Episode #29 – Alles zerstört – wie gelingt der Neuanfang.



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Annette Müller: Herzlich willkommen zum heutigen Podcast Gedanken zur Menschlichkeit. Wir möchten uns heute mit einem wirklich etwas sehr emotionalen Thema auseinandersetzen. Und zwar geht es um den Neuanfang. Und zwar ist das Thema: Alles zerstört. Wie gelingt der Neuanfang? Und es ist schon sehr bewegend, Geschichten zu hören, die das derzeitige Leben schreibt, wo Menschen wirklich vor einer zerstörten Zukunft stehen. Und ich habe hier im Gespräch heute zwei Medienschwergewichte, im wahrsten Sinne des Wortes. Der erste Schwergewichtler ist der Medienprofi Falk Al-Omary, den viele von Ihnen schon kennen sowie den zweiten Medienschwergewichtler, der Medienprofi Harry Flint. Der auch ein wunderbarer Teamplayer ist.

Und wenn ich mich jetzt sozusagen in dieser Situation an diese Profis wenden würde, bin ich gespannt, was mir dort eben an Hilfestellung oder an Gedankenimpulsen gesagt wird. Zu meiner eigenen Situation jetzt im Moment. Ich bin ja nicht nur im Podcast unterwegs, sondern eben meine Hauptbeschäftigung sind Menschen und zwar analog. Die menschliche Begegnung. Diese menschliche Begegnung ist im Moment nicht so möglich. Und auch nicht im Äther, um das jetzt mal ein bisschen so auszudrücken, man könnte sich zwar schon begegnen, aber Social Distancing ist weiterhin angesagt. Man hat sich so sehr daran gewöhnt auf der Couch zu sein. Das Homeoffice geht weiter. Die Menschen kleiden sich vielleicht auch nicht mehr so nett wie vorher. Warum sollte man denn jetzt ein neues Teil kaufen, wenn man eh nur im Schlafanzug, also jetzt übertriebenermaßen, hier unterwegs sein kann? Was sich natürlich auf die Menschen, die zum Beispiel ihr Herzblut in eine wunderbare Boutique hinein investiert haben, um eben Mode in Mailand oder Paris einzukaufen und sie anzubieten, trifft. Weil das, was sie anbieten, ja keiner mehr will. Oder eben wenige Menschen wollen. Was machen die? Was machen wir, wenn wir dieses One on One oder eben auch diese Gruppendynamik im Moment nicht anbieten können, auch keinerlei Planungssicherheit haben? Geht das in Zukunft überhaupt noch einmal? Wie schaffen wir es da raus? Wie schaffen wir einen Neuanfang? Was ist dazu notwendig? Und da würde ich ganz gerne als erstes Harry Flint als Teamplayer fragen. Hast Du dir da Gedanken zu gemacht und hast Du schon Pläne oder vielleicht Ahnungen? Oder vielleicht sogar Tipps und Lösungen?

Harry Flint: Zunächst möchte ich sagen, dass ich genau wie du als Berater und auch als Speaker und Moderator direkt selbst betroffen war und auch bin. Als im Februar, März die Veranstaltungsbranche den nahezu 100 prozentigen Auftragsverlust mit sich brachte, war ich direkt persönlich betroffen und habe auch eine gehörige Summe Honorare verloren bei Veranstaltungen, auf denen ich hätte auftreten dürfen. Als das feststand, war ganz schnell die Frage zu stellen, wie kann du das alternieren? Und da hatte ich schon im Vorfeld immer im Bereich der Produktion meine Aktien ins Rennen, ins Wertpapierdepot gelegt und habe immer wieder in Technologien gedacht, habe immer überlegt, was sind die Alternativen, dass du nicht nur auf einem Umsatzkanal sitzt? Das war dann ein Vorteil, weil ich natürlich schneller diesen wieder noch weiter aktivieren konnte. Und ich konnte ganz schnell versuchen für meine Kunden, die ich da schon hatte, Alternativen auszuprägen. Und das, was dabei völlig unter den Tisch gefallen ist, ist dieses One on One. Das ist tatsächlich nur noch sehr, sehr peripher möglich. Zumal wir ja drei, vier Monate nahezu eine Reiseuntätigkeit der Großunternehmen neben dem Lockdown hatten. Und die Unternehmen ja auch die Vertreter der Unternehmen nicht mehr geschickt haben. Und selbst zu Zeiten, wo kein Lockdown also mehr war, konnten wir ja nicht mal mehr die Kunden, mit denen wir gute Beziehungen hatten, mehr persönlich treffen. Weder bei ihnen noch bei uns. Und dann war für mich und meine Situation klar, ich muss digital werden. Ich muss digital Eventkonzepte denken. Ich muss nicht nur für mich zum Erhalt meiner Präsenz, sondern für die Erhaltung der Präsenz meiner Kunden, schnell digitale Produktionsformen finden. Und habe dann tatsächlich mit meiner ganzen Tatkraft so viel gearbeitet wie noch nie in meinem Leben. In 30 Jahren Selbstständigkeit. Und habe diese digitalen Formate erstellt. 

Annette Müller: Also ich habe etwas anders reagiert. Ich habe mich erst einmal sozusagen zurückgezogen und war schockiert und auch in einer Starre. Und was ich gemacht habe, ich habe also wirklich die Zeit genutzt mit Menschen Telefonate zu führen. Also wirklich persönlich anzurufen, weil ja international vernetzt. Und normalerweise habe ich über Blogbeiträge, über Posts, kommuniziert, die dann gelesen wurden. Und hier habe ich genau den anderen Weg gewählt und habe Menschen angerufen, habe gefragt, wie es ihnen geht. Und habe gefragt, wie sieht es in deinem Land aus? Was macht deine persönliche Situation? Und das war etwas sehr, sehr Schönes. Also da ist ganz viel menschliche Nähe entstanden über diese persönlichen Telefonate. Die waren manchmal wirklich zwei Stunden lang. Und da habe ich gemerkt, dass dieses gewaltsame Auseinanderreißen und dieses Normale sozusagen, die normale Kommunikation, die ich sonst so habe, indem ich eine Information ins Netz stelle, die dann eben gelesen werden kann oder nicht gelesen wird, da kann ja jeder drauf zugreifen oder es eben nicht lesen. Dass dieses Persönliche für mich eben ganz, ganz wichtig war und mich schmerzt noch immer der Verlust des One on One. Der also bis jetzt auch nicht wiedergekommen ist. Es führte mich in eine Krise. Aus dieser Krise bin ich nicht draußen. Ich bin allerdings jetzt nicht mehr so-, ich fühle mich in dieser Krise nicht mehr so schwach, wie ich gewesen bin. Ganz am Anfang. Und stelle aber fest, dass sich viele in einer sehr starken Krise befinden, die sie emotional schwächt und deshalb auch gar nicht in der Lage sind überhaupt Auswegmöglichkeiten zu denken. Falk, du bist Krisenmanager. Ich weiß von dir, dass du, sobald eine Krise ist, du richtig Gas geben kannst. Da kannst du richtig zeigen, was du drauf hast. Was können wir denn von dir dazu hören?

Falk Al-Omary: Ja. Ich bin ja kein Krisenmanager, sondern ich mache in der Tat Krisen. Und da ist das Thema, dass Menschen einfach angegriffen werden und jetzt agieren müssen unter Feuer. Sie stehen im Kreuzfeuer, haben mehrere Akteure, die sie bekämpfen. Und müssen dann die richtigen Entscheidungen treffen, um sich und ihr Unternehmen und ihren guten Ruf zu retten. Und im Grunde ist diese Corona-Krise nicht viel anders. Da ist ein Angriff des Staates oder der Gesellschaft auf die eigene Existenz erfolgt und in irgendeiner Art und Weise musste dann reagiert werden. Und ich habe da genau wie du viele Erfahrungen gemacht. Am Anfang war der Wunsch nach Telefonaten extrem groß. Also ich war abends teilweise mit zittrigen Händen und fix und fertig. Vorher habe ich fünf Termine wahrgenommen in drei Städten an einem Tag und im Auto. Und während der Fahrt konnte ich aber entspannen, mich auf den nächsten Gesprächspartner einstellen und hatte dann einen harten Tag. Aber ich war abends irgendwie zufrieden. Jetzt, als der harte Lockdown war, hatte ich zehn, elf Telkos am Tag und fünf oder sechs Telefonate. Also einen vermeintlich persönlichen Kontakt. Und abends warst du richtig ermüdet von diesem ganzen auf den Bildschirm starren und von dieser ganzen intensiven Kommunikation. Aber der Wunsch nach Austausch war extrem groß. So. Was hat das jetzt mit Krise zu tun? Ich glaube, dass Menschen aus der Krise herauskommen, wenn sie sich mit anderen zusammentun und ihr Leid teilen. Weil die Gesprächsinhalte waren eigentlich immer auf dieser Ebene. Also klar hat man die beruflichen Dinge geklärt und hat seine Dinge erledigt. Also das mal außen vor gelassen. Aber ein Großteil war „wie geht es dir denn jetzt damit, was sind die Konsequenzen für dein Business?“ Won hast du starke Einbußen? Wie geht es mit dir weiter? Kann ich dich unterstützen? Und da war ein starker Zusammenhalt zu spüren, wo du dann merkst, du bist nicht alleine in dieser Situation. Auch nicht allein in dieser Hilflosigkeit, in diesem Ausgeliefertsein, was glaube ich viele in dieser Form gespürt haben. Und das hatte durchaus auch ein Potenzial für mehr. Also ich habe viel gelernt in diesen Gesprächen, wie Menschen umdenken. Wenn Harry sagt, er ist dann quasi neue Produkte angegangen und ist den Weg der Digitalisierung gegangen, das haben viele andere ja auch gemacht. Wieder andere haben mir gesagt, ich habe das digital probiert, gefällt mir gar nicht. Ich warte drauf, dass es wieder analog wird, weil ich mich bewusst distanzieren will von diesem ganzen digitalen Kram. Also es gibt auch eine sogenannte Rache des Analogen. Da gibt es auch ein Buch drüber. Viele haben sich durchaus neu positioniert, neu reflektiert und das ist jetzt eine Zeit. Und ich habe das in einem anderen Podcast schon erzählt, dass ich auch Dreiviertel meiner Mitarbeiter in dieser Krise ausgetauscht habe. Gar nicht mal, weil ich unbedingt diese Mitarbeiter nicht mehr wollte oder sie nicht bezahlen konnte. Sondern weil die von sich aus entschieden haben, ich möchte gerne jetzt andere Wege gehen. Und diese Reflektion, die Gespräche mit anderen haben extrem viele Brüche ausgelöst und zu einem Reset geführt. Und deswegen finde ich das spannend, dass du dieses Thema aufgreifst in dem Podcast. Weil jeder so eine Art Neuanfang spürt. Es gibt so einen gesellschaftlichen Neuanfang. Wir reden von der Post-Corona-Ära. Wir haben erlebt, wie so ein Staat plötzlich das Leben von Menschen einfach per Entscheidung komplett ändern kann. Ich denke da an einen Finanzberater, der mich eine Zeit lang begleitet hat. Der als Berater in die USA wollte. Dann kam der Lockdown, er hat seinen Job gekündigt, seine Wohnung gekündigt und konnte plötzlich nicht mehr reisen. Das sind natürlich echt harte Brüche. Die sind existenziell. Das ist ja nicht trivial. Und in Summe hat jeder irgendwo jetzt so seinen persönlichen Strauß auszufechten. Es muss was Neues her. Und das finde ich spannend, aus philosophischer Sicht, aus unternehmerischer Sicht, aus medialer Sicht zu diskutieren, weil es wirklich mehr oder weniger jeden betrifft. 

Annette Müller: Mir stellt sich die Frage, ob denn jetzt überhaupt schon die Zeit für diesen Reset gekommen? Oder sind wir noch immer in der Zeit des Rückzugs und in der Sammlung? Und in dem Überdenken über das, wie die Zukunft aussehen soll? Was für eine neue Normalität wollen wir? Also dieser Begriff neue Normalität ist ist ja schon sehr angstbesetzt und angstmachend, weil es uns sozusagen übergestülpt und aufgestülpt wird. Und da ist eben die Frage, ist es denn schon soweit? Was hast du denn für ein Gefühl, Falk?

Falk Al-Omary: Ich glaube, es ist schon so weit. Und ich glaube, es war vom ersten Tag an soweit. Weil du ja irgendwie reagieren musst. Für mich war die erste Frage, ich bin Unternehmer und ich gucke in meinen Kundenkreis, welchen Kunden trifft das denn wie hart? Ich muss ja prognostizieren, was könnte mir denn an Umsatz wegfallen. Und dann muss ich das ja irgendwie mit meinem Kontostand abgleichen und muss überlegen, wie lange kann ich das denn durchhalten, wenn der „Worst Case“ eintritt? Und was ist denn überhaupt der „Worst Case“? Und ich kenne keinen Unternehmer, der nicht genau diese Analyse in gleicher Art und Weise gemacht hat. Also Cash war plötzlich King und du warst zum Handeln gezwungen. Ja, ich war auch zwei Wochen in völliger Schockstarre. Wo du nur Nachrichten geguckt hast und eine Hiobsbotschaft nach der anderen kam. Aber ich musste relativ schnell den Schalter umlegen, weil es darum zu überleben ging. Und dazu waren im Grunde alle gezwungen. Mutti im Homeoffice war dazu gezwungen, derjenige, der Angst hat vor Infektionen war dazu gezwungen. Derjenige, der Angst um sein Unternehmen hatte, war dazu gezwungen. Und in existenzieller Not ist natürlich eine große Reflektions- und Analysephase sinnvoll, weil ich dann auch schnell ins Handeln kommen muss. Ich muss ja reagieren. Die wenigsten haben, glaube ich, so ein Polster, bezogen auf das Nervensystem, aber auch bezogen auf die Guthaben auf der Bank, dass er sich einfach mal ein Jahr auf einen Stein setzen kann und sich überlegen kann, wie es jetzt weitergeht. Handlung war schlicht angesagt und notwendig. 

Annette Müller: Dieser Reset und die Schockstarre. Ich weiß von dir, Harry, dass du eine super Unterstützung in deiner Familie gefunden hast und eben auch, glaube ich, in deiner Gemeinde, in der du ja sehr aktiv bist. Kannst du uns da ein bisschen erzählen, wie dich diese Gemeinschaft aufgefangen hat während dieser Zeit?

Harry Flint: Umfassend, sehr umfassend. Denn es war schlichtweg so, dass eine der ersten Anfragen noch, ich denke, im Spätfebruar war, dass unser Pfarrer mich anrief und sagte: „Ich habe eine spinnerte Idee. Jetzt wo wir den Lockdown für die Gottesdienste kriegen, das trifft uns als Gemeinde ja mitten ins Knochenmark. Eine Kirchengemeinde lebt ja von den Gottesdiensten, nicht nur, aber primär auch an den Gottesdienstsonntagen. Wenn die uns jetzt abschließen, wie können wir die Gemeinde erreichen? Wäre das irgendwie denkbar einen Livestream aus der Kirche zu verarbeiten?“ Und da habe ich sofort verstanden, dass das der erste Steilpass für mich war. Nicht um an der Kirche einen guten großen Umsatz zu machen, aber ich habe sofort verstanden, das ist eine riesen Challenge. Ich glaube, wir hatten nur sechs, sieben, acht, neun Zeittage, um potenziell diesen besagten ersten Sonntag zu streamen. Ich habe das Glück, einen tollen Produktionsleiter mit einem eigenen Fuhrpark da im Team zu haben. Und wir haben uns dann Gedanken gemacht, wie würde man einen Gottesdienst denn aufbereiten müssen? Und wir haben einen Fernsehgottesdienst auf die Beine gestellt, wie man ihn von den großen Fernsehanstalten am Wochenende kennt. Und mit diesem Anspruch sind wir dran gegangen. Also nicht irgendwie quick and dirty mit Smartphones und da stehen dann Kabel mitten im Raum. Sondern mit einer großen fernsehgerechten Technik, mit vier ferngesteuerten Kameras, mit viel, viel technischem Aufwand haben wir uns eine Pilotsendung, so nennen wir das in der Medienbranche, hergestellt. Aus der einen Pilotsendung wurden neun Folgen. Die haben wir dann für eine kleine Arbeitskostenerstattungsgebühr machen dürfen. Also wir haben wirklich nur einen kleinen Obolus bekommen, damit wir sagen, wir kommen nicht und bringen noch Geld mit. Und die Kirche hat uns das mit dieser Strecke von Beauftragungen durch das Presbyterium gestützt gedankt. Und am Ende haben wir gesagt, das können wir jetzt aber nicht ewig weitermachen, weil wir auch von anderen gebucht werden, die uns genau dafür erkannt haben. Dass dieser Halt, den du ansprichst, genau jetzt kam. Die Gemeinschaft hat sozusagen mir einen Auftrag erteilt. Den habe ich als Chance verstanden, in dieser Gemeinschaft Verantwortung übernehmen zu können, hat so viel bedeutet. Denn wir hatten einen Wahnsinns Zuspruch aus den Gemeindegliedern. Es waren 1200 Chatzeilen während eines Gottesdienstes, die ich beantwortet habe. Das bedeutet, die Menschen haben vor Glückseligkeit gejauchzt, dass die Kirche jetzt da war, die ihnen in dieser desaströsen Zuhausebleibphase irgendwie eine Sendung bringt, die sie gewöhnt waren. Das war ein so tolles Feedback. Wir haben Presseartikel, Dreispalter, Vierspalter, das europäische, deutsche, nationale Kirchenradio hat berichtet, der deutsche Kirchenkreis. Alle haben berichtet. Und das führte tatsächlich dann dazu, dass wir mit dieser Referenz dann andere Pressesprecher von Kommunalverwaltungen angezogen haben, die das gesehen und wahrgenommen hatten. Und so bekam ich mehrere Aufträge zum Glück für große Livestreams, dann auch gegen reguläre Marktgebühr von Kommunen, von anderen Veranstaltern, durfte jetzt große Geschichten machen. Inklusive nicht jetzt in diesem Jahr nur über 50 Ratssitzungen für eine große deutsche Ruhrgebietsstadt, über eine Millionen Einwohner leben dort, begleiten wir. Und das hat mich dann wiederum motiviert, da steckt so viel Potenzial drin, never stop. Leider mit dem Nachteil, dass ich zu viel gearbeitet habe. Ich habe wirklich rund um die Uhr gedacht und nachgedacht. Das war sehr, sehr, sehr anstrengend. Aber dieses Feedback aus dem Markt war quasi noch mehr wert als die Münze, die dann kam. Die Münze kommt jetzt. Man ist einigermaßen mehr als kostendeckend. Es ist schwierig, die gleichen Erträge zu erzielen wie früher. Keine Frage. Aber immerhin leben wir und mussten zum Glück auch keine Drittmittel beantragen. Das ist für mich auch ein riesen Effekt. Ich musste keine Kurzarbeit anmelden. Im Gegenteil. Ich habe zum 01.03 einen neuen Mitarbeiter eingestellt, zum 01.09. einen Auszubildenden angestellt. Das heißt, mein Team ist um 300 Prozent, ich hatte davor nur einen, gewachsen. Darauf bin ich auch ein bisschen stolz, dass wir nicht kaputt gegangen sind, sondern nach vorne. 

Annette Müller: Also ich höre da ganz viel Resilienz. Also ganz viel Enthusiasmus und Freude. 

Harry Flint: Vor dir sitzt ein Steinbock. Wir sind so. 

Annette Müller: Ich bin Schützin. Ich habe diesen Enthusiasmus auch. Also dieses große Glück der Gemeinschaft und etwas wirklich in diese Art und Weise verbinden zu können und die Menschlichkeit auch in diesem Auseinanderreißen und in dieser Zerstörung leben zu können. Das hatte ich jetzt zum Beispiel nicht. Ich finde das bewundernswert und ich sehe auch wirklich wieder, wie wichtig es ist, dass wir uns einander stützen, eine Stütze sind. Und zusammenhalten und eben auch auf andere Menschen zugehen und ihnen Hilfestellungen anbieten. 

Harry Flint: In dieser Vereinsamung des Lockdowns war es total wichtig und ich möchte total auf das eingehen, was du sagst, dieser Menschenkontakt, der ja so abgeschnitten schien. Ich habe ganz, ganz, ganz früh in meinem Office alles dafür getan, dass eine Begegnung wieder möglich war. Noch bevor die Menschen von irgendwelchen Corona-Wänden oder diesen Kunststoff- und Plexiglaswänden gesprochen haben, hatte ich mich bemüht da sehr viele Lösungen anzubieten. Die eben nicht nur für drei Wochen so aus Holz gezimmerten Latten mit irgendwelchen lausig reingeklebten Folien und so weiter, wie in manchen Baumärkten sogar aussieht. Nein, sondern dass das nach einer gescheiten Lösung aussieht, die auch den Mitarbeitenden bei mir intern das Gefühl gibt, ich kümmere mich um sie. Ich habe einen Mitarbeiter drei Wochen zu Hause arbeiten lassen. Das war ja auch bei uns dann mal der Versuch. Das war soweit okay. Er hatte ein bisschen Bedenken, weil seine Lebenspartnerin vielleicht zu der gefährdeten Personengruppe gehört. Das war okay für mich. Aber es hat sich gezeigt, ihm und vor allen Dingen uns hat er gefehlt. Wir wollten ihn wieder zurückhaben. Weil der persönliche Kontakt, das bestätigt. Auch ein Mitarbeiterteam ist so wichtig für uns gewesen, dass wir als kleine Einheit mit so einem Druck auf dem Kessel, wir mussten uns täglich sehen. Wir wollten gemeinsam was entwickeln. Und dann kamen auch schon per Mai und Juni die ersten Kunden vereinzelt zu uns ins Büro und haben sich bei uns, wir haben einen TV-Studio aufgebaut, zu Aufnahmen eingefunden. Das haben wir Corona safe gestaltet. Und damit war klar, wir sind da, wir leben noch, wir haben Glück gehabt, dass wir keine negativen Tests hatten. Oder positiven Tests muss es ja heißen, wenn jemand infiziert ist. Und durften, konnten auch ohne Quarantäne durchkommen durch die gesamte Zeit bis jetzt. Klopf, klopf. Aber das hat auch den Markt, unseren Kunden Vertrauen gegeben, dass die Seminare, Workshops bei uns in kleinen Gruppen von ein, zwei, drei Personen stattfinden konnten. Und damit sind wir von diesem sogenannten Lockdown, wo man sich überhaupt nicht mehr sieht seit einem halben Jahr, der die Verunsicherung mitbringt, ziemlich weit entfernt. Und so gesehen hat dieser Lockdown, das hört sich fast schon schizophren an, für mich so, wie er beschrieben sein kann, gar nicht stattgefunden, weil ich ihn so, wie er beschrieben wird, gar nicht an mich und mein Unternehmen rangelassen habe. Das klingt ein bisschen wie eine Schutzbehauptung, aber vielleicht war das die Resilienz, die du ansprichst, dass ich so eine eigene Teflonbeschichtung angelegt hatte. Das war mein Schutzmantel. Ich lasse das Ding gar nicht so an mich ran. Ich gehe da mit Augenmaß um. Und gehe daraus sogar gestärkt hervor, weil ich zu denen gehören werde, die wissen, wie man sich wehrt gegen das Schicksal.

Annette Müller: Innere Stärke, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Vertrauen in das Leben, weniger Hoffnung, sondern einfach nur machen und schauen, dass man da rauskommt. Und vor allen Dingen nicht aufgeben. Ganz wichtig, nicht aufgeben. 

Falk Al-Omary: Ich würde gerne einen Aspekt ergänzen. Die Überschrift ist ja eigentlich bei dir mit dem Austausch und bei dir mit der Reaktion darauf, Harry, eher, dass es dieses Thema ist. Der Titel ist ja, wie kann man aus der Krise wieder rauskommen, ist im Grunde das Thema voneinander lernen. Also am Ende haben wir in diesen Telefonaten also ein Mitgefühl mitgeschwungen im Sinne von ich bin nicht alleine in dieser Situation. Man konnte sich austauschen, konnte sich daran hochziehen. Das ist jetzt nicht irgendwie mein eigenes Schicksal und das ist nicht gottgegeben, sondern es geht anderen auch so und ich kann da was machen. Und die Frage ist, was kann man gemeinsam machen? Und man hat unheimlich viel, ich sage bewusst auch man, betrifft mich, aber ich habe es von vielen anderen auch gehört, voneinander lernen. Wenn Harry sagt, er hat in der Kirche was gemacht und dann kam die Empfehlung, weil es eine Referenz war und dann hat er plötzlich ganz viele Aufträge bekommen. Bei mir war es im Grunde dann ähnlich. Ich habe ja neben meiner PR-Beratung auch noch einen Verlag. Und plötzlich hatten viele Leute auch das Interesse, jetzt habe ich ja Zeit, jetzt kann ich Bücher schreiben. Das ging dann auch ab. Wo Leute dann gesagt haben, ich muss jetzt auch irgendwie schreiben. Ich habe jetzt Zeit zu schreiben, ich kann nicht reisen. Ich reflektiere viel. Das kann ich doch im Grunde gleich zu Papier bringen und in ein Buch ummünzen. Und so sind dann auch viele neue Gedanken entstanden. Und wurde wahnsinnig viel publiziert. Und man hat sich eben gegenseitig empfohlen, man hat viel in Netzwerken gedacht. Und es ist eben dieses voneinander lernen. Und ich habe viele Dinge automatisiert, die dann reingekommen sind. Wie kriegst du jetzt die große Nachfrage nach Büchern geregelt? Das hat bei uns Prozesse optimiert, wo ich sage, wir werden am Ende der Krise ein besseres Unternehmen sein. Und das gilt für Harry auch. Also ich glaube, die Krise war für viele auch sehr heilsam. Und die Mitarbeiter, die mich verlassen haben, werden für sich ja auch reflektiert haben, dass sie irgendetwas in ihrem Leben ändern müssen. Irgendwas hat ja nicht gestimmt. Sei es abhängig arbeiten, sei es mit den Leuten zusammenarbeiten. Und das beziehe ich gar nicht auf mich, sondern das ist halt eben dann die Zeit. Man hat voneinander gelernt. Und ich habe eben auch gemerkt, der erste Mitarbeiter ging. Der hatte gute Gründe, weil er sich an einem großen Unternehmen beteiligt hat. Und das war logisch und spontan. Der nächste sagte, kann ich auch mal drüber nachdenken. Und so betrifft die Infektion nicht nur das Virus. Die Infektion betrifft auch den Wunsch nach Veränderung. Und den Wunsch nach umdenken. Und das ist auch hochinfektiös. Und diese Art Infektion hat negative Effekte. Ich stand plötzlich mit kleinerem Team da. Aber es hat auch positive Effekte, weil ich in vielen Bereichen ein besserer Unternehmer geworden und ein besseres Unternehmen geworden bin. Und wir müssen beide Seiten sehen. Wir können diese Pandemie nicht nur verteufeln. Ich finde das ganz schlimm. Ich habe in vielen Episoden deines Podcasts dazu sehr, sehr klare Meinungen getroffen. Wir müssen das Positive doch im Grunde auch sehen, dass wir eine größere Veränderungsbereitschaft jetzt erleben, die Menschen irgendwo reifer gemacht hat. Also wir sind irgendwie so ein bisschen erwachsener geworden auf eine Art und Weise. Und gerne auch resilienter, um das Wort noch mal aufzunehmen. 

Harry Flint: Die Resilienz und dieses Besserwerden ist echt ein Aspekt, voneinander gelernt zu haben ist unabdingbar. Was haben wir alles heute schon zu verkaufen, was ich vor einem halben Jahr nicht mal buchstabieren konnte. Und ich wünsche all den Menschen, die Angst vor diesen Lernmassen haben, dass sie den Mut finden, sich diesen Gebirgen voller Neuwissen zu stellen. Das ist ja für viele unglaublich herausfordernd. Wenn du nicht digital zugegen warst zunächst, dich diesen ganzen neuen Aspekten zu stellen. Das ist ein Gebirge, da musst du erst mal drüber kommen bei Wind, Wetter und kalten Temperaturen. So ging das auch uns. Wer sagen würde, wir haben das mit Leichtigkeit getan, überhaupt nicht. Wir haben tagelang, tagelang an Dingen komplexer Art gewerkelt. Ob das, ihr wisst es alle, eine Webex, eine Zoom, eine Einbindung, eine Teams, egal was, war. Oder dann die Einbindung in eine komplexe Softwarelandschaft, die mobile App zur Aufschaltung in etwas. Das war so viel Fragenvolumen unterwegs, wo du auch niemanden fragen konntest, weil die kompetenten so schnell so ausgebucht waren, dass die natürlich auf Monate hin voll gebucht waren. Und wir wollten auch zu denen gehören, die man für ihren Wissensstatus kauft. Und das ist mittlerweile zum Glück der Fall. Man gibt uns halt Bestechungsgeld für unser Wissen. 

Annette Müller: Ich hier gerne eine Frage ich in den Raum stellen. Ist der Ausweg oder der Neuanfang wirklich ausschließlich digital möglich? Weil ich gesehen und gemerkt habe, dass ich in dieser Zeit so unglaublich viele digitale Angebote bekommen habe. Ich bin ja förmlich überhäuft worden mit digitalen Angeboten. Ich konnte das zum Schluss gar nicht mehr sehen. Da bin ich richtig wütend geworden und habe gesagt: Nein, ich möchte Menschen treffen. Ja, ich möchte dieses Digitale nicht. Lasst mich damit jetzt endlich in Ruhe. Und deshalb habe ich persönlich auch nichts Digitales angeboten, weil ich mir dachte, jetzt noch was Digitales obendrauf, wo wir doch sowieso schon unter einem Tsunami sozusagen dahingeschwemmt werden. Und wissen nicht, an welchem Ufer kommen wir raus. Harry. 

Harry Flint: Ich glaube, die Welt wird nicht nur digital sein. Auch nicht kurzfristig. Ich glaube, sie muss hybrid sein. Ich sagte ja eben, dass es sofort wichtig war, schnell wieder Menschen in unser Büro einladen zu können. Aber ich bin auch zu den Firmen, die mich gelassen haben. Viele haben uns nicht gelassen. Die hatten ein ganz klares Einreiseverbot. Da bin ich dann hingefahren. Und was du mit deinen Telefonaten gemacht hast ist richtig. Den persönlichen Kontakt aufrechtzuerhalten war unmittelbar und alternativlos. Der hybride Event, dieses grässliche Wort, diese Zusammenführung von offline Eventformen, wie sie bisher waren, und online Eventabteilungen, wie sie in Zukunft wichtig werden, wird der neue Standard sein. Das ist so, als wenn man vor zehn Jahren Mobilfunk geleugnet hätte. Das musste kommen. Es wird Hybridevents geben und es wird keine offline Veranstaltung mehr geben, die nicht nur mit einer banalen Webseite und einem Matchmakingtool agieren muss. Sie muss Mehrwerte online bieten, sie muss das digitale Treffen oben drauf ermöglichen. Und sie muss vor allen Dingen dadurch Mehrwerte generieren gegenüber anderen offline Plattformen. Sonst wird sie obsolet sein. Sie wird vom Markt verschwinden müssen. Weil andere klügere Formate genau das abbilden. Und solange es diese Avatare, diese 3D-Hologrammfiguren nicht gibt, die wir von Raumschiff Enterprise kennen, wo ich mich persönlich ins Bild beamen kann. Auch die Technologie als Hologrammtechnik gibt es ja technisch bereits. Wenn das demnächst der Fall sein wird, dass du da virtuell erscheinst und du quasi 3D-gescannt im Raum vor mir stehst, dann habe ich dich persönlich, aber nie offline vor mir. Deswegen wird das nie aussterben. 

Annette Müller: Ich finde den Gedanken persönlich als Hologramm zu erscheinen wirklich sehr spannend. Aber trotzdem, die Wärme, die man ausstrahlt und auch den Geruch, den man mitnimmt und dieses Charisma, was man dann eben auch herüberbringt, das kann ja ein Hologramm gar nicht leisten.

Falk Al-Omary: Ich würde gerne schon auf die Frage auch antworten. Geht es nur digital? Also ist der Ausweg nur digital? Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Ich glaube, der Ausweg liegt in einem selbst. Also ich habe mit genügend Menschen gesprochen, die ähnlich wie du reagiert haben. Ey, ich habe jetzt echt keinen Bock mehr. Das 28. Webinar und die fünfte online Konferenz. Ich möchte das nicht und ich mache das auch nicht. Und jetzt muss man aber auch differenzieren. Also ich kann natürlich klar sagen, ich nehme daran nicht teil, ich bleibe in der analogen Welt. Es wird genügend Menschen geben, die auch analog unterwegs sind. Genauso wie ich auch mit Füller schreibe und nicht in einem Meeting mit dem Laptop rumtippere. Auch das gibt es und es gibt Menschen, die werden so unterwegs sein und die werden auch in einer Nische überleben, die größer ist als irgendwie so ein kleines Mikrobiotop. Und dann gibt es ja zwei Welten von digital. Das sehr moderne Digitale, was Harry eben beschrieben hat, mit hybride Events, mit Möglichkeit für Begegnung, mit eigenen Chatrooms, wo man Gruppenarbeiten machen kann und wo man das Erlebnis online fast wie offline, mit Ausnahme eben dann von Körpergeruch und von den ganzen Nebendingen, die so ein Event mit sich bringt, gestaltet. Die meisten, und davon bist du, glaube ich, so genervt und davon sind viele genervt, die meisten digitalen Reaktionen waren aber nicht so intelligent, wie die, die Harry beschreibt. Die meisten digitalen Reaktionen waren aus der Not geboren und unreif nach dem Prinzip, meinen Scheißdreck gibt es jetzt auch online. Und das ist, das habe ich ganz viel erlebt, nach dem Motto, hey, meine Speakerbühne ist weg. Dann rede ich halt per Zoom. Und das ist halt nicht cool. Das ist nicht überdacht, das ist aus der Not heraus geboren. Das ist eine schlechte Kopie. Und deswegen, glaube ich, sind wir auch so genervt. Digitalisierung ist ja nicht schlecht. Aber sie wird verdammt schlecht umgesetzt von vielen. Und das bringt dann den Nervfaktor mit, den du beschreibst und den viele zum Anlass nehmen zu sagen, nee, ich werde jetzt noch analoger. Ich habe keinen Bock auf den Mist hier. 

Harry Flint: Zumal viele einfach nur andere nachäffen kann man fast sagen. Der eine macht Zoom, der nächste macht Zoom. Und dann zahlt man den Zoom 14 Euro im Monat. Sorry, Zoom, dass ich das über dich sage, aber es ist so. Und dann wird dein Logo in ein Drittel Bildschirmbreite unten eingeblendet, obwohl ich Geld für dich bezahle. Und die Menschen verstehen nicht mal, dass sie, obwohl sie bezahlen, ein Company-Branding mit rausschicken, was als Werbung deklariert sein muss auf Facebook. Damit haben sie automatisch gegen Datenwettbewerbsrichtlinien verstoßen. Und auf der nächsten Seite fördern sie das Unternehmen, das sie eigentlich bezahlt haben, dass sie White Label kriegen. Mehr dazu in meinem Buch Diagnose Medien.

Annette Müller: Das ist ja sehr interessant. Das war mir komplett unbekannt, dass das so ist. 

Harry Flint: Ja, das ist leider Unwissenheit, die man naiv nicht beachtet. Und dann gebe ich dir wiederum Recht. Wenn die Menschen, die besser ihren Unsinn zu Hause verzapfen oder auf der Bühne, dass die bitte nicht auch noch die Datenkanäle verstopfen, weil dann wird es nervig für die, die guten Content haben. Niemand weiß, was guter Content ist. Das ist immer eine persönliche Einschätzung. Aber es gab natürlich auch Datenleitungsprobleme, weil die Welt online versucht hat, ihren Quatsch zu streamen. Und das hat nun mal die Leitung überstrapaziert. Das war echt anstrengend.

Annette Müller: Gut. Noch mal zur Frage zurück. Wie kommen wir da wieder raus? Also wie gelingt uns ein Neuanfang? 

Harry Flint: Im menschlichen Miteinander. Ich glaube, dass der Wert der Erfahrungen anderer Menschen, egal wie stark ich die integriere, lehrreich ist. Also ich habe auch viel Quatsch gehört in dieser Zeit, wo ich sage, das war jetzt irgendwie nicht so bereichernd. Aber überall steckt ja ein positiver Gedanke drin. Zuhören, lernen, das Beste mitnehmen. Das für sich selbst in seinem eigenen Wertesystem adaptieren und zum Produkt machen. Das ist das eine. Das zweite ist, im Grunde eine klare Analyse zu fahren, wo will ich eigentlich wirklich hin –unternehmerisch und persönlich. Und dann auch den Mut zu haben zur Veränderung. Also im Moment, wenn du dich in einer normalen Zeit veränderst, dann sagen sie alle, du Spinner, wie kann man das nur riskieren, wie kann man das nur machen? Das Verständnis für radikale Entscheidungen wird nie wieder so groß sein wie in dieser Zeit. Und da glaube ich, kann man sich jetzt relativ entspannt zurücklehnen und auch auf Unterstützung seines Umfeldes hoffen. Viel mehr als sonst. Und das dritte ist eine klare Analyse auch zu machen, wie weit trägt mich eigentlich mein Finanzbestand, wie weit kann mich mein soziales Netz tragen? Was habe ich eigentlich an Kapital auf der Guthabenseite? Und das ist ökonomisches Kapital, das ist finanzielles Kapital, das ist soziales Kapital. Das ist auch philosophisches Kapital, intellektuelles Kapital. Ich meine das wirklich im aller weitesten Sinne. Wie weit kann mich mein Kapital tragen und wohin? Und da muss man schonungslos analysieren. Und da werden viele merken, eigentlich reicht mein Kapital und mein Vermögen, also auch das im weitesten Sinne, relativ weit. Ich könnte jetzt etwas wagen. 

Annette Müller: Ich möchte gerne ein bisschen was über meine Situation erzählen. Und zwar stehe ich jetzt vor der Frage, stoße ich Kosten ab? Also permanente Kosten, die ja in der Vergangenheit zum Umsatz beigetragen haben. Oder aber finanziere ich diese Kosten weiter in der Hoffnung, dass sie mir in Zukunft wieder Umsatz bringen? 

Harry Flint: Ja, die Frage habe ich mir ja auch natürlich gestellt. Und die Reaktion der meisten war ja, alles, was ich nicht unbedingt bezahlen muss, wo ich einen Vertrag habe, der mich jetzt knebelt, muss weg. Alle Kosten reduzieren. Ich habe sehr früh einen Facebookpost gemacht, wo ich klar gesagt habe, ich möchte diesen Weg nicht gehen. Klar reflektiere ich Ausgaben und wenn es mich nicht weiterbringt, muss ich es in Frage stellen. Aber dieses blinde Kosten reduzieren ist ja eigentlich nichts anderes als eine Philosophie des rette sich wer kann. Weil irgendeinem fehlt das Geld ja im System. Und ich habe sehr früh gepostet, ich möchte diesen Weg nicht gehen. Ich möchte alle meine Geschäftspartner durch die Krise bringen. Und ich habe meinen Kunden ein 90 Tage Zahlungsziel angeboten, weil ich das auch konnte. A, mache ich Factoring und B, hatte ich ein kleines Finanzpolster. Ich habe Verträge reduziert, wenn es notwendig war, weil die Kunden eben nicht in diesem Maße mehr konnten. Und ich habe in dieser Zeit auch keinen Kunden verloren. Da muss man eben Wege finden. Und mir war das wichtig, dass man da gemeinsam durchgeht, dass man eine gewisse Loyalität und Fairness walten lässt. Denn wenn jeder jedem alle Kosten kürzt, dann werden Leute hinten runterfallen. Das wird ohnehin passieren und ich halte es auch für falsch, dass man jetzt keine Insolvenz anmelden muss. Es gibt Unternehmen, die verdienen es nicht am Markt zu sein. Die haben Fehlentscheidungen getroffen. Also Corona kann auch nicht die Entschuldigung für alles sein, was ökonomisch jetzt zum Versagen geführt hat. Aber am Ende des Tages soll meinetwegen keiner in die Knie gehen. Deswegen habe ich viele Kosten aufrechterhalten. Und ich war sehr verärgert, dass andere, mit denen ich gesprochen habe, im Sinne von längeres Zahlungsziel oder wollen wir das irgendwie reduzieren, können wir das irgendwie fortsetzen auf einem anderen Level, habe ich große Intoleranz erlebt. Also ich hatte mich ein bisschen als Exot gefühlt – im Sinne von ich versuche hier irgendwie alle durchzubringen und das irgendwie zu retten und die Strukturen zu erhalten. Und andere haben dieses rette sich wer kann gemacht. Deswegen habe ich da eine sehr klare Meinung zu. Mich hat das in Teilen sehr frustriert, wie jeder nur an sich denkt und an seine eigene Liquidität. Aber sich dann nachher über fehlende Dienstleister und gebrochene Lieferketten beschwert. Das passt nicht zusammen. 

Annette Müller: Also wenn ich mir meine Motivation anschaue, was ist meine Motivation Entscheidungen zu treffen. Dann habe ich also wirklich – dieses rette sich wer kann entsteht aus der Angst heraus. Und zwar aus der Angst heraus, dieses Geld zu verlieren, was mir unter Umständen, wenn alles schlecht läuft, nicht mehr zurückkommt und mir auch in meinem Unternehmen nicht mehr in Zukunft die Basis bietet, um eben Umsatz damit zu generieren. Auf der anderen Seite stelle ich in Frage, behalte ich das, dann habe ich im Gegensatz zu dieser Angst, rette sich wer kann, eine Hoffnung. Diese Hoffnung und das Wunschdenken, dass die Dinge hoffentlich wieder so normal werden wie es in der alten und unserer gewohnten Normalität war. Und das ist ja ein Wunschdenken. Wie schaffe ich es da jetzt wirklich einen so klaren Geist zu bekommen, dass meine Emotion mich nicht in eine Fehlentscheidung steuert? Harry, hast du dazu irgendetwas zu sagen? 

Harry Flint: Ich habe mindestens 50 Fehlentscheidungen getroffen in den letzten sechs Monaten, die elementar waren. Ich habe aber, glaube ich, 500 richtige Entscheidungen parallel getroffen. Anders kann ich mir das nicht erklären. Ich habe die Chance also genommen, ich habe es riskiert 550 Entscheidungen zu wagen. So. Das ist jetzt eine Naturellfrage. Mein Naturell ist es, mit meinem Leben proaktiv umzugehen. Ich möchte den Ball spielen, der vor mir liegt. Ich warte nicht, bis ein Pass zu mir kommt, sondern versuche den Ball ins Spiel zu bringen. Ich verstehe die Menschen, die das von ihrem Naturell eher nicht tun, sondern eher den Ball gespielt haben möchten mit Ansage, welche Position sie spielen. Vielleicht hat das digitale Wandelbild und dieser Neuanfang jetzt erfordert, dass man mal die Leader, diese typischen Führungsspieler im Markt schnell gebraucht hat. Es haben sich sehr viele auch als Scheinführungsspieler herausgestellt. Die waren schnell vorne, mit der Kapitänsbinde sind die auf den Platz, wie damals in der Grundschule. Ich weiß noch im Gymnasium, wenn Fußball-AG war, waren immer die guten Spieler zuerst weg gewählt. Dann war immer der gleiche Mannschaftskapitäntypus vorne. Solche gab es. Die haben laut gerufen, aber haben es am Ende nicht umsetzen können. So hatte es dann wieder Chancen für die ruhigeren Spielertypen, die aus der zweiten Reihe kamen. Und ich glaube, diese Chance ist nie vorbei. Wer also jetzt in dieser Halbjahresphase nicht zum Zuge kam, wird immer seine Chance finden. Er hatte ja Zeit genug den Markt zu beobachten, zu gucken, was macht das mit ihm. Er konnte Zeit nutzen Resilienz aufzubauen. Auf der anderen Seite ist es so, dass viele schlichtweg geschlafen haben. Und ich mache das Beispiel an dem Thema Einzelhandel fest. Das wird landesweit gegen das große A aus Amerika nicht nur hergezogen, es wird alles, was das große A mit dem Smile darunter tut dämonisiert und als das große Gespenst und das innenstadtsterbliche Monster definiert. Super. Nur was lernt ihr denn? Was haben die denn gemacht, damit die euch überhaupt so schnell die Butter vom Brot nehmen konnten? Wieso habt denn ihr nicht Teile davon als Learning begriffen und Teile davon wie sie es gemacht haben adaptiert? Wieso habt ihr nicht die online Werbegemeinschaften gebildet? Wieso habt ihr nicht digitale Wege gefunden? Wieso habt ihr nicht die Sofortverfügbarkeit am gleichen Tag mit Lieferdiensten eingeführt? Das gab es nur in der Apothekenwelt. Da macht das die Apotheke seit 20 Jahren. Wieso habt ihr das nicht adaptiert? Wieso nutzt ihr nicht das, was euch ein großes M aus USA seit 30 Jahren mit einem Drive-in macht? Wieso gehen die Bäcker nicht hin und machen Drive-in-Bäcker? Wieso machen nicht Kioske Drive-in-Kiosk? Wieso macht ihr nicht diese Modelle in Teilen nach, wenn die doch so nachweislich weltweit funktionieren? Und zurück zum Einzelhandel. Wenn dieses große A das große Gespenst ist, warum nehmt ihr dann jetzt in meinem Bundesland – ich sitze in Düsseldorf – warum gab es jetzt die NRW-Einzelhandelsförderung, ein Förderprogramm für 12.000 Euro bare Förderung mit einer 90-prozentigen Förderquote, also quasi knapp 11.000 Euro kriegt ein Einzelhändler Zuwendung bar ausgezahlt. Wenn er ein Digitalisierungsprojekt anstrebt mit einem professionellen Dienstleister. Webseite, CRM-System, digitale Überwachungskamera, Webshop machen, E-Commerce-Lösungen machen, was auch immer. Also genau die Antwort auf Amazon zu gehen. Von in meiner Stadt 168 Einzelhändlern, die ich registriert kenne, haben weniger wie eine Hand voll den Antrag überhaupt gestellt. Und das macht deutlich, dass du auch was tun musst, die Bequemlichkeit muss raus. Und erzählt mir nicht, ihr hattet in sechs Monaten keine Zeit. Ihr hattet nämlich in der ganzen Ladenöffnungszeit da gesessen und hättet die Zeit gehabt. Ich bin da ein bisschen frötzelig. Ich bin da offensiv. Aber ich habe kein Verständnis für diejenigen, die jetzt an allen sich auslassen statt hätten handeln können. 

Falk Al-Omary: Da ist auch ganz viel Wahrheit dran. Ich war auch extrem schockiert. Nicht nur von dem Lockdown, sondern zwei Tage war der Lockdown und dann las ich die ersten Facebookposts. Ich kann meine nächste Miete nicht bezahlen, ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Von Leuten, die am Markt eine riesen Fresse hatten vorher. Top-Speaker, Top-Event, bester Berater, x-fach ausgezeichnet. Die haben alle eine riesen Welle gemacht und sich teilweise vor ihren Ferraris ablichten lassen. Und haben dann mitzuteilen, dass sie die nächste Miete nicht bezahlen können. 

Annette Müller: Naja, ich meine, wenn ich einen Ferrari finanzieren muss, habe ich kein Geld mehr für die Miete. Ist doch klar.

Falk Al-Omary: Das ist durchaus nachvollziehbar. Aber es zeigt eben auch, viele denken eben nur von zwölf bis Mittag. Und die, die von zwölf bis Mittag schon vor Corona gedacht haben, die hat es eben jetzt während dieser Phase hinweggefegt. Also nicht jedes Scheitern ist auch unverdient. Und das Scheitern eines Menschen macht eben Platz für andere Menschen, die die Dinge dann besser machen. Also wenn wir sagen, Wege aus der Krise, dann sage ich auch, die Chancen waren noch nie so groß wie jetzt. Denn wenn etwas zerstört wird, muss etwas neu aufgebaut werden. Und nicht jeder, der gescheitert ist, ist jetzt ein Corona-Opfer. Da sind extrem viele Menschen kaputt gegangen aus eigenen Fehlentscheidungen, aus mangelnder Vorsorge, aus mangelnder Intelligenz heraus, die natürlich jetzt beschleunigt kaputt gegangen sind. Aber das ist dann auch nicht unverdient. Das nennt man Markt. Corona hat nicht den Markt verändert. Er hat viele Marktprozesse nur radikal beschleunigt. 

Annette Müller: Das hört sich für mich etwas sarkastisch an. Und vielleicht auch unmenschlich, weil ich diese Krise eher als etwas empfinde, was wir uns nicht hätten vorstellen können. Das ist ungefähr so, wie die Gallier sagen: Solange uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt, ist alles in Ordnung. Und hier ist global uns allen der Himmel auf den Kopf gefallen. Du bist nicht meiner Meinung. Okay.

Falk Al-Omary: Doch, deiner Meinung bin ich schon, was die Gallier angeht. Und auch was den Himmel auf den Kopf fallen angeht. Aber natürlich konnte keiner Corona ahnen. Meine Aussage ist nicht die, du hättest doch wissen müssen, dass Corona kommt. Mach gefälligst Vorsorge. Aber ich kann doch von einem Unternehmer erwarten, dass er Rücklagen für einige Monate schafft. Also dass es irgendwie einen Zusammenbruch des Finanzsystems oder der Wirtschaft hätte geben können und dass das irgendwie in der Luft lag, ist doch klar. Wenn es nicht Corona gewesen wäre, dann wären es in 18 Monaten die nächste Eurokrise oder die Finanzkrise gewesen. Dass irgendetwas kommt oder dass überhaupt etwas kommen kann, egal was dieses etwas ist, das muss ich doch in meinen strategischen Plänen zumindest mal gedacht haben. Ob das dann Corona heißt, ist erst mal völlig zweitrangig. 

Annette Müller: Mein Weg, mein ganz persönlicher Weg, mein Weg zum Unternehmen, zur Unternehmerin war, jeglichen Euro, der reingekommen ist, nicht zu verfressen sozusagen, sondern wirklich wieder in mein Unternehmen zu investieren. Das heißt, ich war immer diejenige, die zuletzt kam. Das heißt also, ich habe in mein Unternehmen investiert, mit null angefangen, krank angefangen und habe ein wirklich, für meine Begriffe, großes wunderbares florierendes Unternehmen aufgebaut, was international tätig geworden ist. Jetzt natürlich kein großes M und kein großes und kein A mit einem Smiley. Sondern das, was ich als Einzelperson leisten konnte, habe ich geleistet. Und da habe ich auch nicht irgendwie Reserven aufgebaut, weil ich wusste, ich möchte expandieren und da bilden mir diese Reserven Kapital. Und das heißt, was bringt mir diese Reserve, wenn ich sie parken muss und könnte sie aber investieren, um so viel mehr Umsatz zu genieren. Also habe ich das auch gemacht. Also da möchte ich dem also widersprechen. Wenn ich jetzt in einer Situation bin, gerade kurz vor dieser Krise, die über uns hinein gebrochen ist, nicht am Anfang meines Unternehmens gewesen zu sein und kein großes Kapital gebildet zu haben, dann ist das für mich nicht meine Schuld. Sondern es ist das Risiko, was ich eingegangen bin. Dann habe ich alles verloren, weil es dann eben auf diese Weise nicht weitergeht. 

Harry Flint: Da ist ein Stück weit Wahrheit dran, weil natürlich die Unternehmer die Blöden sind, die sich so verhalten haben, wie es die Gesellschaft wollte. Die Zinsen sind auf niedrigem Niveau und weitgehend unter null. Das heißt, wir hatten 2019 ja ein extrem starkes Jahr. Ich kenne viele Unternehmerkollegen, die mir gesagt haben, ich hatte noch nie ein so gutes Jahr wie 2019. Was machst du, um möglichst wenig Steuern zu zahlen? Die Steuerlast ist ja extrem hoch. Du gibst Geld aus und investierst. Und du investierst auch gerne mehr als nötig, weil das Geld war ja billig. Man möchte ja mit den niedrigen Zinsen Investitionen fördern. Das heißt, du hast viel Geld gehabt, hast dieses Geld reinvestiert, hast überinvestiert in Form von Schulden, weil die Zinsen günstig waren. Du hast dich kaufmännisch sehr klug und sehr richtig verhalten in einer Wachstumsphase zu investieren und zu expandieren. Und du hast bewusst das gemacht, was Banken wollen, was der Staat auch und die Volkswirtschaft will. Du hast investiert über Kredit. Du hast im Grunde alles richtig gemacht und hast dann natürlich keine Reserven mehr und bist jetzt der Dumme, weil Corona kam. Insofern, diese Ungerechtigkeit teile ich. Auf der anderen Seite sehe ich extrem viel Unvernunft, wo Leute schlicht nicht investiert, sondern über ihre Verhältnisse gelebt haben. Und auch das gehört ja zur Wahrheit dazu, dass die dann auch ein Stück weit bestraft werden, weil irgendeine Krise kommt halt eben immer. Ich kann das ökonomisch gut begründen und ich glaube, dass viele nicht zu Unrecht jetzt Probleme haben. Am Ende ist es halt die Summe von Fehlentscheidungen. Was nicht heißt, dass ich mangelnde Empathie habe. Ich kenne viele, die unverschuldet in Not geraten sind. Nehmen wir mal so Schauspieler. Die haben immer von der Hand in den Mund gelebt, gerade auch so Kunst- und Kulturschaffende. Die haben nie viel Geld verdient. Die haben andere Menschen glücklich gemacht. Die können echt nichts dafür und die hatten auch nie ein Einkommen, was ihnen hätte riesige Rücklagen hätte sichern können. Auch die gibt es und auch die verdienen unseren Respekt. Und das muss schon auch deutlich sein und für die ist ein Neuanfang wirklich schwer. Weil die leben schon ihre Passion und haben wahnsinnig viel Freude an dem, was sie beruflich tun. Dass man jetzt irgendwo mit online Gesang ein live Erlebnis wiederherstellen kann, halte ich auch nicht für so einfach. Und das Startkapital für einen Neuanfang ist auch nicht da. Also da gibt es viele, viele, die, glaube ich, jetzt Starthilfe brauchen. Das ist aber auch nicht originär eine staatliche Aufgabe, sondern das ist dann auch eine Aufgabe von gemeinschaftlicher, gesellschaftlicher Solidarität. Obwohl dieses Wort gar nicht so zu mir passt. 

Annette Müller: Ja. Also dieser Gedanke ist auch wunderschön. Also was ich jetzt zum Beispiel auch mache ist, ich fördere einen Familienzirkus, der bei mir auf dem Festival regelmäßig aufgetreten ist. Und dem wirklich sämtliche Einnahmen weggebrochen sind. Und die nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Haustiere, wunderbaren Tiere ernähren müssen. 

Falk Al-Omary: Ich finde, mehr Geld ausgeben ist auch ein Akt der Solidarität. Ich war noch nie so viel essen wie in den letzten Wochen und Monaten. 

Harry Flint: Ein Akt der Menschlichkeit.

Annette Müller: Ein Akt der Menschlichkeit. Ja. 

Falk Al-Omary: Wisst ihr was? Zur Menschlichkeit gehört auch der innere Wandel, die Bereitschaft sich zu verändern. Ich habe vor einem halben Jahr ganz wenig von dem gemacht, was ich heute zu 100 Prozent meiner Zeit tue. Ich will nicht sagen, ich habe das noch nie gemacht. Aber quasi kaum. Ich habe vor fünf Jahren eine komplette Geschäftswandlung durchgemacht. Ich glaube, das gehört auch zum Unternehmertum, zu der Beantwortung der Frage, wenn alles zerstört ist, wie gelingt ein Neuanfang. Dann musst du dein Geschäftsmodell, du musst deinen eigenen Marktauftritt, überdenken. Das ist die DNA. Das ist die Ursprungskette jeden unternehmerischen Handelns. Du musst das tun, was du auch verkaufen kannst. Nicht nur, was dich glücklich macht. Im Idealfall schaffst du beides zugleich. Aber was macht dich denn bitte glücklich, was du nicht verkaufen kannst? Ergo mach doch das, was du verkaufen kannst, dann wirst du auch schon glücklich werden. Glaub es mir. Das hängt direkt zusammen. Und das ist die Thematik, die Falk sagte, Künstler machen tolle Kunst. Die machen schöne Formen, schöne Gestaltungen. Aber wenn sie nicht das erste Mal selber in den Genuss von einer teuer bezahlen Grafik, Skulptur oder künstlerischen Schaffenskraft kommen, ist das alles nie so befriedigend, wie wenn sie endlich ein Produkt finden, was sie verkaufen können. Und das ist dieser Aufruf an alle, bitte seid bereit zum Wandel. Dann gibt es auch die Möglichkeit zum Neuanfang. Und wenn nicht in der Krise investiert werden soll, wenn die Aktienkurse unten sind, wann denn dann? Wenn du investierst, wenn alle wieder im Boom sind, kommst du zu spät, weil dann sind die starken wieder oben und vor dir. Du musst eigentlich jetzt investieren, wo du Nischen besetzen kannst. Guck doch genau hin. Wo sind denn Nischen? Wo machen andere nicht den Dienst am Kunden, den du vermisst? Und dann geh doch da rein. Fass den Mut. Ich hätte jetzt fast gesagt ruf mich an, ich helfe dir. Ich meine das so als Motivation. Und ich finde, was du hier mit deinem Podcast machst, ruft eigentlich auch auf zum Mut machen und zur Menschlichkeit. Die vielen Gedanken, die wir hier tauschen zur Menschlichkeit, geben auch mir Mut, dass das, was ich da versuche zu tun, von einer richtigen Richtung geprägt ist. Danke also.

Annette Müller: Wunderbar. Das ist ein Stichwort, was wir vielleicht unseren Hörern mitgeben können. Wenn wir schon nicht wissen, in welche Richtung es gehen wird und wir auch noch nicht wissen, wie wir neu anfangen, dann können wir doch mindestens einander Mut machen. 

Harry Flint: Das definitiv. Und was Harry gesagt hat, finde ich richtig. Es gilt aber nicht nur für Geschäftsmodelle. Es gilt auch für Lebensmodelle. Also die Stadt wechseln, möglicherweise aus einer Partnerschaft ausbrechen, all das ist es eben genauso. Das, was Harry eben für Unternehmer sagt und Geschäftsmodelle, gilt für jeden im Leben. Und deswegen finde ich, dass Wandel menschlich ist. Menschlicheres als Wandel, menschlicheres als Brüche, menschlicheres als panische Reaktionen auf eine Krise, aber dann eben doch das rationale Entscheiden, gibt es nicht. Und diese Krise hat etwas zutiefst Menschliches. Und jeder hat die Wahl zu entscheiden, ob er das negativ macht und das Negativste jetzt nach außen kehrt. Oder das Positive nach außen kehrt. Wir werden beide beides haben. Diese Dialektik steckt in uns Menschen. Aber etwas Menschlicheres als diese extreme Herausforderung, die unser Leben umkrempelt, kann es gar nicht geben. Und deswegen liegst Du mit deinem Podcast und dem Thema genau im Trend der Zeit.

Annette Müller: Das heißt, Kopf oben halten, die Hoffnung nicht aufgeben, sich selbst Mut machen, anderen Menschen Mut machen. Und ich glaube, das ist eine schöne, positive Note, um jetzt hier den Podcast zu beenden. Und um euch beide zu verabschieden. Vielen lieben Dank, Harry Flint. Vielen lieben Dank, Falk Al-Omary. Und ich freue mich auf eine nächste Begegnung. Und wir freuen uns und ich freue mich, wenn Sie dann wieder dabei sind und einschalten. Bis dann, auf Wiederhören. 

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