluss mit einer bestimmten Note machen, um glücklich zu sein, Die Kinder sind bereits drin in diesem Rädchen und rennen in eine Falle. Sie verwechseln die Mittel mit dem Zweck. Eigentlich müssten die Schüler sagen: Bei diesem Schulsystem gehe ich gar nicht mehr zur Schule.

Al-Omary: Das ist natürlich eine steile These. Ich frage mich vielmehr: Wer ist eigentlich der Ungehorsame? Wenn ich mir vorstelle, dass in einer Klasse drei Viertel der Schüler freitags demonstrieren gehen. Ist dann nicht auch derjenige ungehorsam, der – weil er eine andere Meinung vertritt ­– lieber in den Physikunterricht geht, weil er glaubt, so in zehn Jahren viel mehr bewegen zu können für die Umwelt? Geht derjenige dann vielleicht trotzdem mit, weil es einen gewissen Gruppendruck gibt? Oder ist der Ungehorsame derjenige, der auf die Straße geht, weil er von irgendjemandem aufgehetzt wurde? Ungehorsam hat viele Facetten.

Müller: So ist es. Für mich ist der Ungehorsame derjenige, der sitzen bleibt in der Schule. Und nicht derjenige, der gehorsam auf die Straße geht.

Al-Omary: Also denkst du schon auch, dass diese Proteste in irgendeiner Form gelenkt sind?

Müller: Viele sind bestimmt gelenkt, ja. Vor allen Dingen, wenn sie so schnell, so organisiert und so rasant vonstatten gehen und sich über den ganzen Globus spannen in null Komma nichts. Jeder, der sich mal mit Marketing beschäftigt hat, weiß, dass das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Es sei denn, es stehen Milliarden dahinter.

Al-Omary: Inzwischen werden die protestierenden Schüler ja auch sehr stark von der Politik unterstützt. Diese erzählt uns, das sei jetzt eine neue Form von Jugendkultur, das sei die nächste Stufe von Demokratie, von demokratischer Partizipation. Die Re-Politisierung der Jugend käme wieder. So wird die Bewegung quasi glorifiziert von dem einen oder anderen Politikvertreter. Natürlich auch durchaus eigennützig im Sinne der eigenen Parteiagenda. Auf der anderen Seite gibt es den Klimawandel ja nun mal. Auch da ist die Frage: Wo ist jetzt genau der Ungehorsam? Und ist das gut so?

Müller: Also ich denke, der Ungehorsam ist genau da, wo man anfängt, sich wirklich seine eigenen Gedanken zu machen. Da, wo man nicht einfach Gedanken oder Gedankengut übernimmt. Man muss sich alle Sichtweisen anschauen: Die der Schüler, die an die gute Sache glauben, die der Politiker, die ihre Agenda verfolgen, und auch die derjenigen Menschen, die gegen diese Proteste sind. Nur so ist es möglich, sich ein eigenes Bild zu machen.

Al-Omary. Das finde ich jetzt total spannend. Wenn ich dich richtig verstehe, gibt es im Prinzip keinen größeren Mainstream, als auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Eigentlich ist Ungehorsam also etwas ganz Individuelles. Das heißt, ich frage mich selbst: Wo werde ich hier vereinnahmt und sind das wirklich meine Ziele? Dann ist ja ein Massenprotest schon per se kein Ungehorsam, weil es ja eine Masse ist. Das wiederum heißt, wir müssen stattdessen lernen, individuell ungehorsam zu werden. Wo wir dann wieder beim Thema Individualisierung versus Kollektivierung sind. Dann erscheinen die Demonstrationen ja auch in einem ganz anderen Licht.

Müller: Genau so sehe ich das auch. Und dann kann man versuchen, eben die Kontrolle über sein Leben zu übernehmen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder habe ich die Kontrolle über mein Leben, oder ich werde kontrolliert. Nehmen wir zum Beispiel die Urheberrechtsthematik. Auch das ist ein Thema der Kontrolle. Man will die Kontrolle, die man aufgegeben, die man verloren hat, unbedingt zurück. Auch das Internet ist nicht mehr ganz so frei, weil ich dort meine Meinung nicht unbegrenzt mehr sagen kann. Wie viele Sachen sind denn schon gelöscht worden, weil da ein falsches Wort drinsteht?

Al-Omary: Ja, neuerdings wird versucht, das Internet in eine Mainstream-Richtung zu bringen. Alles, was eben nicht konform ist, bekommt dann den Stempel Verschwörungstheorie, rechtsradikal oder diffamieren. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch sinnvoll, nicht jede diffamierende Meinung und jede Fake News passieren zu lassen. Auch ich bin der Meinung, dass wir Maß und Ziel verloren haben und der Kontrolle zu viel Gewicht geben.

Müller: Wer muss denn meine Gedanken kontrollieren? Wer muss denn kontrollieren, welche Nachrichten ich lesen darf und welche nicht? Ich bin doch selbst intelligent genug. Ich kann mir sagen: Das ist totaler Blödsinn, das glaube ich nicht.

Al-Omary: Dahinter steht natürlich immer auch die Frage: Wieviel Freiheit braucht der Mensch, verdient der Mensch? Mit wie viel Freiheit kann er umgehen? Ich glaube, dass die Deutschen ob ihrer Vergangenheit vorsichtiger sind und dazu neigen, viel mehr als problematisch herauszufiltern, als es andere Nationen tun. Das hat sicher auch einen guten Grund. Auf der anderen Seite ist es eben so, dass es eine wirklich komplett freie Meinungsbildung im Sinne von Ungehorsam und Mündigkeit, einschränkt. Die Frage ist: Will man das, oder will man das nicht? Es muss auch Grenzen der Meinungsfreiheit geben. Da sind wir und vom Grundgesetz her relativ klar und einig.

Müller: Für mich ist Freiheit eines der höchsten Güter überhaupt. Jeder, der arbeitet und sich ein Vermögen erwirtschaftet, möchte sich damit auch eine gewisse Art der Freiheit erhalten und erschaffen. Wer nichts hat, hat auch nichts zu tun. Das heißt, man kann weder in das eine Land noch in das andere Land. Man kann nicht das einkaufen, was man möchte. Und man kann nicht wohnen, wo man möchte. Das heißt, die Freiheit ist schon ganz, ganz wichtig. Auch die Freiheit im Denken, denn erst, wenn ich die Freiheit im Denken habe, kann ich auch Entscheidungen treffen. Deshalb finde ich jede Einschränkung der Freiheit schlimm.
Es ist wichtig, dass wir ungehorsam sind oder werden. Wir müssen uns fragen: Wem oder was gegenüber müssen wir denn ungehorsam sein? Gibt es vielleicht eine eigene innere Stimme, der wir widerstehen müssen? Wir alle haben Stimmen in uns, die uns sagen: Das ist falsch, das ist richtig. Da musst du hin. So müsstest du leben. So müsstest du dich kleiden, so müsstest du denken, so müsstest du sein. Und wenn du da ungehorsam bist, bist du falsch. Es ist wichtig, ungehorsam zu sein. Und wenn sich jemand danebenbenimmt oder eine schlechte, eine negative Meinung hat, oder wenn jemand eine Handlung begeht, die sich zum Schlechten wendet, dann müssen die Leute eben sagen: Halt, da mache ich nicht mit. An dieser Stelle bin ich ungehorsam – und Du hörst damit auf.

Al-Omary: Das heißt aber auch, dass Ungehorsamkeit eingebremst wird von der Gesellschaft.

Müller: Definitiv.

Al-Omary: Das ist für mich der Schluss daraus: Ich soll ungehorsam sein. Ich soll mir möglichst viele Informationen mir beschaffen, um auf einem reflektierten Level ungehorsam zu sein. Ungehorsamkeit fängt bei mir selbst an. Das heißt, ich muss ein paar Konventionen, die mir eingeimpft worden sind, verlassen. Darf dann auch gerne rebellieren. Muss aber auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, wenn die Gesellschaft oder andere Menschen, die auf ihre Art und Weise ungehorsam sind, auf mich einwirken und mich wieder einbremsen. Und genau darin könnte ja auch eine Entwicklung auch stecken: die Gesellschaft voranzubringen, in diesem Dissens, in diesem Diskurs, in diesem Aufeinanderprallen von Meinungen, von Standpunkten, von Lebensidentitäten.

Müller: Es sind ja nur die sogenannten Ungehorsamen, die die Gesellschaft voranbringen. Es sind nicht die Wissenschaftler, die in eingefahrenen Bahnen forschen und das, was bereits ist, bestätigen. Es sind genau die Wissenschaftler, die außerhalb der Box denken, die den nächsten Horizont anstreben, die unsere Gesellschaft voranbringen. Auch die sind ungehorsam. Sie sagen Nein. Sie denken eben nicht den Mainstream wissenschaftlich, sondern wollen mehr wissen. Und nur das bringt uns voran. Wenn wir im Eingefahrenen bleiben, wenn wir uns immer auf der gleichen Stelle bewegen, geht gar nichts voran. Da bleibt die Gesellschaft stehen.

Al-Omary: Das heißt, Ungehorsam ist entwicklungsimmanent.

Müller: Ganz, ganz wichtig – ja. Die ungehorsamsten Kinder werden diejenigen sein, die am meisten bewegen in der Zukunft. Das ist phantastisch.

Al-Omary: Aber das sind nicht die, die jetzt auf der Straße sind bei „Fridays for Future“, wie wir festgestellt haben.

Müller: Das denke ich mir auch, dass es ganz bestimmt nicht die sind, die da draußen sind, sondern die, die sich dem Peer Pressure widersetzen und sagen: Nein, ich will meinen eigenen Weg gehen und widersetze mich dem Gruppendruck.

Al-Omary: Ja, das ist spannend, denn es ist viel ungehorsamer, in der Schule sitzen zu bleiben, sich eben genau dieser Umarmung zu widersetzen, dem zu widerstehen und zu sagen: Ich möchte eben doch meine Karriere machen. Denn es ist mein Leben und ich leiste mir diese Ungehorsamkeit, weil ich wirklich etwas verändern will. Schlussendlich darf jeder seinen Weg gehen. So frei ist unsere Gesellschaft ja Gott sei Dank.

Müller: Genau. Zu dieser Umarmung wollte ich noch etwas sagen. Jetzt stehen da Leute, Kinder, die werden umarmt von bestimmten Personen. Und niemand weiß, ob er sich in zehn oder vielleicht fünfzehn Jahren für diese Umarmung in Grund und Boden schämt, weil niemand weiß, was aus dieser Person wird.

Al-Omary …und aus der Bewegung, der sie jetzt hinterherlaufen.

Müller: Zum Beispiel. Ich will nicht unbedingt diese eine Bewegung schlecht machen, ich meine das im Allgemeinen.

Al-Omary: Dass man bereut oder nicht mehr gut findet, was man vor zehn, fünfzehn Jahren gemacht hat, ist ja erst mal relativ normal. Ich will mich auch für viele Dinge, die ich vor 20 Jahren gemacht habe, in Grund und Boden schämen.

Müller: Nein. Da bin ich nicht mit einverstanden.

Al-Omary: Gut. Dann hast du viel richtig gemacht. Also ich würde viele Dinge nicht mehr sagen, nicht mehr so tun, nicht mehr so entscheiden. Ich denke, damit bin ich nicht allein. Es geht nicht darum, etwas tief zu bereuen. Aber vielleicht hätte man sich manches Foto vielleicht geschenkt. Manche Begegnung hätte man sich vielleicht gespart. Und von daher ist eben die Frage, denke da ein bisschen langfristiger. Bleibt zu hoffen, dass diese Demonstranten über diese Aktionen ihre Denkfähigkeit erweitern und etwas für ihr Leben lernen, wenn sie schon nicht in der Schule sind. Und dass sie diese rebellische Art auch umsetzen können in positive Energie für die gesamte Gesellschaft. Für alle, wie du ja schon mal gesagt hast.

Müller: Also diesen einen Tag in der Schule zu fehlen, das fände ich überhaupt nicht schlimm, weil ich ja der Meinung bin, dass die Schule sowieso das Hirn vollstopft mit Dingen, die wir eigentlich nicht brauchen, die uns eigentlich nur behindern. Und uns in ein System einfügen, in dem wir eben ein Rädchen-Dasein führen. Egal, ob wir eine führende Stelle haben. Egal, ob wir dann Unternehmer sind. Egal, ob wir Arbeitnehmer sein werden. Es macht uns auch diese Schule zu sehr gehorsamen, funktionierenden Menschen und Personen, die leicht zu steuern sind. Und das sage nicht nur ich. Das sagen andere Wissenschaftler auch. Das Hirn lernt so etwas. Das ist eben ganz wichtig. Diese ganzen Muster und die Verhaltensweisen werden da schon antrainiert. Das Gehirn ist sehr lernfähig. Aber man hat eben dadurch auch die Chance, dass später das Gehirn auch wieder umlernt.

Al-Omary: Das wäre ja schon fast wieder ein Thema für eine weitere Episode. Denn auch ich habe in der Schule erlebt, dass man zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft werden soll. Selbständigkeit spielt keine Rolle. Man wird irgendwann lohnabhängig beschäftigt sein, so ist das Gesamt-Weltbild, das uns mitgegeben wird. Mündigkeit, Rebellion, Selbständigkeit, auch wirtschaftliche Selbständigkeit, wird nicht unterrichtet, wird nicht geschult, wird den Leuten mehr oder weniger sogar abtrainiert in der Schule. Das wäre aber nochmal eine extra Folge wert, finde ich. Die Frage: Wie werden wir eigentlich indoktriniert?

Müller: Wunderbar. Das machen wir. Ich freue mich darauf.

Life for Future” oder “Friday for Future”? Um eine Veränderung zu erzielen, so Annette Müller, muss man sein Leben und nicht nur einen Tag darauf ausrichten. Wenn Sie mit ihr über diese und andere Thesen dieser Folge diskutieren wollen, sind Sie herzlich in unsere Facebook-Gruppe eingeladen. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diesen Podcast bewerten. Bis in zwei Wochen.