Episode #20 Bürgerprotest gegen Corona – wird Widerspruch zur Pflicht?

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Abstandhalten, Maske tragen, keine Menschenmassen. Das sind die Regeln. Doch was, wenn wir gegen die Ursprünge der Regeln protestieren. Geht Protest in Corona Zeiten anders? Rechtfertigt Meinungsfreiheit die Gefährung der Gesundheit?

Darüber philosophiert Annette Müller mit Falk S. Al Omary.

„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

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Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Annette Müller: Herzlich Willkommen zur heutigen Podcast-Folge. Es wird ein ganz spannendes, hoch aktuelles Thema. Was sonst außer Corona? Das Thema ist „Bürgerprotest gegen Corona. Wird Widerstand zur Pflicht?“ Und hier im Gespräch bei mir ist Falk Al-Omary. Ich freue mich heute ganz besonders darauf, dich hier ausquetschen zu können als Profi in der Politik. Also um mal so ein bisschen retour zu überlegen, wie ich mich so gefühlt habe, bevor diese Maßnahmen eingesetzt hatten. Das war so, dass ich mich in meiner Tätigkeit als Unternehmerin immer ganz gut aufgestellt gefühlt hatte. Dieses System hat mir eine ganz gute Grundlage geboten, um eben tätig zu sein. Und deshalb hatte ich da auch nicht besonders viel Widerstand gegen die Politik, bis auf verschiedene Dinge, die mir einfach auch nicht sinnvoll erschienen. Aber da ich keine Ahnung hatte, war mir das auch nicht sehr wichtig zu hinterfragen. Jetzt allerdings habe ich angefangen, na ja, man kann sagen 24/7 zu hinterfragen. Also ich habe ständig hinterfragt. Und in einem Gespräch mit dir, Falk, dann eben auch angesprochen, dass ich jetzt mit fliegenden Fahnen in den Widerstand 2020 eingetreten bin, in diese neue Partei. Und du meintest dann: „Oh, da sollten wir uns drüber unterhalten.“ Und da möchte ich ganz gerne deine Meinung dazu hören, Falk.

Falk Al-Omary: Vielleicht sollte man erst mal erklären, weil du gesagt hast, ich sei Politikprofi, warum du dazu kommst, dass ich das sein könnte. Ich hatte in der Tat 20 Jahre lang politische Mandate inne, war in verschiedenen kommunalen Parlamenten, habe Wahlkämpfe gemacht auf Bundesebene, habe im deutschen Bundestag gearbeitet, habe für viele Politiker Kampagnen organisiert. Und deswegen kenne ich ein bisschen das Spiel. Und meine Meinung zu Widerstand 2020 basiert ein bisschen auch auf meiner eigenen Resignation. Ich habe das 20 Jahre lang gemacht, in ganz verschiedenen Funktionen. Auf der kommunalen Ebene vor Ort bis hin zu Kampagnen für Europaabgeordnete und Termine in Brüssel. Und komme zu dem Ergebnis, dass Politik aus meiner Sicht extrem wenig bringt und extrem wenig bewirkt. Und das sehe ich bei Widerstand 2020 in ganz besonderem Maße so. Und wenn ich das ausführen darf, warum, kann ich jede Menge Aspekte nennen. Zum einen gibt es aus meiner Sicht bereits eine funktionierende Protestpartei in Deutschland. Das ist die AFD. Die AFD sitzt in allen Landesparlamenten. Sie ist eine reine Protestpartei, die diese ganzen Protestbewegungen, die es ja auf verschiedenen Ebenen gibt, gegen Flüchtlinge, gegen Klimaschutz, die waren ja immer dagegen, das in irgendeiner Art und Weise kanalisiert. Jetzt verstehe ich, dass man nicht zwingend die AFD gut finden muss. Und was ich sage, ist auch kein Petitum dafür, zu sagen: „Hey, unterstützt die AFD.“ Aber wenn es um den Protest an sich geht, gäbe es bereits eine Organisation, die diesen Protest verkörpern könnte. Das ist das eine. Das zweite ist, dass Widerstand 2020 – als ich das letzte Mal geguckt habe, ist jetzt vier, fünf Wochen her – gesagt hat: „Wir nehmen keine Mitgliedsbeiträge beziehungsweise man kann freiwillig spenden.“ Und wenn man Mitgliedsbeiträge nimmt, und am Ende des Jahres bleiben Überschüsse übrig, dann würde man die an eine gemeinnützige Organisation spenden. Das klingt honorig, ist aber im Sinne einer Partei absoluter Nonsens, weil eine Partei einen Wahlkampf führen muss. Das Ziel einer Partei ist der Einzug in ein Parlament. Das Ziel einer Partei ist das Streben nach Macht, auf demokratischem Wege in Parlamenten. Und das bedeutet, ich muss einen Wahlkampf machen. Und das Wort dafür in Parteien heißt Kampagnefähigkeit. Und Kampagnefähigkeit habe ich eben nun mal auch nur dann, wenn ich finanzielle Mittel habe. Und ein Teil dieser finanziellen Mittel müsste eben aus Mitgliedsbeiträgen kommen. Zumal der Bund ja Parteien für jede Stimme unterstützt und auch noch mal 50 Prozent eines Mitgliedsbeitrages als Zuschuss oben drauf gibt. Das heißt, hat eine Partei viele Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge, bekommt sie entsprechend hohe Bundeszuschüsse. Das heißt, ich gebe nicht nur honorig das Geld weg, sondern ich raube mir auf mehreren Ebenen die Kampagnefähigkeit. Und deswegen ist für mich das Prinzip Widerstand 2020 – wir werden nachher drüber reden, wer ist da eigentlich drin und so weiter – erstmal aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt. Und das Ergebnis wird sein, die Partei kriegt zwei bis drei Prozent, weil sie irgendwie interessant ist, weil das Thema Corona aktuell ist. Das wird auch nächstes Jahr nicht vergessen sein. Diese zwei bis drei Prozent werden der AFD fehlen, werden ein paar Nichtwähler mobilisieren. Am Ende wird die Partei aber nicht ins Parlament einziehen und damit genau die Parteien, gegen die man demonstriert, in den Sattel heben. Das heißt, jede Stimme für Widerstand 2020 wird dazu führen, dass CDU, SPD, Grüne und die anderen gestärkt werden. Einfach weil die Parität und das Wahlsystem nun mal so ist. Das heißt, ich protestiere und engagiere mich und erreiche genau das Gegenteil. Jetzt kann man sagen, gut, das wäre ja bei einer AFD früher auch so gewesen. Also wenn man dann sich etabliert, ist es ja gut. Ich glaube aber nicht an dieses Etablieren. Eine Partei, die ähnlich basisdemokratisch war wie Widerstand 2020, vom Prinzip „jeder kann mitbestimmen, es gibt keine Delegierten, wir machen das alles online, wir sind ein total wilder Haufen, wir haben kein Programm“, das gab es schon. Nämlich in Form der Piraten. Und außer dass die als gescheiterte Digitalanarchisten den Einzug in die Parlamente verpasst haben, haben die nichts bewirkt. Und die gleichen Fehler, die die Piraten gemacht haben, in ihrer Kampagnefähigkeit, in ihrer radikalen Basisdemokratie, in ihrem Widerstand, nicht nur gegen das System, sondern gegen jede Art von Struktur – und Partei bedingt nun mal Struktur und Gliederung – wiederholt jetzt Widerstand 2020. Und deswegen glaube ich schlicht nicht an den Erfolg.

Müller: Das leuchtet mir alles ein. Zwischenzeitlich ist das so, dass diese Idee auf den Boden gebracht wurde, und man eben gesehen hat, okay, wenn ich eine Partei haben möchte, dann brauche ich diese Strukturen, weil mir diese Strukturen ja auch vorgegeben sind. Das heißt, das Ganze ordnet sich jetzt neu. Du hattest mir gesagt: „Mit einer Partei wirst du nichts erreichen. Also du wirst jedenfalls nicht das erreichen, was du möchtest.“ Und was Widerstand 2020 möchte, ist eben, einen Hebel zu haben, eine gewisse Art der Macht zu bekommen. Ein Mitspracherecht, dass die zum Beispiel sagen können: „Halt, die Wirtschaft wird nicht an die Wand gefahren, wir lassen das nicht zu. Wir wollen das nicht.“ Und das ist natürlich auch der Antrieb, warum viele sagen: „Die wollen Transparenz. Ich möchte Transparenz. Ich möchte wissen, was da im Hintergrund wirklich läuft. Und deshalb will ich diese jetzt stärken.“ Das ist alles sehr gut gemeint. Das ist alles sehr euphorisch. Das ist alles eine Aufbruchstimmung. Und diese Aufbruchstimmung hat gezeigt, dass ein ganz starkes Bedürfnis da ist von vielen Menschen nach Aufrichtigkeit. Nach logischem Nachverfolgen. Nach Gerechtigkeit. Nach Transparenz und nach dem gegenteiligen Gefühl der Ohnmacht. Weil das ist ja jetzt, was wir hier alle, insbesondere die Unternehmer, spüren: „Okay, was passiert hier? Ich bin mitten auf dem Ozean in einem großen Sturm in einer Walnussschale.“ Also diese Art der Ohnmacht ist ein Gefühl. „Das ist gar nicht gut. Also das ist überhaupt nicht menschlich. Das ist nicht würdig. Das hat keinen Respekt.“ Und deshalb würde mich ja interessieren, warum sagst du: „Als Partei bewegst du gar nichts“?

Al-Omary: Also zum einen hast du natürlich recht. Dass Corona in dieser Radikalität der Maßnahmen nach Widerstand schreit und nach irgendeinem Ventil ruft, um mich an irgendetwas zu orientieren. So eine Situation, die es jetzt gibt, war eben noch nie da. Also ich kann mich noch erinnern, wie das im März gewesen ist. Erst fielen die Messen aus, das hat mich persönlich betroffen, darüber haben wir hier ja auch schon gesprochen. Drei Tage später hieß es dann, jetzt machen die Gaststätten zu. Wieder drei Tage später: „Machen die jetzt alles zu? Kannst du noch Lebensmittel kaufen?“ Dann fiel das Wort der Ausgangssperre. Das kannten wir sonst nur aus den Nachrichten aus irgendwelchen Diktaturen. Und in einer dramatischen Geschwindigkeit wurde das, was du als normales Leben empfunden hast, abgeschaltet. Jetzt bist du auch noch selber Unternehmer, du hast nicht die Option Kurzarbeit. Also diese Ohnmacht, dieses Ausgeliefertsein. Diese brutalen Existenzängste, die hat glaube ich jeder durchgemacht. Auch jeder, mit dem ich spreche, sagt: „Ich war wie gelähmt.“ Und ich kann für mich sagen, ich konnte 14 Tage so gut wie gar nichts machen. Ich habe nur gebannt jede Nachricht aufgesogen, jede Information mir geholt. Den ganzen Tag, morgens um acht ging es los, abends um zwölf die letzten Meldungen, die letzten Nachrichten, die letzte Tickermeldung aufgesogen. Immer mit Angst, was bedeutet das für mich, wo führt das hin? Das führt natürlich zu einer riesigen Gegenbewegung, wenn der erste Schock vorbei ist, muss das irgendwohin. Und insofern erfüllt Widerstand 2020 eine sehr natürliche Reaktion auch bei Menschen, die bislang nicht parteipolitisch engagiert waren. Wenn du jetzt sagst, wir wollen die Wirtschaft retten, dann würde ich sagen, na gut, dafür gibt es ja schon eine FDP, die haben ja auch vernünftige Positionen. Und wenn du sagst, ich habe Angst vor der Zukunft und möchte mehr soziale Gerechtigkeit und finde das ganz schlecht, wie das gemacht worden ist, dann könnte man ja sagen, man geht zu einer linken Partei. Also die einzelnen Positionen würde man ja bei anderen Parteien wiederfinden. Die haben aber nicht das Ventil geboten. Sondern die waren ja irgendwie alle Teil dieses Entscheidungskartells. Und haben deswegen nicht die Plattform geboten, in Teilbereichen Widerstand zu bringen. Und das führt jetzt auch zu der sozialen und soziologischen Zusammensetzung von dem, was Widerstand 2020 ist. Worüber wir auch noch mal sprechen sollten: Was sind das eigentlich für Leute? Aber in der Tat hat diese Ohnmacht nach irgendeiner Reaktion gerufen. Und viele Menschen haben gesagt: „Ich füge mich den Maßnahmen, ich habe Angst vor Corona. Ich trage diese Maske. Sie schützt andere Menschen. Ich möchte sozial sein.“ Da wurde man ja schon ziemlich brainwashed. Und dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen dann auch noch von morgens bis abends Spots ausgestrahlt hat. Also dass man, sobald man rausging, man sich schon exkulpieren musste, warum man nicht zu Hause sitzt. Das hat natürlich schon extreme Züge getragen. Und es brauchte definitiv ein Ventil. Jetzt hast du mich gefragt, warum ist eine Partei nicht das ideale Ventil.

Müller: Auf das Ventil kommt es mir gar nicht an. Ich will wirklich etwas verändern. Ich will kein Kissen, wo ich drauf hauen kann. Das bringt keine Veränderung. Auch nicht, wenn 500 oder 5.000 oder 50.000 oder eine halbe Millionen Leute auf Kissen draufschlagen. Das ist zwar ein Ventil, aber ich meinte wirklich, ich bin dort hinein, weil ich sage: „Okay, ich bin dabei, was zu ändern. Gemeinsam sind wir stark. Und gemeinsam schaffen wir das.“ Also das ist so dieser Aufbruch.

Al-Omary: Ja, das ist ja das psychologisches Phänomen. „Wir machen das gemeinsam“ ist dann eher doch das Thema Ventil. Das ist die psychologische Geschichte. Und jetzt ist die Frage, warum Partei? Also wenn es um die Gemeinschaft geht, hätte man auch sagen können, wir machen eine Art Bürgerbewegung. Wir organisieren Demonstrationen. Wir machen Lobbying. Wir setzen unseren lokalen Abgeordneten unter Druck, indem wir da ständig aufschlagen und denen Briefe schreiben. Wir machen eine professionelle Medienarbeit, schalten ganzseitige Anzeigen, wo prominente Mitglieder unterschreiben. Also es gibt ja genügend Partizipationsformen, die unterhalb des Themas Partei sind. Partei heißt immer, ich möchte in ein Parlament. Dieser fundamentale Widerstand gegen das, was aber da jetzt passiert, ist ja schon sehr staatskritisch. Und das meine ich jetzt gar nicht mal bezogen auf konkrete Forderungen einzelner Persönlichkeiten. Sondern allein dieser Gedanke des Widerstandes gegen das, was der Staat anordnet, ist so fundamental, dass ich ihn erst mal außerhalb eines Parlamentes erprobt hätte, um eine gewisse Glaubwürdigkeit zu erlangen oder eine gewisse Professionalität. Also zu sagen, wir sind eine Bürgerprotestbewegung, wir behalten es uns vor, später als Partei anzutreten, wenn das etabliert ist. Aber einstweilen beschränken wir uns darauf, klassisches Lobbying zu machen, Bürgerproteste zu organisieren, ein Magazin herauszugeben, Pressearbeit zu machen, Abgeordnete zu Gesprächen einzuladen. Regionale Kreise zu bilden, die Aktionen machen, in welcher Form auch immer. Und sei es, dass man sich einen Gastronom sucht, der seine frisch gebackenen Torten an die Rathauswand schmeißt als Protest. Es gibt ja 1.000 Möglichkeiten, Protest auszudrücken. Das hätte ich dann gesagt, das ist genauso ein Ventil, das ist genauso psychologisch, das ist genauso Wir-Gefühl. Aber der Gedanke, ich bin einerseits gegen den Staat und gegen das, was Staatlichkeit ausmacht – ich rede auch von Repressionen. Ich bin jetzt nicht der größte Staatsfan, das habe ich ja öfter gesagt, darum geht es nicht. Aber in dem Moment, wo ich sage, ich möchte diese ganze Repression nicht, diese ganzen Maßnahmen nicht, diese Autoritätsgläubigkeit nicht, dieses „ich möchte überhaupt nicht, dass der Staat sich um mich kümmert“ – dann ist Parteisein aus meiner Sicht hochgradig unglaubwürdig. Eine Partei zu sein, das verlangt eine Professionalität, das verlangt eine Struktur. Und die habe ich nicht. Dann verliere ich so viel Reputation, dass ich die später nicht zurückgewinnen kann, wenn ich als Partei theoretisch erfolgreich sein könnte. Ich hätte also angefangen mit Bürgerprotesten. Irgendwann geht aus dem Bürgerprotest eine Partei hervor, wie damals die WASG, die dann mit den Linken verschmolzen ist, da hat das ja funktioniert. So unterminiert man von vorne herein durch mangelnde Erfahrung und Unprofessionalität den Gedanken, jemals erfolgreich sein zu können, und ich kriege das nachher nicht wieder aufgeholt. Als sich die AFD gründete, hat die AFD bestanden aus ehemaligen CDUlern, aus ehemaligen FDPlern, aus vielen Ministerialbeamten, die schon politische Erfahrungen hatten. Das heißt, die sind nicht kalt gestartet. Da war ganz viel Wissen über Partei, über Struktur, über das Gefüge der Macht, über Lobbying? Es ist ja nicht so, dass ich einfach in ein Parlament gehe und dann kann ich alles. Das folgt ganz, ganz starren Regeln. Und das ist klar reglementiert, wie Entscheidungen getroffen werden. Und das wusste die AFD. Und die hatten da Leute, die das auch umsetzen konnten. Bei Widerstand 2020 sehe ich das überhaupt nicht. Da sehe ich lauter Leute, die genau wie du sagen: „Ich habe keine Erfahrung. Aber aus meiner Empörung heraus möchte ich jetzt was machen.“ Und „was machen“ reicht nicht aus, um parteipolitisch erfolgreich zu sein.

Müller: Okay. Das habe ich verstanden. Das ist mangelndes Wissen, mangelnde Erfahrung. Das ist wie Max das Geigespielen sich vorstellt. Mal so ungefähr, das habe ich jetzt verstanden.

Al-Omary: Politik ist ein Handwerk. Und wenn ich das Handwerk nicht beherrsche, werde ich damit einfach scheitern.

Müller: Ja. War das jetzt deine Aussage nur zu Widerstand 2020? Oder war das deine Aussage, die mir gesagt hat, dass generell als Partei du dieses Staatsgefüge nicht ändern kannst?

Al-Omary: Na ja, wenn ich einen Anspruch habe, das Staatsgefüge zu ändern, habe ich eh schon ein Problem. Weil das möglicherweise verfassungsfeindlich sein könnte. Da muss ich natürlich auch aufpassen, wie ich damit umgehe. Aber unabhängig von der Frage glaube ich, dass man als Partei in einer Partei relativ wenig bewirkt. Ich habe ja selbst über 20 Jahre lang Politik gemacht. Und ich habe diese ganzen Ochsentouren gemacht. Plakate geklebt, irgendwann stand ich selbst auf der Liste. Dann war ich im Stadtrat. Und dann bist du aber erst mal halt nur einer von 60 Leuten im Stadtrat. Bei uns war der Rat so groß. Ich war dann einer von drei FDPlern. In der nächsten Periode war ich einer von fünf FDPlern. Das geht alles irgendwie noch. Und wenn du ein bisschen laut bist und ein bisschen das Handwerk beherrschst und ein bisschen Selbstinszenierung kannst, dann kriegst du auch eine gewisse Aufmerksamkeit damit. Aber wenn ich mich heute frage, „was haben dir zehn Jahre Mitgliedschaft im Rat gebracht, was ist heute von dir noch da, was hast du da bewirkt“, dann fällt mir nur ein Verkehrsschild ein, das auf meinen Wunsch hin aufgestellt worden ist. Ich habe mich zu vielen Themen geäußert. Ich hatte viele Schlagzeilen. Ich hatte schon durchaus eine klare Agenda. Man erinnert sich auch an mich. Aber was ist ganz konkret übrig geblieben an einer Verbesserung des Lebens für die Menschen? Das ist ernüchternd wenig. So, und dann habe ich für Abgeordnete gearbeitet im deutschen Bundestag. Und jetzt ist die FDP eine kleine Fraktion. Als ich im Bundestag gearbeitet habe, gab es 42 FDP-Abgeordnete. Diese 42 Abgeordneten, davon waren 25 bis 30 schon die dritte, vierte, fünfte Periode im Parlament und alte Hasen und erfahren, die natürlich dann auch an die Fleischtöpfe gingen. Die Arbeitskreisvorsitzenden, die Ausschussvorsitzenden, Vizepräsident des Parlamentes. Also es gibt ja relativ viele Positionen. Das haben natürlich die Altvorderen unter sich ausgemacht. Und die neuen Leute haben dann unbedeutende Ausschüsse bekommen. Klar bist du als einer von 42 noch viel cooler und wichtiger als bei so einer CDU-Fraktion als einer von 250. Also es ist schon besser, in einer kleinen Fraktion zu sein. Ich will das auch gar nicht abwerten. Aber die Wahrnehmung nach außen und die Chance nach innen, wirklich etwas zu gestalten, mit all den Regeln, die so eine Fraktion hat, mit all den Regeln, die ein Parlament hat. Mit all den tradierten Regeln, denen Parteien so folgen, mit Ochsentour und „stell dich erst mal hinten an“. Dieses Aufwachsen, das dauert ewig. Und du bewirkst in der Politik im Grunde erst was als einzelner Abgeordneter, wenn du mal zwei, drei, vier Perioden in so einem Parlament gewesen bist und wirklich an den Fleischtöpfen bist. Bis dahin hast du aber so viel Identität verloren durch die ganzen Regeln, dass das auch nicht mehr das ist, wofür du früher mal angetreten bist. Also in ein Parlament, da kommst du ja auch nicht mal eben hin. Sondern um dann aufgestellt zu werden, hast du schon mal zehn Jahre Plakate geklebt und Knochenarbeit gemacht. Und beim zweiten Mal aufgestellt werden bist du vielleicht mit Glück ins Parlament gerutscht. Also du bist schon extrem parteipolitisch geschliffen und fängst dann in der Fraktion noch mal von vorne an. Das heißt, so ein normaler Abgeordneter, wenn er nicht mit 18, 19 Jahren reinrutscht, so Karrieren gibt es ja auch, hat schon mal 20, 30 Jahre Politik hinter sich. Die sind so rundgelutscht, die sind so diplomatisch, die sind so angepasst, die sind so stromlinienförmig. Die sind so auf ihre Karriere ausgerichtet, dass deren Bereitschaft, gegen den Strom zu schwimmen, nicht so fürchterlich ausgeprägt ist. In dem Sinne verstehe ich Widerstand 2020, gerade weil wir nicht die Erfahrung haben, ist das cool, wäre ja jetzt das Gegenargument. Ja, mal cool sein ist aber nicht erfolgreich, weil du gegen die Regeln des Parlaments nun mal nicht ankommst.

Müller: Das wäre auch meine nächste Frage. Kann man gegen diese Regeln nicht ankommen?

Al-Omary: Die Regeln haben ja einen Sinn. Also wenn in den USA der Präsident wechselt und die Regierung wechselt, dann tauschen die mehrere 1.000 Leute in der Gesamtadministration aus. Da werden ganze Ministerien, Abteilungen ausgetauscht. Das heißt also, wenn die von republikanisch auf demokratisch wechseln, dann ändert sich alles. Gerichte, Ministerien, Weißes Haus und so weiter. Wenn bei uns die Regierung wechselt, dann werden an die 50 Personen ausgetauscht. Die Minister, die parlamentarischen Staatssekretäre, vielleicht ein paar beamtete Staatssekretäre, einzelne Abteilungsleiter. Aber das sind dann 50, 60 Leute. Es gibt den schönen Spruch in Berlin: „Der Minister kommt und geht, doch der Apparat besteht.“ Dadurch haben wir eine relativ hohe Kontinuität im Parlamentarismus. Das ist nicht auf radikalen Wandel ausgelegt, sondern das ist so ein kontinuierlicher Prozess. Wenn wir mal ehrlich sind, hat Rot-Grün die Welt nicht ruiniert, ruiniert auch Bodo Ramelow Thüringen nicht. Obwohl man da sagen würde: „Um Gottes Willen, ein Radikaler, ein Linker, wie schrecklich.“ Oder der Kretschmer in Baden-Württemberg: „Oh, ein Grüner, der macht das ganze Autoland kaputt.“ Ist alles nicht passiert. Das liegt daran, dass wir eine extrem hohe Stabilität im System haben. Und dass sich diese Regeln bewährt haben. Das ein Gesetz nun mal drei Lesungen hat, wie so eine Fraktion arbeitet, wie in der Fraktion Entscheidungen getroffen werden. Wie die Fraktion mit der Partei die Meinungen spiegelt. Wie so ein Ausschuss funktioniert. Das hat einen Sinn. Und das jetzt auskippen zu wollen durch irgendwie so eine Art Parlamentsbasis-Demokratie, ist aus meiner Sicht nicht erfolgreich. Und da werden andere Parteien auch niemals mitmachen. Selbst die AFD spielt ja das Spiel mit. Die setzen Nadelstiche und sind laut und bringen dieses Parlament so ein bisschen in eine provokative Wallung. Also ich finde das auf eine Art und Weise auch sehr belebend, dass die einfach mal auf ein paar Regeln pfeifen. Aber auch die ändern die Regeln nicht. Im Gegenteil, da wo sie zu laut sind, da wo sie zu viele Regeln ändern wollen, wo sie zu widerborstig sind, sagt die Mehrheit: „Wir schließen euch einfach aus. Ihr kriegt keinen Parlaments-Vize. Ihr verliert hier den Ausschussvorsitz. Wir machen das nicht mit.“ Das heißt, das wird sich nicht durchsetzen. Und die Deutschen lieben nun mal Stabilität. Deswegen tragen die auch gerne Masken. Deswegen akzeptieren die auch die ganze staatliche Repression. Die Deutschen finden das sehr gut. Die haben keinen Bock auf Revolution. Und schon gar nicht in Parlamenten. Und deswegen ist der nächste Punkt, wo ich sage, das ist nicht erfolgreich. Das ist nicht unsere Kultur. Das geht vielleicht in Frankreich.

Müller: Jetzt sehen wir ja, dass unglaublich viele Menschen demonstrieren wollen, aber jetzt nicht dürfen, weil ja die Versammlungen sozusagen begrenzt werden wegen der Infektionsgefahr. Und es ist ja im Prinzip etwas, was eben auch diese neue Partei will: Sofort die alte Normalität wieder herstellen, weil ja offensichtlich die ganzen Zahlen keine Pandemie mehr hergeben und auch keine Epidemie mehr hergeben. Und da schreit natürlich jeder nach Transparenz. Warum ist das eigentlich so? Warum muss hier noch viel mehr sozusagen pleitegehen, kaputt gehen, den Bach runter gehen? Warum müssen wir weiterhin in einer Situation leben, die uns und unsere Kinder und auch die älteren Menschen traumatisiert? Die sehr viele Tote verursacht, die nicht an der Covid-Erkrankung sterben, sondern eben an nicht durchgeführten Operationen, an nicht durchgeführten Behandlungen, Suiziden und solche Sachen? Warum muss das sein? Und da gehen die Leute auf die Straße, wollen auf die Straße. In Berlin werden sie niedergeknüppelt. In Stuttgart begrenzt man die Teilnehmerzahl. Warum ist das alles so? Das macht ja die Politik.

Al-Omary: Ja, gut, jetzt ist natürlich das Infektionsschutzgesetz ein relativ starkes Schwert. Um das vorab zu sagen, ich halte die Maßnahmen auch für falsch. Ich habe das ja auch sehr deutlich kommuniziert. Ich möchte das Recht haben, mich selbst zu infizieren. Ich will nicht vom Staat beschützt werden. Ich will selbst entscheiden, ob ich das Risiko eingehe oder nicht. Die Abstandsregeln, die Hygieneregeln, die Ausgangsverbote sind ja faktisch Berufsverbote für bestimmte Branchen. Und auch das Öffnen der Restaurants und des Handels ist für viele nur ein Tod auf Raten. Weil es sich eben nun mal nicht rechnet. Also den Gedanken von Widerstand 2020 kann ich durchaus teilen. Ich halte viele Maßnahmen für falsch, die da gemacht werden, um das vorab zu sagen. Auf der anderen Seite, wenn nun mal die Regeln bestehen, dass man sagt, es wird eben übertragen durch Atem und durch Luft, hat es natürlich Sinn, die Teilnehmerzahl zu begrenzen. Man sagt aber heute auch: „Draußen infizierst du dich nicht, draußen ist durchlüftet.“ Man könnte noch sagen: „Tragt Masken.“ Man kommt ja auch langsam da hin. Das Demonstrationsrecht wurde ja durch Gerichte geöffnet und nicht durch die Politik. Jetzt war ich lange in der Politik, und ich glaube auch, dass für viele, zumindest in der Regierung, im Parlament eher so halb, das schon viele feuchte Träume wahr werden lässt. Die Bevölkerung ist ruhig gestellt. Die Bevölkerung hat ein bisschen Sorge. Die Bevölkerung glaubt an diese Maßnahmen. Es ist die Stunde der Exekutive, das ist ja so ein Standardspruch. Und unter dem Aspekt lässt sich natürlich sehr gut regieren und lassen sich natürlich viele Dinge jetzt auch umsetzen, die vorher undenkbar gewesen wären. Weil die Bevölkerung jetzt eben aufnahmebereit ist für mehr Staat. Genauso absurd ist es ja. Früher hat man gesagt: „Um Gottes Willen keine Staatswirtschaft. Der Staat ist kein guter Unternehmer.“ Heute schreien sie alle danach. Weil der Staat löst mit viel Geld der Steuerzahler Probleme, die es ohne den Staat gar nicht gegeben hätte. Das ist ja leider auch die Realität. Nur wenn die Regeln halt nun mal gelten, Abstandsgebot und so weiter, hat es auch Sinn, das bei Demonstrationen einzuhalten. Wie mit den Demonstranten umgegangen wird, das schockiert mich allerdings auch. Und jetzt denke ich weniger an Polizeiknüppel. Also ich glaube durchaus, dass ein Polizist einen guten Job macht, und dass die sich da auch wirklich Mühe geben. Und die verdienen auch Respekt. Ich wollte kein Polizist sein und meine Knochen hinhalten. Weder bei einer Demo noch bei einem Bundesliga-Spiel. Deswegen würde ich da keine Polizistenschelte betreiben. Was mich aber stört, ist, dass Du natürlich recht hast, dass da ganz viele normale Leute sind, die einfach sagen: „Ich will meine Kinder wieder in die Kita bringen. Ich will endlich wieder normal arbeiten. Ich habe Angst, mein Geschäft zu verlieren. Mein Lebenswerk rutscht hier ab. Ich werde in meiner Existenzplanung zehn Jahre zurückgeworfen.“ Das sind alles legitime Interessen. Und dass dann, weil da einfach ein paar Spinner dabei sind, man jetzt sagt: „Alle, die da demonstrieren, sind Verschwörungstheoretiker, sind Nazis, sind Leute, die an irgendwelche Mythen glauben, sind Impfgegner, sind Radikale.“ Da werden ja ganz viele Stempel drauf gedrückt, was aber normal ist. Und das kommt auch ein Stück weit daher, und dann schließe ich den Kreis zum Thema Partei, eine Partei ist immer eine Konkurrenz für andere Parteien. Und natürlich hat es Sinn, solche Parteien zu stigmatisieren. Das erlebt eine AFD ja auch. Und das hat auch die Linke am Anfang erlebt. Das haben auch die Piraten erlebt. Dass da sehr schnell so Etiketten drauf kommen. Und man dann natürlich irgendwie auch an Reputation verliert. Es ist eben nicht so, dass da nur besorgte Bürger sind. Aber es ist eben auch nicht so, dass die Mehrheit unter diesen Stempel „rechts, Verschwörungstheoretiker, Spinner, Impfgegner“ passt. So, und da liegt ein bisschen auch die Problematik, dass man aus meiner Sicht versucht, das in eine Ecke zu stellen, als ob es unseriös sei zu demonstrieren. Als ob es nicht legitim sei, dort zu demonstrieren. Dass man sagt: „du sollst nicht 1,50 Meter Abstand halten, sondern von Nazis, da darfst du gar nicht hingehen“. Das ist das viel Schlimmere, was da passiert. Diese Stigmatisierung einer Bürgerbewegung. Und da hat meines Erachtens Widerstand 2020 keine Mittel gefunden, sich dagegen vernünftig zu wehren, was auch wieder auf die mangelnde Professionalität zurückzuführen ist. Aber es gibt eben auch diese Spinner. Und die ziehen natürlich auch die Öffentlichkeit auf sich. Also Atilla Hildmann, der ein paar Wochen vorher noch bei Schlag den Star war und fernsehbekannt ist, der erzählt halt so einen Unsinn. Dann darf man sich eben auch nicht wundern, dass am Ende das, was der sagt, allen Demonstranten angehängt wird. Als Medienprofi weiß ich, wie die Mechanismen funktionieren. Widerstand 2020 grenzt sich davon nicht ab, sondern absorbiert das alles, und kriegt natürlich dann auch die volle Breitseite der öffentlichen Debatte. So was kommt von so was.

Müller: Jetzt sind ja die ganzen Demonstrationen nicht von Widerstand 2020 organisiert. Sondern es sind ja andere, die das machen. Stuttgart ist ja glaube ich von Querdenken 711 organisiert worden. Und da waren Leute von Widerstand 2020 dabei. Es sind viele Bewegungen, die da jetzt gerade aufstehen und sagen: „Okay, sofort unsere Grundrechte wieder zurück.“ Und das ist ja Politik.

Al-Omary: Nein, es sind ja eben nicht viele. Es ist eine laute Minderheit. Aber die Umfragen sagen ja sehr klar, 80 Prozent finden das toll, was da gerade passiert. Immer noch, wobei wir nicht mal mehr 10.000 Infizierte haben.

Müller: Ich glaube diesen Umfragen nicht. Wenn ich sie nicht selbst gefälscht habe, die Statistik, glaube ich ihr nicht.

Al-Omary: Selbst wenn es nur die Hälfte ist, ist es immer noch schlimm genug. Ich sehe das ja auch auf Facebook, auf meine Posts hin bezogen, wie viel Gutmenschentum, wie viel Staatsgläubigkeit, wie viel Vertrauen in eine Regierung, wie viele Rufe nach noch mehr Lockdown und alles da ist. Ich glaube schon, dass das eher eine Mehrheit ist. Es sind auf jeden Fall sehr, sehr viele. Also Widerstand 2020, ich glaube nicht, dass das mehrheitsfähig ist. Und dass da viele Gruppen sind, ja das ist richtig. Man hat ja mal von einer Querfront gesprochen, da sind ja Linke mitmarschiert und Rechte mitmarschiert und ganz, ganz verschiedene Gruppen und Erzieherinnen und was weiß ich, was alles. Genau das ist eben das Problem, ich kann in dieser Heterogenität der verschiedenen Gruppen nur schwerlich eine Parteiprogrammatik entwickeln, die mehrheitsfähig ist. Und die dann wirklich ideologiegeschlossen ist, um zu sagen, ich kann das wählen. Also eine AFD ist halt rechts, und eine FDP ist halt liberal, und eine CDU ist halt konservativ. Das hat irgendeine weltanschauliche Basis. Die fehlt Widerstand 2020 eben auch komplett. Was aber eben passiert ist, diese Querfront, wo alle möglichen Leute zusammenkommen, und weil das so heterogen ist, muss man sich das auch anrechnen lassen. In einer solchen Debatte, die so polarisiert ist, ist für diese Differenzen, das ist 711, und das ist Widerstand 2020, und das ist die AFD, und das ist ein Kreisverband von irgendwelchen Impfgegnern, und das ist eine Lehrerin, die hat das auf eigene Kappe organisiert. Diese Differenzierung bekommst du bei dieser radikalen Polarität der Debatte nicht hin. Und du hast selbst diese Polarität ja am Anfang beschrieben. Jetzt muss was gemacht werden. Und in dieser Stimmung kannst du nicht erwarten, dass Politik und Medien differenzieren, sondern es kommt natürlich der Stempel drauf: „Das ist staatsfeindlich, das sind Verrückte.“ Das ist in der Mediendemokratie, wie wir sie haben, ein relativ normales Phänomen, das man vorher wissen kann. Finde ich nicht richtig, ist aber Fakt.

Müller: Gut, also meine Intention war Aufbruchstimmung. Aufbruchstimmung in dem Sinne, ich merke jetzt durch diese Situation und durch diese viele Zeit und auch durch den Zwang, nachdenken zu müssen über das, was mit mir geschieht. Also mich unter etwas unterwerfen zu müssen, was mir überhaupt nicht gefällt. Nicht nur das, sondern was ich auch vom Geist her, von der ganzen Logik nicht nachvollziehen kann, weil ich viel zu viele Informationen aus verschiedenen Quellen mir herhole und nicht immer nur eine Meinung anschaue. Sondern mir auch eben Zahlen herhole und gegeneinander sozusagen stelle und schaue, was ist denn hier jetzt mathematisch logisch? Und da kann ich also nicht sehen, dass diese Maßnahmen, die uns übergestülpt werden, die uns aufgezwungen werden, die ganz viel kaputt machen, irgendeinen positiven Zweck tatsächlich verfolgen. Also ich kann ja nur sehen, dass genau diese Maßnahmen das Gegenteil bewirken von dem, was sie bewirken sollen. Sie sollen uns ja gut tun. Sie sollen ja eine Bevölkerungsschicht schützen. Sie sollen uns gesund erhalten oder wieder gesund machen. Und es passiert im Prinzip genau das Gegenteil. Wir werden krank, wir werden traumatisiert. Ganz Deutschland kann nicht mehr schlafen. Die alten Menschen sterben aus Einsamkeit heraus. Wie gesagt, die Operationen, das alles habe ich schon alles erwähnt. Es passiert häusliche Gewalt. Im Prinzip ist das, was jetzt hier geschützt werden soll, zu Tode geschützt. Das ist wie „Ich liebe dich zu Tode“. Da umarmt dich jemand und drückt zu und drückt zu und drückt zu, bis du nicht mehr atmen kannst. Dann bist du weg. Meine Intention war, zu sagen: „Okay, das ganze System stimmt nicht, das kann nicht stimmen.“ Denn wenn ein solches System, was wir sozusagen als Bürger ja miterschaffen durch unsere Arbeit, durch unsere Steuern, wendet sich gegen sich uns und bringt uns um. Und da war eben mein Enthusiasmus: „Ah, hier sind Leute, hier sind ganz viele Leute, die wollen das ändern. Die spüren das auch. Die spüren auch, dass da wirklich der Fisch vom Kopf stinkt. Also wir müssen mal gucken, und wir wollen das ändern.“ Und das war jetzt zum Beispiel etwas, was mir in dieser Situation geholfen hat, selbst wenn das nicht funktionieren wird. Also es war super klasse, dass das entstanden ist. Weil da habe ich wieder so ein Fünkchen Hoffnung gehabt und habe mich nicht ganz so hilflos gefühlt. Also es würde mir auch gefallen, und ich wäre auch wirklich sehr, sehr gerne dabei, etwas auch im System zu verändern. Also bis jetzt war ich ja immer diejenige, die in meinem Umkreis sehr viel verändert hat und auch sehr viel Einfluss hatte. Ganz im Gegensatz, wie du sagst, was hinterlässt du aus Deiner 20 Jahre Politik? Also aus meiner Arbeit habe ich schon sehr, sehr viel Positives hinterlassen. Merkbar und nachweisbar. Und deshalb wäre es für mich auch etwas, was ich gar nicht machen wollte. Dass ich jetzt zum Beispiel mich da in irgendwas hineingebe, was nichts bringt im Endeffekt. Wo ich mir die Zähne dran ausbeiße. Aber dieses: Okay, ich möchte jetzt etwas verändern, weil das stimmt nicht. Wie kann ich das verändern?

Al-Omary: Meine Resignation aus 20 Jahre Politik soll den Leuten nicht das Engagement nehmen. Ich finde es ja grundsätzlich gut, wenn Menschen was tun. Und das Einzelne was bewegen können, sieht man an anderer Stelle ja auch. Jetzt bin ich kein Freund von Greta Thunberg. Aber was Greta Thunberg erreicht hat mit Präsenz, mit Bewusstseinsveränderung und politischer Einflussnahme, ist ja beeindruckend. Also ich will jetzt nicht sagen, der Einzelne kann nichts bewirken, und so eine Bewegung ist sowieso Unsinn. Das ist auch nicht meine Aussage. Man kann schon extrem viel bewirken, wenn man die Dinge professionell angeht. Wo du recht hast, ist natürlich der Punkt, dass eine Politisierung und ein Informationshunger entstanden ist durch Corona. Ich weiß auch noch, dass ich in den ersten Tagen jede Nachricht konsumiert und den ganzen Tag – wie gesagt – da dran hing. Und das weiß ich von ganz, ganz vielen. Dabei hast du ja unheimlich schnell dieses Wort „Hobby-Virologe“ so als Schimpfwort bekommen, wenn du eine Meinung geäußert hast.

Müller: Ich glaube „Hobby-Virologe“ ist noch ein wesentlich besserer Titel als „Star-Virologe“.

Al-Omary: Ja genau. Also ich habe oft gehört, wenn ich eine Meinung geäußert habe und habe dann irgendwie einen Zeitungsartikel gepostet: „Ach, der Hobby-Virologe Al-Omary wieder.“ Von daher war man da schnell dabei. Aber das Wissen, was ist exponentielles Wachstum, wie funktioniert so ein Virus, das war in der Bevölkerung plötzlich da. Und man hat ja auch gemerkt, dass bei Tageszeitungen die Redaktionen viel mehr gearbeitet haben. Dass mehr Leute Zeitungen abonniert haben. Dass die ganzen Informationsseiten viel mehr Klicks hatten. Also der Wunsch nach Information, nach seriöser Berichterstattung war extrem hoch. Und auf der anderen Seite ist aber eben auch gesagt worden: „Die sagen alle das gleiche.“ Ich kenne unheimlich viele Leute, die jeden Tag dutzende YouTube-Videos zugeschickt bekommen, wo halt eben eine ganz gegenteilige Meinung vertreten worden ist. Wir haben eine kontroverse Debatte erlebt über die sozialen Netzwerke mit einem gleichzeitigen hohen Informationsdurst. Und alles, was nicht Mainstream ist, da kommt das Prädikat Verschwörungstheoretiker drauf. Nichtsdestotrotz hat auch das eine riesige Konjunktur. Das kann Politik eben auch nicht mehr ignorieren. Wenn man sich fragt, was bleibt denn? Möglicherweise bei allem Scheitern, was ich prognostiziere für die Partei Widerstand 2020, glaube ich, dass ein höherer Politisierungsgrad bleibt. Dass ein höher Wunsch nach Medienkonsum bleibt. Dass ein höherer Wunsch nach alternativen Medien bleibt. Dass mehr Medienmündigkeit übrig bleibt. Und dass eine Polarisierung bleibt von denen, die eben sagen: „Na ja, ich bin eher so auf der Seite öffentlich-rechtliches Fernsehen, Staat, Parteien, Regeln.“ Und dass andere diesen Widerstand eher dann auch zu so einer Gesinnung erheben, die auch nach Corona noch eine Chance hat zu überleben. Ich weiß noch nicht, wie ich das finde. Auf der einen Seite finde ich eine gewisse Radikalisierung lebendig für die Demokratie und auch irgendwie gut. Man kann der AFD ja sagen, was man will, aber sie hat ja viele Nichtwähler geholt. Die waren halt vorher einfach irgendwie verschollen und in Resignation. Die haben mal so ein Potenzial an Wählerklientel offengelegt. Die waren immer da, die wussten nur nicht, wo sie hin sollten. So ein Potenzial könnte auch Widerstand 2020 bringen und auch bergen. Es macht vieles sichtbar. Also es ist nicht alles wirkungslos. Ich glaube nur, dass es als Partei nicht funktioniert. Aber der Wunsch nach alternativen Medien, nach Mediennutzung, nach Information, nach guter Argumentation – also wir haben ganz viele Leute, die plötzlich geschult darin sind, besser zu posten, wirkungsvoller zu posten, auch im positiven Sinne überzeugender manipulativer zu posten. Also es ist mehr Mündigkeit entstanden. Aber es ist natürlich auch unheimlich viel Schrott in der Welt, wo du einfach sagst, hey, das braucht die Welt jetzt nicht. Es wird aber heute als Debattenbeitrag in die Debatte geworfen. Und diese Lebendigkeit, die da entstanden ist, die könnten wir uns als Demokratie oder als Gesellschaft möglicherweise erhalten, wenn wir es kanalisiert bekommen.

Müller: Und wie kann man das machen? Wie kann das passieren? Also angenommen, ich hätte jetzt bei Widerstand 2020 irgendwann einmal was zu sagen. Was weiß ich, gehen wir einfach mal davon aus, es wäre so. Was müsste ich tun?

Al-Omary: Musst du gucken, wo Widerstand 2020 dann steht. Wie sind die Strukturen? Im Grunde müsstest du lernen, wie ein Politiker zu denken und zu handeln. Das heißt nicht, dass man jede Regel befolgen muss. Man darf auch gerne Tabus brechen. Das hat die AFD ja auch gemacht. Und Aufmerksamkeit kriege ich eben nicht, wenn ich stromlinienförmig bin. Aber ich muss natürlich schon wissen, was bedeutet Macht? Wie baue ich Lobbying auf? Und irgendwann wird es dann nicht mehr genügen, 500 oder 5.000 Demonstranten irgendwo hinzustellen. Zumal die Mobilisierung auch abnimmt. Lass mal die harten Maßnahmen vorbei sein, dann bricht irgendwann auch der Widerstand zusammen. Und wenn die Leute alle im Existenzkampf sind, glaube ich auch nicht, dass man die stark mobilisieren kann. Dann wird es eine Elite geben von Funktionären der Organisation, die dann im Licht der Öffentlichkeit steht. Beispiel Klimaschutzbewegung, Luise Neubauer. Das sind natürlich dann Protagonisten, die in der Öffentlichkeit stehen. Das heißt, ich würde lernen, mit Medien umzugehen. Ich würde lernen, zu polarisieren. Ich würde lernen, Informationen so zu werten und zu deuten, dass sie in mein Weltbild passen und sie so professionell zu verpacken, dass sie glaubhaft sind. Im weitesten Sinne: Ich muss Kampagne lernen.

Müller: Gut, okay. Angenommen, ich habe die Kampagne schon gelernt, die hat Erfolg. Was ist dann mein nächster Schritt, um was zu ändern?

Al-Omary: Ich glaube, dass Kampagne an sich viel ändert. Wenn ich medial präsent bin, kann ich was ändern. Also ich würde mal nicht davon ausgehen, dass du ein Mandat oder so bekommst. Da geht es ja noch mal ganz anders los. Weil ich würde davon ausgehen, dass über die Kampagne ein Beeinflussung stattfindet. Und das muss man dem Widerstand 2020 schon zugutehalten. Das war eine laute Minderheit. Und dass es diesen Protest gab, hat glaube ich Lockerungen durchaus beschleunigt. Also der Bedarf der Politik, Dinge besser zu erklären, Dinge schneller zu lockern plus der föderale Wettbewerb – jetzt geht ja Bodo Ramelow vor und öffnet noch viel schneller, und andere machen es langsamer. Die gucken natürlich auch nach Umfragen und gucken natürlich auch, wie viele Menschen treffen sich da in Stuttgart, und können das hochrechnen. Die haben ja auch alle bessere Zahlen, als wir die bekommen. Da wird was bewegt. Und die Frage ist, wenn ich eine Funktion in so einer Organisation habe, wie schaffe ich es, aus einer Kommunikationsfliege einen Wirkungselefanten zu machen, der andere so beeinflusst, dass die zumindest ihre Entscheidungen überdenken? Wie kriege ich es hin, Krach zu schlagen? Und was sind die nötigen Verstärker dazu? Und das ist das originäre Handwerk. Und dann kann ich auch möglicherweise schon was bewegen, unabhängig im Parlament zu sein. Das sehe ich wie gesagt gar nicht. Aber das könnte funktionieren für eine gewisse Zeit.

Müller: Also wenn ich dir jetzt zuhöre und mir das alles überlege, ist das eigentlich wirklich, dass sich in der Politik irgendetwas ändert oder dass man oder wir tatsächlich etwas an diesen Strukturen ändern kann? Dass zum Beispiel so was, was uns jetzt passiert ist, das jetzt bei der nächsten Grippe im Herbst oder meinetwegen auch in zwei Jahren, wenn dann der Pferdevirus kommt oder sonst irgendwie etwas, dass man sagt, okay, wir hatten jetzt die Schweinegrippe, das war überhaupt nicht das, was sie hätte sein sollen. Das einzige, was davon übrig geblieben ist, sind ein Haufen Impfschäden. Jetzt haben wir das Corona-Virus. Jetzt haben wir keine Impfschäden, sondern jetzt haben wir eine an die Wand gefahrene Wirtschaft. Wir haben sehr viele Arbeitslose, Insolvenzen und so weiter und so fort. Wenn man jetzt sagt, okay, so was darf nicht mehr passieren. Wie können wir uns vor einem solchen Apparat schützen, der uns eigentlich zerstört und nicht schützt? Was können wir da tun? Also ich höre, durch eine Partei geht das nicht.

Al-Omary: Das ist zumindest meine Meinung. Die muss ja nicht universell gelten. Die Frage ist, was kommt auf uns zu und wie reagieren die Leute? Wenn wir noch mal eine Pandemie haben sollten, wird ein Lockdown, weil er schon mal praktiziert worden ist, kein Tabu mehr sein. Also du hast ja jetzt relativ viele Lerneffekte und weißt, was geht. Du hast gelernt, was so eine Bevölkerung mit sich machen lässt, wenn sie genügend Angst hat. Du hast gelernt, was du als Regierung umsetzen kannst, wenn Leute den Wunsch nach Sicherheit und Schutz haben. Du hast die Mechanismen begriffen in der Verwaltung, in der Gesetzgebung, in den Krisenstäben, wie ich diese Dinge noch schneller umsetze. Auf der anderen Seite hat aber auch der Widerstand gelernt, wie man sich dagegen wehrt. Wie Widerstand funktioniert. Welche Wirkungen das hat. Ich glaube, die Learnings werden wir in drei, vier Jahren haben. Wenn wir genau wissen, wie teuer war das denn jetzt? Wenn die Wirtschaft nach einem Jahr wieder hoch geht, dann wird man sicherlich sagen: „Ach komm, die wirtschaftlichen Schäden, da sind wir doch viel besser weggekommen als andere Länder. Ist nicht so schlimm.“ Und das klassische Argument ist ja, wenn wir die Menschen einfach sterben lassen, das ist ja immer das Totschlagargument: „Du kannst nicht einfach die Leute sterben lassen, dann geht die Wirtschaft auch runter. Da würde ja keiner mehr investieren in einer so unethischen Gesellschaft. Und Wirtschaft darf nicht vor Menschenleben gehen.“ Das waren ja so die ganzen Sprüche. Wenn man jetzt aber merkt, Lockdown funktioniert, und die Wirtschaft brummt wieder, dann wird es kein Tabu mehr sein. Wenn das jetzt so teuer wird, was ich befürchte oder was ich vermute, dass wir da noch 40, 50, 60 Jahre dran abbezahlen, dann wird man sagen, das können wir uns nicht mehr leisten. Dann wird auch die Politik alles tun, so etwas ein zweites Mal zu verhindern, weil die Erfahrungen so gravierend waren. Die Frage ist, wie schlimm wird es wirklich? Das wissen wir heute noch nicht.

Müller: Da muss ich jetzt drüber nachdenken. Weil ich finde ja, es ist ja schon schlimm.

Al-Omary: Ja, aber aus Sicht eines Staatshaushaltes – also in Italien ist es schlimm. Das meine ich jetzt gar nicht in Bezug auf die LKWs, die die Leichen weggebracht haben, sondern das meine jetzt bezogen auf die Staatskrise und auf die Schuldenquote. Für uns ist das alles noch nicht wirklich schlimm. Also diese Abermillionen und Milliarden und Billionen. Das ist ja zu abstrakt für die Menschen. Und der Staatshaushalt ist halt schon irgendwie ein Problem. Aber wenn das nicht wirklich im Portemonnaie ankommt, dann ist die Frage, was dann passiert. Wer jetzt schon Probleme hat, der hat vorher schon nicht gut vorgesorgt. Aber in drei, vier, fünf Monaten, da wird man richtig sehen, was passiert. Rennen die Leute dann scharenweise zur AFD, weil sie sagen: „Ich habe keinen Bock mehr“? Wird dann Widerstand 2020 doch zu einer Bewegung, weil man sagt: „Das habt Ihr uns angetan“? Oder bleibt man weiter bei der Union, die ja in der Gunst massiv gestiegen ist in den Umfragen. Also das kann im Moment noch keiner wirklich sagen. Und die Frage ist am Ende wirklich, wie teuer wird es für den Einzelnen? Wie betroffen sind Einzelne? Wenn ein paar Kleinunternehmer kaputt gehen, die haben keine Lobby. Das sind halt einfach Kollateralschäden. Wenn jetzt aber dann drei, vier, fünf Millionen Arbeitslose dazu kommen, dann glaube ich schon, dass sich das bitter rächt auch an der Politik. Und dass dann ganz andere Organisationen Zulauf bekommen, von denen wir das vielleicht gar nicht wollen.

Müller: Ja, ich glaube mit diesem Blick in den Kaffeesatz und der Interpretation des Kaffeesatzes können wir das jetzt mal für diesen Podcast belassen. Und treffen uns dann das nächste Mal, um vielleicht das Ganze noch ein bisschen zu vertiefen. Um zu schauen, warum lassen wir das überhaupt zu? Oder warum kann man so etwas mit uns überhaupt machen?

Al-Omary: Ja, sehr gerne.

Müller: Schön, prima. Also vielen Dank fürs Zuhören, vielen Dank fürs Dabeisein. Und bis zum nächsten Mal.