Episode #37 Du sollst nicht lügen. Aber warum eigentlich nicht?

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Du sollst nicht lügen“ – warum eigentlich nicht?

Du sollst nicht lügen“, wird uns schon im Kindesalter eingebläut. Aber warum eigentlich nicht? Im Gespräch mit Harry Flint, Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur link instinct, geht Annette Müller dieser Frage in ihrem aktuellen Podcast auf den Grund.

Annette Müller: Herzlichen Willkommen beim Podcast „Gedanken zur Menschlichkeit“. Ich freue mich sehr, dass Sie wieder zugeschaltet sind und auf das nächste Thema gespannt sind, hoffe ich zumindest. Es ist ein Thema, das ich wirklich herausfordernd finde, weil es ja mit die Grundlage unserer Gesellschaft ist. Und zwar ist dieses Thema der Befehl oder der Hinweis, wie wir uns zu verhalten zu haben: Du sollst nicht lügen. Im Raum steht die Frage: Warum eigentlich nicht? Und Gesprächspartner ist Harry Flint. Harry, herzlich willkommen zu diesem Podcast mit dem Thema: „Du sollst nicht lügen – warum eigentlich nicht?“ Harry, sei bitte so gut und stell dich kurz vor.

Harry Flint: Danke, dass ich da sein kann. Guten Tag zusammen. Ich bin Harry Flint, ich bin Gründer und Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur und kümmere mich um die Lügen der Menschheit.

Müller: Ja, wir klären als erstes Mal hier den Begriff „Lüge“. Das ist ja das Gegenteil von „Wahrheit“. Würdest du das auch so sehen oder würdest du das anders sehen, in der Kommunikation?

Flint: Lüge begegnet uns täglich, sekündlich. In der Kommunikation ist vieles eine einzige Lüge. Ein Produktversprechen ist eigentlich eine Lüge. So war das früher: „Es wäscht reiner als rein“, „es verlängert dein Leben“, „es macht dich glücklich“. Das sind alles Behauptungen, die jeder Überprüfung nicht standhalten können. Damit sind sie wissenschaftlich überlegt eigentlich eine Lüge.

Müller: Ja, es heißt ja dann: Ach, hör da gar nicht hin oder schau da gar nicht hin, das ist ja sowieso nur Werbung. Und da weiß man ja schon, da wird uns was vorgemacht, das stimmt ja überhaupt nicht, aber ohne das können wir gar nicht leben. Das heißt unser Leben ist ja auf etwas aufgebaut, was gar nicht existiert. Und deshalb ist dieser Hinweis oder dieser Ratschlag, du sollst nicht lügen, eigentlich ganz gut gemeint auf den ersten Blick, weil es uns daran erinnert, dass wir ein wahrhaftiges und aufrichtiges und authentisches Leben leben sollten, was eben nicht auf Illusion basiert.

Flint: Die Illusion ist unser aller Antrieb, oder? Jeder hat Visionen, jeder tritt für was an, jeder wird mal geboren und hat sofort, ob er will oder möchte, eine Welt, die er mit seinen Augen sieht. Das ist eigentlich sein Bild der Wahrnehmung, denn seine Sinne, die des Sehens, die des Hörens, die des Sprechens kombiniert er ja zu seiner Wahrnehmung. Und das, was er sieht, ist manchmal davon geprägt, was er als Mensch sehen kann, sehen möchte und sehen wird. Und damit belügt sich jeder Mensch von Geburt an ein bisschen selbst, weil man schaut ja dahin, was einem gefällt. Und manchmal gar nicht ganz extra in die Richtung, wohin man schauen könnte, was vielleicht ehrlicher wäre.

Müller: Wenn du sagst, von Geburt an belügt sich der Mensch unter Umständen selbst, das ist ja so das in der kindlichen Entwicklung die Lüge oder die Fähigkeit zu lügen eine ganz hohe Qualität an Intelligenz erstmal darstellt. Das heißt also die Fähigkeit zu lügen wird bei Kindern auch geschult und ausgeprägt und ist auch ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt. Also ein kleines Kind, das wirst du sofort beim Lügen erwischen, weil es eben mit dem schokoladenverschmierten Mund dir sagt: „Nein, das war ich nicht, ich habe nicht die Schokolade gegessen“. Und dann später, wenn es ein Jahr älter ist, wird es erkennen: Oh, damit man mir glaubt, muss ich ja den Mund erstmal wieder sauber wischen. Da gehört ja sehr viel Intelligenz und sehr viel Reife und Wachstum dazu.

Flint: Und das wird dann – mit 16, 18 Jahren – mit: „Ich habe nicht geraucht, Mama“, abgerundet. Als ich morgens um fünf Uhr diese verranzte Jacke über den Stuhl schmiss, die diese ganze verranzte Bude vernebelte. Und natürlich habe ich noch nie geraucht, ich habe auch noch nie gepafft und noch nie hat jemand sich vielleicht mal einen Joint geraucht. Und das ist so, dass das Verharmlosen von Unrechtbarkeiten von Beginn an eine große Rolle spielt im Leben, du sagst das. Ich glaube schon, wenn man Kinder beobachtet im Kindergarten, dann mag man ihnen gar nicht die Lüge als ein dreistes Verhalten nachweisen. Das liegt wohl in der Natur der Sache, dass der Mensch Sachen ausprobiert und Dinge versucht zu erreichen, indem er Dinge überzeichnet. Und wenn du diesem Kind, bleiben wir bei der Metapher Kind, nicht Einhalt gebietest, in dem was Recht ist, dann wird das Kind auch lange, lange weiter Dinge tun. Es wird bis zum Kindergarten, Schulalter an der Kasse quengeln, um sich die oder die Form der Süßigkeit zu ergaunern. Das ist ja eigentlich eine Art Lüge, die Mama so zu beeinflussen, dass es in den Einkaufswagen gerät, mit „Mama, aber der Kevin wird heute Mittag auf jeden Fall was mitbringen und ich habe nie was mitzubringen. Ich brauche jetzt auch mal fünf von diesen Riegeln, dass ich mal was mitbringen kann.“ Es hört sich verrückt an, aber die Lüge gehört wahrscheinlich zum Leben.

Müller: Da kommen wir dann zur Frage, warum eigentlich nicht? Also wenn ich jetzt hier den Advokat des Teufels spielen möchte und möchte aus diesem moralischen Urteil heraustreten und sagen, ich bin jetzt für die Lüge, in diese Rolle möchte ich jetzt mal schlüpfen, dann möchte ich die Position vertreten, dass du ohne Lügen überhaupt nicht im Geringsten vorankommen kannst, sondern, dass du nur dann erfolgreich wirst und ein gutes Leben lebst, wenn du gelernt hast, wirklich perfekt und wohlgefällig zu lügen, anderen wohlgefällig zu sein. Im Prinzip ist ja schon auch das Schreiben guter Noten eine Lüge, weil das Thema interessiert dich überhaupt nicht, aber du weißt, du musst es tun, damit du dann in die nächste Klasse versetzt wirst und das ist ja unauthentisch. Das entspricht ja nicht dem, was du wirklich willst, das entspricht ja nicht deiner Wahrheit. Also sobald du deiner eigenen Wahrheit nicht nachkommst, lebst du eine Lüge. Und nicht nur dir selbst gegenüber, sondern anderen auch, weil das Lob, das du dir erarbeiten möchtest, ist nicht authentisch, sondern es ist wohlgefällig anderen Menschen gegenüber. Sowas nennt man dann schleimen, oder?

Flint: Das kommt leider auch von Anfang an vor. Menschen, die sehr aufrichtig sind und ich möchte eine Lanze brechen für die, die diese streitbaren Aussagen, die ich da tätige, nicht für sich entdecken. Es gibt ganz viele ganz ehrliche Menschen, die eigentlich das Wort Lüge gar nicht mögen und nicht lügen werden. Sie werden niemals das Falsche bewusst sagen, um es jetzt mal im Wortgewicht der Lüge zu sehen. Das ist auch ein ganz großes charakterliches Bild, das jemand die Wahrheit sagt als Gegenteil, wie du sagst, zur Lüge. Das ist auch ein ganz, ganz wichtiges Gut, was die Basis wiederrum ist, was wir in der Kindheit auch erlernen. Denn die Eltern wollen irgendwann das Gefühl haben, mit 12, 13, mit 15, mit 18 Jahren, dass sie ihrem Kind vertrauen können. „Bist du heute Nacht alleine nach Hause gekommen oder bist du, wie wir es dir aufgetragen haben, mit drei Freundinnen zusammengekommen, damit du sicher warst?“ „Bist du zu dem Mann da ins Auto gestiegen, ja oder nein?“ Dann wird selbst die korrekteste Person, das Mädchen, das Schüchterne, potenziell, ob sie will oder nicht, sich in Schutz nehmen, sie wird vielleicht drucksen, sie wird drumherum sprechen, weil sie vielleicht doch den Fehler begangen hat, zu ihm einzusteigen. Und ja, du hast gerade was gesagt, ein Stück weit wird sie sich auch rausmogeln aus der Situation, wenn sie nicht die Eltern anlügt, dass sie bei dem mitgefahren ist, belügt sie vielleicht sich selbst.

Müller: Und da haben wir wahrscheinlich den Grund, warum wir nicht lügen sollten, weil eine Lüge das Vertrauen zerstört. Und das Vertrauen ist ja nun mal ein Fundament des menschlichen Zusammenlebens, denn wenn wir das nicht hätten, würden wir ja ständig in absoluter, ununterbrochener Angst leben müssen vor dem anderen, vor den anderen, vor unseren Mitmenschen, weil wir ihnen nicht im geringsten vertrauen. Und dieser Vertrauensvorschuss, den wir ja sozusagen in die Wiege gelegt bekommen haben, der uns als Menschen ausmacht anderen Menschen gegenüber, der ist ja auch der Grund dafür, warum Lügner uns über den Tisch ziehen können. Weil wir im ersten Moment den Menschen immer alles glauben, was sie sagen. Du lernst jemanden kennen und der sagt: „Hallo, ich heiße Max Mustermann, ich bin Arzt, ich bin Professor, ich bin Doktor“. Und dann hinterher siehst du: Aha, das war ja nur ein Hochstapler. Und das nicht nur in der menschlichen Begegnung zwischen zwei Personen, sondern wir haben das ja auch ganz oft in der Gesellschaft, in der Politik, dass sich eben Leute mit Titeln und Berufen schmücken, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben. Wobei wir nun wieder herausfinden müssen und abwägen müssen, was ist da jetzt die Wirklichkeit? Ist diese Wirklichkeit ein Diplom, was diesen Menschen dann zum Arzt macht, oder ist es das Können dieses Menschen, andere Menschen zu therapieren, heilen zu können, was ihn tatsächlich zu einem Arzt machen würde?

Flint: Wo finden wir das nicht? Es gibt die aberkannten Doktor-Titel nicht nur in der Politik, es gibt die Aussagen von Menschen, sie haben das oder das getan, um das oder das erreicht zu haben. Wir merken eigentlich bei der Steuererklärung jedes Jahr, dass wir hin- und hergerissen sind, deklarieren wir das oder das? Genau genommen legt jeder doch gerne die Sache für sich selbst aus. Und was macht er eigentlich dann? Passt zum Titel des Podcasts. Überzogen gesprochen belügt er erst sich, danach das System und spekuliert darauf, dass das nicht zu arg geahndet wird oder dass diese kleine Lüge vor den zum Beispiel Kilometer-Angaben, Wohnort, Arbeitsort oder dem Deklarieren des Arbeitszimmers, der Betriebsausgabe, wie auch immer, in der Ahndung weniger teuer wird als hätte ich es nicht versucht. Und das ist auch ein Kalkül, das der Mensch in die Wiege gelegt bekommen hat. Wenn das in der Kindheit eben beginnt mit diesem Kalkül, diesen Schokoriegel gegessen zu haben, ohne, dass Mama es hätte erkennen dürfen, dann die Zigarette später, dann geht es darum „warst du mit den Jungs wieder trinken heute Nacht, Schatz?“ „Nein, wir waren-, ich war mit Mike Billiard spielen.“ „Du warst doch wieder trinken?“ „Nein, ich habe nichts getrunken.“ „Du bist doch wieder gefahren und hattest getrunken?“ Und dann geht es immer in dieses Risiko, wie viel kann ich noch als Wahrheit verkaufen, wie viel kann ich verdrucksen, damit ich nicht lüge, also wörtlich genommen lüge, damit ich nicht falsch aussage, und wie viel davon kann ich verantworten, dass ich in der Situation bestehe? Und die Person, die die Frage stellt, ob er wieder mit den Jungs einen trinken war, ist dann die, die Frage gestellt gekriegt hat: „Hast du wieder das vierte Mal Handcreme aufgelegt heute?“ „Nein, wieso? Was hat jetzt Handcreme damit zu tun?“ Diese gegenseitige Herausforderung, dass eine Aussage mit Gewichtung Wahrheit bleibt, das treibt einen genau genommen um. Wenn man das mal im Leben genau schaut, ganz viele Aussagen im Laufe eines Tages sind gewichtete Wahrheiten und haben immer in bestimmten Teilen die Vorstufe, als Lüge entlarvt zu werden.

Müller: Oder sie dienen als Ablenkung von einer Wahrheit, die man nicht zeigen möchte.

Flint: Ich habe davon viele Ablenkungen. Ich belüge mich jeden Tag selber mit meiner Nahrung, jeden Tag darf es noch ein Haribo sein und das ist natürlich das Letzte für diese Woche. Und ich habe ja auch gesagt: Nein, ich habe mir auf der Dienstfahrt keine Haribos, auf der langen Fahrt auf der A3 gekauft, natürlich nicht. Es war ja dieses Mal die andere Marke. Das waren keine Haribos, was weiß ich, also die nicht. Aber, dass es die anderen waren – die habe ich mir ja selbst unterschlagen, die Information, damit ich mir selbst ein gutes Gewissen einspreche, weil ich selber gegen den heiligen Geist da nicht ankomme, der mich bestimmt, der mir sagt: Du brauchst das, damit du Autofahren kannst.

Müller: Naja, das ist doch kein Wunder. Das liegt ja in deinem Namen, Harry Bo, oder? (lachend)

Flint: Hans Riegel aus Bonn, der hat mal was erfunden, was mich mein Leben lang begleitet. Auf jeden Fall: Meine ausgewiesene Lüge heißt Haribo. Und jeder, der mich gut kennt, weiß, dass das so ist. Und ich bin sogar Lakritz-Freund, Leute. Und die einzige Lüge, die ich vertrete neben Haribo ist, dass ich die Katjes-Katzen so gerne habe. Hat mit dem Thema kaum was zu tun, ist auch nicht von Belang, aber ich will zugeben, dass ich in vielen Teilen und Sequenzen meines Lebens zwangsläufig irgendwann irgendwie zum Lügner geworden bin, ich überzeichne das echt mal so hart, obwohl ich echt gläubig bin. Ich lebe trotzdem nach den zehn Geboten als gläubiger Evangele.

Müller: Und die Motivation von uns allen zu lügen oder Notlügen zu äußern? Was ist die Motivation?

Flint: Eine gefährliche. Wer einmal angefangen hat, diese leichte Lüge zu nutzen, die zu dehnen, der wird das öfter tun und der wird auch das Risiko erlangen, die weiter auszudehnen und für sich zu interpretieren. Das wird so sein. Es gibt Menschen, das glaube ich, die werden nie im Leben ever lügen. Ich kenne da einige Menschen, die das vertreten und auch authentisch leben. Niemals könnte ich was Falsches sagen, da würde ich rot werden, da würde ich stottern, das könnte ich nicht. Und diese Ethik in deren Wertegefügen ist echt anzuerkennen, da gibt es überhaupt keine Kritik. Die Art der Lüge, die sie tätigen, ist ganz woanders zu suchen, wie wir gerade versuchen rauszuarbeiten. Die wird ganz woanders liegen, in dem Sinne, dass sie nicht wörtlich lügen, Unwahrheiten sagen, sondern lügen an sich selbst verbreiten, weil sie vielleicht an sich selber nicht herabgeschaut haben, Dinge richtig bewertet haben, zum Beispiel ihren Lebensweg ehrlich gegangen sind. Denn du hast vorhin mal was gesagt: Um auch dem Arbeitgeber zu gefallen macht man Dinge oft so, dass man diese Stelle, diese Arbeit, diesen Posten, diese soziale Anerkennung bekommt und nicht, weil man diese Arbeit gerne tut. Nein, man nutzt es aus, an diese Stelle oder an diese Arbeit zu geraten, weil einem das auf der persönlichen Leiter des beruflichen Werdeganges nützlich erscheint. Dann wird man auch Wege gehen, die einen ins Kalkül ziehen, die einem eigentlich gar nicht wirklich gefallen. Und damit ist es unter diesem Versuch der heutigen Episode eine kleine Lebenslüge und da werden auch die bravsten der Wahrheiten-Sager nicht vor gefeilt sein.

Müller: Warum sollten wir denn nicht lügen? Also warum eigentlich nicht? Ich nehme jetzt wieder die Position pro Lüge ein, es ist doch viel einfacher, wenn ich lüge. Ist doch ganz easy, ich komme doch viel, viel besser durchs Leben, wenn ich lüge. Und außerdem möchten die Menschen doch belogen werden. Wenn ich die Menschen nicht belüge, dann sind die Menschen doch unglücklich. Wir haben hier Täter-Opfer-Umkehrung. Also ich bin als Lügner der Täter, aber im Prinzip will doch das Opfer, dass ich es anlüge, weil keiner möchte hören: Du schaust heute aber überhaupt nicht gut aus. Sondern du sagst: Ja, das steht dir ganz gut. Oder wenn du zum Beispiel zu jemanden gehst und sagst: „Du, hör mal. Du hast Mundgeruch, darf ich dir das sagen?“ Dann ist der vielleicht beleidigt, weil du ihn darauf ansprichst. Er könnte ja etwas ändern, wenn er es denn weiß. Vielleicht weiß er es ja nicht. Ja. Und insofern werden wir ja auch zu einer Lüge, das heißt Höflichkeit, erzogen.

Flint: Lüge versus Höflichkeit, ja. Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie du das geschildert hast, wo einem das begegnet. Dass man Höflichkeitsfloskeln von Schulzeiten an gelehrt kriegt. Ich bin kaufmännisch gelernt, da ist der förmliche Geschäftsbrief „Sehr geehrte Damen und Herren“, früher „Hochachtungsvoll“, dann „Mit freundlichen Grüßen“, das ist heute sowas von unnötig geworden, weil auch das Umgehen mit Menschen auf viel weniger diese Höflichkeiten wert legt. Heutzutage bist du in viel mehr „Hallo“, „Dear“ in Englisch, mit „Kind regards“ ist schon einigermaßen höflich im Englischen, im Niederländischen heißt es „Beste“, das sind so brave Floskelierungen, die uns dabei helfen sollen, eine Situation amtlich richtig zu begehen. Oft mögen wir die gar nicht. Und der Witz ist, immer dann, wenn wir jemanden –ist dir das schon mal aufgefallen – überhaupt nicht mehr wertschätzen, „Sehr geehrter Herr“, wenn man es ernst nimmt, wenn das juristische Schreiben kommt, dann werden diese formellen Floskelierungen eher wieder angenommen. Ich hatte mal einen Fall in meiner Firma, in der Bewertung via Arbeitszeugnis. Diese schizophrene Verdeutlichung dieses „Er hat sich im vollsten Maße für uns eingesetzt“ oder „sie hat es zur vollsten Zufriedenheit übernommen“ als Schulnote eins oder zwei zu bewerten, verglichen zu „er war stets bemüht“, Note vier bis fünf. Das ist eine Verhöflichung der Frage, meint aber eigentlich nicht ehrlich: Er hatte es nicht drauf. Sie hat es nicht vermocht, ihr war es nicht möglich. Und das ist auch eine Form von Arbeitszeugnis-Lüge, die ich gar nicht so gerne mag. Da geht der Mensch im Glauben, dass er gut war in diesem Arbeitsumfeld und nimmt dieses Zeugnis, um damit woanders vorzusprechen. Also geh in Frieden und geh mit dem Zeugnis, aber eigentlich gaukelt das dem neuen Arbeitgeber potenziell etwas vor. Nur um der Frieden Willen habe ich das gute Zeugnis geschrieben, ich meinte es aber zu keiner Sekunde so und der neue Arbeitgeber stellte diese Person unter Voraussetzungen ein, die unehrlich sind. Da waren schon zwei mit der Lüge drin, der Ausstellende und der das Zeugnis so Annehmende.

Müller: Und ich glaube, ich habe mal gehört, aber ich habe mich nicht vergewissert, ob das stimmt, dass das zum Beispiel in der Schweiz verboten ist, ein besseres Zeugnis auszustellen, denn der künftige Arbeitgeber, der den Angestellten aufgrund dieses guten Zeugnisses dann in die Firma übernommen hat, kann denjenigen, der das falsche Zeugnis ausgestellt hat, regresspflichtig machen. Stimmt das? Hast du schon davon gehört? Also wenn es auch nicht stimmen sollte, es ist doch etwas, was mein Gerechtigkeitsgefühl befriedigt.

Flint: Vielleicht könnten einige der Zuhörer, die den Podcast jetzt gerade wahrnehmen, das mal recherchieren und in die Kommentare oder dir als Autorin feedbacken, das ist ja auch eine Form des Dialoges. Es ist ja interessant, wenn jemand hier in der Richtung bewandert ist. Ich habe so ein Beispiel aus der Arbeitszeugnis-Vergabe im Beamtenstatus. Da gibt es dieses offizielle Bewertungssystem, die müssen bewertet werden. Das ist dann ein Thema, ich weiß nicht, jedes Jahr, alle zwei, alle drei Jahre gibt es diese amtliche Stellenbewertung, da muss die Sachgebietsleistung die jeweilige Person amtlich bewerten, da gibt es diese ein bis fünf, sechs, sieben Seiten Formular und da wird dann natürlich nicht bewertet im Sinne der Qualifikation des Mitarbeiters, sondern im Sinne des Stellenprofils und es wird vor allen Dingen auch im Sinne der Stellenhaushalte bewertet. Es dürfen dieses Jahr X Menschen mit Note 2 bewertet werden, weil denen natürlich dann die Beförderung zusteht, es dürfen Y Prozent mit der Note „vollbefriedigend“ bewertet werden, die dürfen aber nicht befördert werden. Deswegen dürfen die nur eine 3-, 3, 3+ bekommen. Der, der mitschwimmt, der einfach da ist, bekommt so eine „befriedigend minus“, er war da, sie war bemüht, sie hat sich eingesetzt, so eine Note der Mitschwimmer. Aber es gibt in diesem System des Beamtenstatus nicht wirklich die Note 5 für die Menschen, die eine Note 5 verdienen würden, weil es ja gar nicht diese Exmatrikulation aus dem Beamtenstatus wegen Leistungsverlust gibt. Man bleibt ja auf Lebenszeit, wenn man Glück hat, Beamter. Und damit ist auch dieses Bewertungssystem komplett ad absurdum geführt, genauso wie es oft ad absurdum geführt ist, wenn hohe Beamte zum Beispiel in Stellen und Leistungs- und Lohngruppen angekommen sind, da aber gar nicht mehr gebraucht werden in bestimmten Regionen, dann rückversetzt werden von der disziplinarischen Stelle, aber trotzdem ihr Gehaltslevel behalten, obwohl sie wiederrum mindere Tätigkeit tun. Das gibt es in der Wirtschaft auch, aber insbesondere bei diesen behördlichen, bei diesen öffentlichen Angestelltenverhältnissen treibt das die Gehälter auf den Positionen in die Höhe und dann werden so Leute, man nennt das ja weggelobt, auf Parkpositionen in der Karriere gesetzt. Da wird jemand zum Staatssekretär, da wird jemand zu einem Referenten, da wird jemand zu einem Sonderbeauftragten XY und am Ende ist das eigentlich eine große Lüge. Und er lässt es auch noch gefallen, weil die Dotierung wahrscheinlich stimmt.

Müller: Und das Ganze fühlt sich ungerecht an, also hat das Lügen, Wahrheit und Gerechtigkeit doch ein bisschen was miteinander zu tun, oder?

Flint: Aber sowas von.

Müller: Ich würde das Ganze noch von der anderen Seite betrachten. Und zwar von der sogenannten Opferseite, Opfer einer Lüge zu werden. Warum eigentlich werden wir Opfer von Lügen und Lügnern? Warum kaufen wir dieses Produkt, von dem wir im Fernsehen sehen, ein Wisch und alles glänzt? Und natürlich wissen wir, wenn wir dann die Küche damit wischen wollen, brauchen wir dafür eine halbe Stunde oder eine Stunde, um diesen Flecken wegzubekommen, aber wir kaufen es trotzdem. Wohlwissend, es ist ja nur Werbung. Oder warum glauben wir die falschen Versprechen von Politikern, obwohl wir genau wissen, wir wurden in den letzten 20 Jahren belogen? Warum glauben wir das immer wieder, warum fallen wir immer mehr oder weniger sehenden Auges darauf hinein? Warum glauben wir orchestrierte Krisen zum Beispiel, warum glauben wir solche Strömungen und Tendenzen? Warum springen wir auf diese Züge auf? Im Nachhinein erkennen wir, die Geschichte lehrt uns das fast alles. Dass zum Beispiel auch Kriege auf Lügen beruhen und ohne die Lüge hätte es die nicht gegeben. Und warum sind wir bereit, diese Dinge genauso hinzunehmen, wie wir das die letzten 100 Jahre schon getan haben und beschweren uns dann, oh, wir wurden belogen? Also es ist für mich ein Teil der Eigenverantwortung, Dinge zu hinterfragen und auf Wahrheitsgehalt abzuklopfen, bevor ich einfach Pillen schlucke, die mir vorgesetzt werden.

Flint: Lügen habe kurze Beine.

Müller: Oder nicht?

Flint: Hat uns unsere Großmutter und unsere Mutter vermittelt, und da war eine Menge Wahres dran. Denn wenn du nicht ehrlich warst, dann kam die Lüge auf dem Tablett auf Umwegen zurück zu dir und es wurde eigentlich entlarvt, dass du etwas getan hattest, was nicht redlich war. Und das ist auch ein guter christlicher Wert. Ich glaube, ehrlich zu sein ist ja heute in der Episode in keinster Weise in Diskussion. Ich glaube, jeder Mensch, der ehrlich ist, der ist ein guter Mensch. Er ist auf jeden Fall zu loben dafür, dass er ehrlich ist und das ist auch der richtige Weg. Ich glaube, wir zeigen ja gerade in der Diskussion auf, dass die Lüge im Leben genauso dazugehört, wenn wir sie mal etwas weiter fassen. Oder was du sagst oder hinterfragst, warum die Menschen denn der Lüge so hinterherlaufen, das muss ja wahrscheinlich damit zu tun haben, dass der Mensch immer ein Bild hat von etwas, was er verfolgt. In der Partnerschaft möchte ich eine Person treffen, die für mein Leben bei mir bleibt. Die Person hat vielleicht in meiner Vorstellkraft diesen Typus, also diese Haarfarbe, diese Größe, diese Statur, sie hat den oder den Charakter. Das ist so ein Bild, was wir Menschen haben. Und jetzt komme ich an diesem Tag X zu dieser Person und befreunde mich und sie wird vielleicht mein Lebenspartner, in meinem Fall meine Lebenspartnerin und es ist natürlich klar, dass ich mich im Kompromiss befinde in diesem Bild, was ich als Mensch mir mal vorgestellt hatte und zwischen dem, was diese Person sein kann, oder? Das ist ja für viele Menschen auch ja, die Ehe ist ja ein gelebter, guter Kompromiss. Wenn sie Bestand hält, dann ist es denke ich eine gute Beschreibung dafür. Es ist ein Nehmen, es ist ein Geben, es ist ein Auseinanderzugehen und es bedeutet also, dass, wenn ich mit bestimmten Dingen, die der Mensch nicht hat, die aber in meiner Vorstellung wichtig sind, ich mir zurechtlegen muss. Bei der Partnerschaft, nehmen wir den Politiker, ich möchte von ihm nicht enttäuscht werden, dass er für mich nicht das oder das manifestiert verfolgt. Ich glaube, wir machen keinen politischen Podcast. Aber ich glaube, jeder kennt das. Früher schien es so, dass bestimmte Politiker für bestimmtere, markantere Sichtweisen standen. Ich wusste, wohin ich meine Stimme sende, wenn ich dieser Person meine Stimme gebe oder dieser Partei. Gefühlt ist das heute eher nicht so, weil alle versuchen, sich in dieser sogenannten Mitte, in dieser sogenannten bürgerlichen Mitte aufzuhalten, um von dort die Mehrheit des Stimmenpotenzials mitzunehmen. Das führt auf der einen Seite dazu, dass sich Parteien von einer Fünf-Prozent-Partei in Richtung 20 Prozent entwickeln konnten, andere Parteien, die früher 46, 47 Prozent hatten, sind heute auch bei 20, bei 18, bei 24 Prozent angekommen, dass das deutlich macht, dass wenn sie sich der Mitte nähern, sie sich gemein machen mit dem, was Menschen erwarten. Also sie vertreten nicht mehr das, was sie im Wertebewusstsein glauben vertreten zu müssen, sondern eher das, was die Meinung fordert. Und das ist auch der Grund, warum es Werbung gibt. Werbung machte eigentlich früher mir ein Versprechen gaukelhaft klar, was ich zu kaufen habe. Früher war ein Produkt so, dass ich dieses Produkt haben musste. Heute fragt der Anbieter nicht mehr, was will ich für ein Produkt verkaufen, was verkauft werden soll, sondern der heutige Produktentwicklungsprozess, ich bin jetzt im Marketing tätig, ich bin in der Produktinnovation-Design-Thinking-Kultur zu Hause. Jedes Produkt wird nur noch auf das Mindset und den Bedarf des Kunden abgestimmt. Es wird das Produkt entwickelt, was Kunden derzeit möchten. Die deutsche Automobilindustrie hat völlig verpeilt, dass das Mindset in Richtung einer neuen Automobilität geht. Sie hat das zurückgestellt, dieses bedeutsam zu entwickeln. Und prompt kamen von rechts, von links Automobilanbieter, die genau die Autos gemacht haben, die genau in diese Umwelt-Ökologie-Debatte gepasst haben, und damit waren sie ursprünglich falsch. Sie haben jetzt erst wiedererkannt, dass sie die Autos so entwickeln müssen, wie der Kunde sie haben will. Die Autos wurden kleiner, früher wurden Autos immer größer. Heute werden Autos wieder kleiner. Komischerweise werden aber die Leistungen der Motoren trotzdem größer bei kleinerer Bauform. Ja, warum? Weil es da eine Entwicklungs-, eine Erwartungshaltung aus dem Markt gibt. Formen, Geräte werden so designt, dass sie der Hand der Frau schmeicheln. Es gibt den Damenrasierer von einer großen Weltfirma mit einem G am Anfang, der ist teurer im Regal bei Rossmann, bei DM, hat nur zwei Klingen, wo wir schon das Vier-Klingen-Freebie-Super-Design-Gleit-System haben. Also unsere Klinge bei Männern ist drei- bis fünfmal wertiger und euch Frauen, das ist verletzend, das ist eine Lüge, wird ein teurerer Rasierer mit minderer Qualität verkauft, weil ihr die Erwartung habt, dass man auf euch zugeht. Der ist flieder- oder lilafarben, er hat einen anderen Schwingkopf, damit er sich besser an die weiche Oberfläche anschmiegt, dass das Gleitverhalten softer ist. Ihr glaubt dran und kauft diesen Schmarrn, statt im Herrenregal Menge dreifach zu kaufen für das gleiche Geld.

Müller: Ich möchte dir widersprechen. Mach das als Frau, rasiere dir die Beine mit einem Herrenrasierer und du greifst als nächsten zum Frauenrasierer. Es hat schon seinen Grund.

Flint: Was ist da anders? Komm, kläre mich kurz mal auf. Das muss jetzt kurz erlaubt sein.

Müller: Ja, du schneidest dich mit dem Herrenrasierer.

Flint: Ist das eine andere Klingenstellung?

Müller: Das weiß ich nichtn warum. Vielleicht ist das Psychologie, ich benutze jetzt den Herrenrasierer, aua.

Flint: Dann nimm mal den Vierfach-Gleitkopf. Es kann ja Placebo sein, dass das so wäre. Aber du hast ja die Frage gestellt, warum fordern wir denn, dass wir belogen werden? Weil wir eine Vorstellung haben, die uns gefällt. Wir nehmen die neusten Gadgets, wir nehmen die neusten elektronischen Geräte, wir nehmen die neusten – lass es ein Telefon sein, lass es die Autowelt sein. Ganz egal, wir nehmen den neusten Fensterwischmob, weil der kann ja das und das auch noch. Dabei haben unsere Eltern 40 Jahre lang mit dem Wischmopp gewischt und es war auch immer die Küche sauber. Und das macht ja deutlich, dass wir förmlich belogen werden wollen, was die Features, die Leistungsversprechen des Produktes auch noch können, damit ich ich jetzt einen Kaufimpuls habe. Weil der Anbieter möchte natürlich, obwohl ich schon drei Möppe haben, einen vierten Mopp verkaufen. In jedem Haushalt gibt es am Ende zwei oder vier Möppe, obwohl ich nur einen gebraucht hätte.

Müller: Also ich würde jetzt gerne anstatt mit einem Rasierer unter die Haut zu gehen mit dem Thema unter die Haut gehen. Und zwar, warum möchten wir belogen werden? Warum hat Hollywood so einen Erfolg? Orson Welles hat in seinem Hörspiel, wo die Aliens sozusagen über das Radio angreifen, das Land USA in Panik versetzt. Weil alle geglaubt haben, über dieses Hörspiel jetzt kommen die Aliens und greifen das Land an. Jetzt wird die Menschheit ausgelöscht. Das war 1938, es gab eine Massenpanik. Die Leute sind in die Autos, haben versucht zu fliehen. Warum war das so einfach, die Leute über ein Hörspiel die Menschen zu belügen? Warum glauben wir diese Sachen? Was macht uns empfänglich für diese Lüge? Warum werden wir so einfach zum Opfer? Warum schaffen wir dadurch, dass wir Opfer sind, einen Täter?

Flint: Weil wir damals das Märchen brauchten.

Müller: Brauchen wir das heute nicht mehr?

Flint: Das ist das moderne Märchen. Die Werbung ist doch das moderne Märchen. Rotkäppchen – es gab Gruselgeschichten, wo auch immer Opfer und Täter waren. Die waren überhaupt nicht brav. Die ganzen Grimms Märchen sind frei von jeder Gewaltverherrlichung, im Gegenteil, da gibt es Schadenfreude. Die Wilhelm Busch-Geschichten mit Max und Moritz, da sind lauter Gehässigkeiten dabei und das ist auch ein Streich. Einer failt, einer gewinnt, das ist immer dieser Gaukel, wenn du das machst, dann wird dir das gelingen. Das ist unehrlich. Max und Moritz, diese Lausbuben waren gemein. Hänsel und Gretel, diese Frau, die die Kinder… da wird ein Mensch in den Ofen geschoben. All diese Lügen wurden genutzt, um die Menschheit zu manipulieren, denn früher war es ja so, wenn die Oma was las, dann hat sie über den Wolf erzählt, um eigentlich über dieses Fehlverhalten der Wölfe dem Kind klarzumachen: Bleib ehrlich. Das ist interessant, wie du fragst. Man hat mit dem negativen Effekt den positiven erzogen. Das ist völlig verrückt. Und wenn du dir das anschaust, dass Mädchen an Dornröschen und an das lange Haar glauben und bis heute dieser Lüge in Instagram hinterherlaufen, dass man schöner wird, wenn man sich lange Haare blond färbt und die wie eine Tagesschau-Moderatorin auf die linke Schulter drapiert, damit man immer schön aussieht. Dieses Schönheitsideal bei Frauen ist doch nichts weiter als „Bitte belüge mich, ich möchte beliebt sein, darum werde ich auch so wie du“ und wir Männer: „Wir brauchen das und das, damit wir das und das machen, damit wir die und die Fußballerfolge haben“, wir werden doch jeden Tag belogen, wenn wir ein Sky-Abo ziehen und uns für 20 Euro im Monat Fußball angucken, obwohl es Fußball jeden Tag in 47 Kanälen in jeder Nachrichtensendung für free gibt, muss ich mich schon selber als Mann mit dem Fußball-Abo obendrauf belügen. Wir brauchen die Lüge, die Lüge ist ohne uns nichts.

Müller: Das heißt, Manipulation ist Lüge. Wir lügen um zu manipulieren. Ich möchte also doch weiter in der Opferrolle bleiben. Es gibt dieses schöne Lied „Lie to me“, „Tell me lies, tell me sweet little lies“. Also sag, dass ich hübsch bin, sag, dass ich schön bin, sag, dass ich toll bin, sag, dass ich reich bin, sag, dass ich erfolgreich werde. Ich möchte das. Ich möchte es dir glauben.

Flint: Werde zum Top-Speaker, buche meinen Kurs und ich nehme dich mit auf die Welt der Bühne. Mit mir wirst du dein neues Ich entdecken, du wirst das Selbstbewusstsein zurückbekommen, was dir fehlt, du weißt es nur noch nicht. Deine Gedanken sind noch nicht zentriert, du wirst auf jeden Fall auf dieser Bühne stehen können und die Bühne des Lebens, und die Bühne als Sprecher ist deine Bühne als ich. Und wenn du diese Bühne nicht hast, dann bist du nicht. Das ist bei dem einen die Bühne sprichwörtlich, er geht aufs Podest und spricht vor Menschen, diese Bühne, oder er spielt Theater oder er singt. Oder er geht zu einem Casting. Bei anderen Menschen ist diese Bühne, über die wir da sprechen, die Bühne der persönlichen Entfaltung. Was machst du jeden Tag, damit du das tun kannst, womit du in deiner Kraft bist? Das wird vielen Menschen gewünscht, die sollen in ihrer Kraft sein dürfen. Wenn du Dinge tust, die du gerne tust, dann machst du sie gut. Machst du Dinge gut, machst du sie noch gerner, machst du sie gerne, wirst du sie nicht nur gut, du wirst sie viel besser tun. Vielleicht machst du es am besten, wenn du jeden Tag nur das tust, was du am liebsten machst. Und das ist ja in anderen Podcasts auch schon rausgearbeitet worden von dir, dass da die besondere Fähigkeit der Menschen gefordert sein sollte, nach dem zu streben was sie glücklich macht und was sie gut können. Ein Stück weit werden sie von anderen, und das ist eigentlich deine Frage gewesen, auf den Weg dahin belogen, dass sie alles können, wenn sie es nur täten – und die Zückerchen, die man ihnen hinlegt, was sind das? Köder, oder? Das sind Köder für eine Entscheidung. Die braucht der Mensch, weil die schmecken so süß. Das ist dann wieder wie mit dem Kind mit der Schokolade. Gibst du dem Kind Schokolade, wird es dem Weihnachtsmann danke sagen. Es würde niemals diesem grauen Rauschelbart jemals was vorlügen, weil es Angst davor hat. Nur was ist denn der Weihnachtsmann? Es ist eine Lüge. Das ist eine Lüge von der Coca Cola Company. Was ist der Weihnachtsbaum, was hat denn bitte ein Weihnachtsbaum in Betlehem zu tun? Da wachsen keine Tannen und schon gar keine Nordmanntannen, die nadelfrei bleiben bis zum 6. Januar. Ja, ich bin Christ, ich glaube an die christliche Kirche. Ja, aber ich lebe ja eine Lüge, wenn ich mir einen Tannenbaum hinstelle. Es ist doch, wenn du es persiflierst, ist es doch so. Ich kann damit aber gut leben, weil ich finde, das ist eine lustige Lüge.

Müller: Und genau das wollte ich jetzt ansprechen. Lass uns bitte einfach mal fantasieren, wie es wäre, wenn lügen erlaubt wäre.

Flint: Spielcasino. So wäre das.

Müller: Du sollst nicht lügen, aber warum eigentlich? Jetzt spielen wir doch einfach mal diesen Gedanken durch, ist doch egal. Natürlich, wir wissen die Werbung lügt. Ja, klar. Sicher, das ist eine Lüge. Wir wissen, dass die Politiker lügen. Ja, klar. Das ist eine Lüge. Wir wissen, dass wir manipuliert werden. Ja klar, was ist da so schlimm dran? Das ist eine Lüge. Wäre denn das Leben nicht einfacher, wenn wir diese Lüge, wenn wir dieser Lüge wahrhaftig ins Auge sehen und sagen, wir wissen, du bist eine Lüge, ja und?

Flint: Wahrscheinlich braucht die Menschheit ein paar Momente, um zu erkennen, dass sie dann der Lüge Einhalt gebieten muss. Das war der Grund für Gesetze. Gesetze gibt es ja erst, seitdem Menschen in die Lüge drifteten, damit Regularien da waren, denn offensichtlich hat ja einer den anderen übervorteilt in irgendwas. Im Tausch von Steinen gegen Erde. Die Lüge war nötig, damit es Gesetze mal irgendwann geben sollte. Und dann haben die Gesetze versucht, Lügen zu regulieren, und dann gibt es Richter, die sagen, was ist Recht, was ist nicht Recht? Das ist die Gewichtung, was war Lüge, was war nicht Lüge? Weil der eine sagt ja: Ich habe es nicht gemacht, der andere sagt, er hat es gemacht. Es muss gefunden werden, wer hat auf welcher Ebene wie weit Schuld? Damals die RAF-Prozesse, die Nürnberger Prozesse, diese großen Kriegsprozesse, die terroristischen Verbrechen, die waren oft aus einer Motivation entstanden, oh Gott, jetzt sage ich was, die mögen sogar eventuell einen guten Gedanken ganz am Anfang gehabt haben, aber wurden dann durch den Aufbau einer Gebäudewelt voller Lügen immer glaubhafter gemacht, damit die Menschen ihnen nachlaufen konnten. Dann sind die Leute im Nationalsozialismus dieser Meinung gefolgt und haben auf einmal eine große Lebens- und Menschheitslüge als ihre Vision angenommen und heute gibt es Menschen, 50, 60 Jahre später, die sagen: Das war überhaupt eine Lüge. Das gab es überhaupt nicht, es wurde sogar jemand zitiert, der das als ein kleinstes Momentum der Weltgeschichte tituliert hat. Und dann gibt es schon wieder Leute, die, obwohl es nachgewiesen stattfand, dem Glauben schenken, was derjenige dazu heute sagt. Es ist verrückt, wir können nicht alle nur lügen, weil wenn es die Revolution, die Reformation der Wahrheit nicht gibt, wird die Lüge übernehmen, aber ich glaube die Reformation der Wahrheit wird danach kommen. Das ist wie die Gletscherschmelze, irgendwann reicht die Lüge nicht mehr. Du musst irgendwann wieder unten Ehrlichkeit zeigen. Und dann gibt es wieder den Tauschhandel zwischen eins und eins, A und B, und es wird alles auf Ehrlichkeit beruhen. Das wird so in der Evolution wahrscheinlich irgendwann kommen.

Müller: Wir hatten ja zum Beispiel bei dem Geldsystem… viele sagen, das ist ja auch eine große Lüge, das Geld. Also wir haben ein Papier, da steht eine Zahl drauf und die hat den und den Wert und dann hat es diesen Wert plötzlich nicht mehr. Und dann hat ein neues Papier mit einer neuen Zahl einen Wert, das ist doch eigentlich ein Fundament, ein riesengroßes Gebäude der Lüge, ein Kartenhaus.

Flint: Na klar. Und wenn Geld entwertet wird und man druckt einfach neues Geld, um der Menschheit zu sagen, wir haben noch Geld, wir haben Inflation, so heißt das ja im volkswirtschaftlichen Kontext, dann macht die eine oder andere Volkswirtschaft einfach den Drucker an und erzeugt mehr Geldnoten, dass es nie ein Problem ist. Und wenn wir das Thema Geld mit reinnehmen, dann ist klar, dass wir uns alle ein Stück weit damit belügen, dass bestimmte Sachwerte das einzige an Wert sind, das uns wichtig ist. Wir streben nach bestimmten Dingen bis zum Ende unserer Arbeitszeit, damit wir dann in der Rente sicher und in Frieden in diesen Werten leben können und haben zu verschiedenen Zeiten im Leben immer Angst, dass die uns genommen wird. Wir tun alles dafür, dass wir das nie wieder verlieren. Wir würden Haus und Hof verteidigen. Und die armen Mütter, das ist ganz oft der Fall, wo die Männer schon weggestorben sind, weil die kriegskrank waren oder früher verstorben sind aufgrund verschiedener Krankheiten. Es gibt ganz oft Mütter, die in diesen großen Häusern sitzen. Die würden alles tun, aber niemals diese Burg der Sicherheit verlassen, die ihnen im Leben mit ihrem Ehepartner, der leider verstorben ist, Sicherheit, Geborgenheit und das Leben sichert. So redlich wie das ist, ist das aber eine Lebenslüge, denn sie gehören längst in eine Wohngemeinschaft, in ein Generationenhaus, sie könnten doch zu dritt eins dieser Häuser teilen, die anderen zwei verkaufen, um dadurch ein gutes, ein gepflegtes Leben zu haben. Da könnte jemand täglich kommen, der ihnen hilft für dieses Geld. Nein, es muss diese Burg bleiben, in der ich domestiziert und sicher bin und das ist eine schöne Lebenslüge, weil sie sich das lebenslang aufgebaut haben, aber es ist eine tragische, weil die Kinder und die Verwandten ihnen eigentlich am liebsten helfen wollten, da rauszukommen und es wird nicht möglich sein. Also ist die Lüge bis zum Ende so wichtig für uns Menschen, ich merke das eigentlich beim Drübersprechen heute, dass du sie erst ganz, ganz, ganz zum Schluss gehen kannst, weil du dann sagst: So, jetzt bin ich bereit, jetzt kann ich gehen.

Müller: Und wenn wir gar nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden, wenn wir den Unterschied nicht machen? Was passiert dann?

Flint: Dann wird es link. Und wenn es link wird, dann ist das die Steigerung einer Lüge und das hasse ich wie die Pest. Ich habe ja zuzugeben, dass ich der Lüge Freund bin, weil ich ja ehrlich zu dem sein muss, wie ich im Leben beeinflusse, als Marketer bist du Beeinflusser, damit bist du ja überzeichnet gesprochen Lügner, aber link will ich nicht sein. Link ist beeinflussend lügen, instrumentalisierend lügen, das ist für mich eine Stufe, die kommt weit nach dieser Beeinflussung der Werbung und deswegen werbe ich ja auch mit und werde meinen Kunden nicht link und nicht lügenvoll begegnen – sondern wir machen heute eigentlich ethisches Marketing.

Müller: Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Flint: Ja. Man erzählt die guten, die sogenannten nachhaltigen Geschichten, man macht Greenwashing, indem man sich ökologisch, biologisch, vielleicht sogar fair-tradig oder aus der Region verkaufend aufstellt. Man macht Dinge, die man eigentlich sagt, da könnten wir mal eine Episode drüber machen, dieses mee-to-Denken spielt da eine Rolle. Ich mache das, was man so macht, um der Empfindung des Marktes zu entsprechen. Genau genommen belüge ich mich und meine Produkte und Kunden selbst mit dieser ethischen Marketing-Interpretation ja schon wieder selbst. Ich sage ganz klar, die Trennung zwischen Lüge und Wahrheit muss erhalten bleiben. Ich sage, ich bin ein ehrlicher Mensch, aber ich weiß auch ehrlich zu sagen, dass ich in bestimmten Lagen um die Lüge nicht rumkomme. Das gilt für mich, da bin ich sehr selbstkritisch und ich möchte für unsere Kunden eigentlich nicht die Lüge im Vordergrund sehen, sondern eine gute, eine gute Geschichte von ihnen zu erzählen, die sie, so ehrlich wie sie sind im Markt erzählt. Denn ich glaube, wenn jeder seine ehrliche Geschichte erzählt, die eben auch die Schwäche, seine kleine oder seine große Lüge zulässt, ich glaube dann wird er wieder ehrlicher, wenn er über seine Lüge sprechen kann.

Müller: Liebe Zuhörer, Sie haben gemerkt, wie kontrovers und wie spannend und wie interessant dieses Thema ist, wenn man sich erlaubt, es unter die Haut zu lassen, wenn man es von allen Seiten hin- und herwendet und versucht, ich sage „versucht“ in Anführungsstrichen, ehrlich zu betrachten und ehrlich zu sich selbst zu sein, wie man dann weiterkommt auf den Weg in die eigene Authentizität. Ich bedanke mich von ganzem Herzen für dieses interessante Gespräch heute hier bei „Gedanken zur Menschlichkeit“. Lieber Harry, ich freue mich auf ein nächstes Mal und ich freue mich auch, wenn Sie dann wieder dabei sind. Bis dann, auf Wiederhören.

1 Kommentar
  1. Ghyssaert Ivan
    Ghyssaert Ivan sagte:

    Ich glaube man sollte niemals lügen. So weit ich weiss habe ich noch niemals gelogen. Jeden Morgen kuke ich mich in den Augen im Badezimmer und dass möchte ich so weiter machen. Leider leben wir in ein WElt von Lügern und Manipulateure. Das beste das man machen kann ist mit gleichdenkende Personen harmonisch zusammen arbeiten und leben. Besten Wünsche für die weitere Forschung IUG

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