Episode #008 Zu Beginn des Maschinenzeitalters, wie viel Menschlichkeit bleibt und?

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„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller, die von Medienprofi Falk S. Al-Omary interviewt wird. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

 

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Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Zu Beginn des Maschinenzeitalters: Wieviel Menschlichkeit bleibt?

Annette Müller: Herzlich Willkommen zu unserem Podcast: Gedanken zur Menschlichkeit. Heute wieder mit Falk Al-Omary. Und wir haben das Thema: Zu Beginn des Maschinenzeitalters, wie viel Menschlichkeit bleibt uns noch?

Ich möchte mir jetzt einen Staubsauger Roboter zulegen, Falk.

Falk Al-Omary: Der wird dich in deiner Menschlichkeit wahrscheinlich nicht einschränken.

Müller: Nein, ganz im Gegenteil.

Al-Omary: Nichtsdestotrotz : Wenn der Roboter seine Arbeit gut und gründlich macht und du nicht nacharbeiten musst, hast du ja plötzlich wieder Zeit gewonnen. Und wenn man das eben mal hoch bricht von deinem Staubsauger bis hin zu komplett leeren Maschinenhallen, die ohne Menschen selbstständig produzieren können, gewinnen wir alle mehr Zeit. Und die Frage ist: Wie nutzen wir die? Könnte da Potential für mehr Menschlichkeit drin liegen? Oder verlieren wir den Sinn unseres Lebens?

Müller: Also ich sehe das total als sinnfördernd an – also die Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen und die uns damit eben ermöglichen, unsere Zeit anderweitig einzusetzen. Es ist natürlich ganz wichtig zu wissen, wer sind wir und was wir mit unserer Zeit Sinnvolles tun. Also ich möchte dazu sagen, ich habe wirklich ganz gerne Staub gesaugt.

Al-Omary: Das hat etwas Meditatives, ja.

Müller: Das hat definitiv etwas Meditatives. Und vor allen Dingen ist es wirklich sehr, sehr wohltuend. Du hast ein sofortiges Ergebnis. Der Teppich sieht hinterher richtig toll aus. Du kannst einen richtigen Zen-Garten machen. Und das hat einfach etwas ganz, ganz Befriedigendes, finde ich. Aber ich muss damit mein Leben nicht verbringen. Es gibt noch so viel andere schönen Sachen.

Al-Omary: Ja, es geht am Ende des Tages in der Tat auch um Sinn.

Müller: Ja, es geht definitiv um Sinn, ja.

Al-Omary: Darum, dass man den Wert seiner Arbeit unmittelbar sieht, wenn man die Arbeit selbst erbringt. Je kapitalistischer ein System wird, umso mehr entfremdet sich der Mensch von der Arbeit. Wenn ich das aus dem Maschinenzeitalter hochbreche und am Ende sehr viele Roboter habe, die von wenigen Menschen gesteuert und verstanden werden: Wie viel Beziehung bleibt dann noch zur Arbeit? Entmenschlicht uns das vielleicht? Denn Arbeit ist ja schon etwas, das uns auch Sinn und Erfüllung gibt. Also der Gedanke: Wir wollten alle nicht arbeiten und alle faul am Strand liegen…

Müller: Das sehe ich überhaupt nicht!

Al-Omary: Ich auch nicht, nein. Die Frage ist aber: Was machen wir dann? Machen wir gemeinnützige Arbeit? Machen wir eine andere Arbeit? Werden wir menschlicher, weil wir uns auch mit Maschinen plötzlich in einem Wettbewerb befinden und uns messen müssen? Es gibt unheimlich viele Facetten dieses Themas. Ich finde das auch hochgradig spannend. Weil wir das ja immer unter dem Aspekt Automatisierung führen. Und dann gibt es mehr Arbeitslose. Und das ist ganz schrecklich. Das ist ja so ein Diskussionstrend. Ich bin eher der Meinung: Das gibt uns Zeit für Dinge, die uns mehr Freude machen. Ich habe beispielsweise einen Kunden, der entwickelt Roboter-Software für Versicherungskonzerne. Am Anfangs hatten die Menschen Angst, das würde ihren Arbeitsplatz gefährden. Und jetzt sagen sie: Gott sei Dank, dass die Roboter da sind! Diesen ganzen Kram, diese ganzen Routinen, diese ganzen nutzlosen Handgriffe, die wir gemacht haben, Gott sei Dank bin ich davon befreit. Jetzt kann ich mich um Kundenbindung kümmern, um Service kümmern, um neue Produkte kümmern. Und im Grunde bin ich jetzt befreiter.

Müller: Ja. Im Grunde bin ich befreiter, weil ich jetzt Zeit habe für Kreativität. Für mich ist der Mensch immer, in jeder Sekunde, kreativ. Das ist schöpferisch. Und es ist etwas, das Sinn macht und das Freude macht. Das ist auch das, was uns voranbringt. Also selbst ein Wissenschaftler ist kreativ, obwohl er meint, er sei es nicht, weil er eben damit beschäftigt ist, die alten Strukturen zu zementieren und Fortschritt nicht zuzulassen.

Al-Omary: Wobei Wissenschaftler ja eigentlich den gegenteiligen Anspruch haben…

Müller: Den sollten sie haben. Wenn wir uns das aber anschauen, ist es nicht so. Es war noch nie so. Wenn wir in die Geschichte zurückblicken: Sämtliche Wissenschaftler, die eine Veränderung und einen Fortschritt angestrebt haben, die wurden bekämpft, die wurden teilweise auch weggesperrt. Das ist auch heute noch der Fall.

Al-Omary: Was ja aber deren Entwicklung nicht aufgehalten hat.

Müller: Nein. Aber das wissen wir nicht. Wir wissen nicht, wo wir heute wären, wenn wirklich Forschung zugelassen worden wäre. Das sehen wir ja heute mit der angestrebten Energiewende. Vor 15 oder vielleicht noch mehr Jahren hatte ich Kontakt zu einer Familie, deren Sohn in seinen eigenen Forschungsarbeiten Solarzellen entwickelt hatte, die man wie einen Filmstreifen auf das Auto aufbringt. Damit wird das Auto gespeist. Man muss es nie mehr auftanken. Es braucht gar kein Benzin. Er ist mit dieser Forschung von Autohersteller zu Autohersteller überall in ganz Europa und auch in Amerika gegangen, aber keiner wollte das haben. Er wurde sogar bekämpft. Zu dem Zeitpunkt hat mir das noch keiner geglaubt, dass das existiert. Dann hat man gesagt: Ach, das ist einfach Fantasie, das kann gar nicht sein. Und heute hören wir von einer Firma in Schweden, die mit genau diesen Solarzellen arbeitet. Also das wird das Auto damit gebaut und beschichtet – und das ist genau die Technik, von der ich vor 15, Jahren oder länger schon gehört habe. Das ist Forschung. Hier ist die Kreativität. Der Mensch will schöpfen. Er will einfach voranschreiten. Und würden wir das nicht aufhalten, wären wir vielleicht schon viel, viel weiter. Also auch mit Maschinen, die uns das Leben erleichtern. Die uns die Routinearbeiten abnehmen und uns den Rücken freihalten für Dinge, die unglaublich sinnvoll sind und auch befriedigend.

Al-Omary: Da frage ich aber: Setzt jeder auch sein Potential so ein? Und ist jeder befähigt dazu? Ich glaube in der Tat, dass wir, wenn wir über Maschinenzeitalter sprechen, das Thema Wertschöpfung neu definieren müssen. Wir definieren ja heute Wertschöpfung sehr stark über Lohnarbeit, über das Eingebundensein in einen Produktionsprozess. Über systemische Dinge der Erzeugung von Produkten. So definieren wir heute eine marktwirtschaftlich kapitalistische Wertschöpfung. Wenn die Maschinen uns sehr viel Freiraum geben für mehr, werden Menschen kreativere Arbeit machen. Vielleicht werden weniger Menschen noch in Arbeit sein. Wie kriegen wir es dann hin, dass das schöpferische Potential, das erst einmal jeder mehr oder weniger in sich hat, dann auch vernünftig eingesetzt wird und nicht einfach verfällt? Das kann ja eine Riesen-Chance sein.

Müller: Ich bin der Überzeugung, dass die Kreativität und die Fantasie und das Schöpfen und das Sichausdehnen und -ausbreiten, dass wir uns darüber keine Sorgen machen müssen. Es ist einfach in unserer Natur, immer wieder neue Dinge zu erschaffen.

Al-Omary: Natürlich gibt es immer einen kollektiven Fortschritt. Das ist ja völlig unbestritten. Und natürlich nimmt an dem zwangsweise jeder irgendwo teil. Ich kann da bremsen, wie ich will. Am Ende werde ich zumindest ein Teil des Fortschritts mitmachen müssen.

Müller: Also bist du der Meinung, dass Menschen, wenn die Maschinen arbeiten, nichts mehr tun?

Al-Omary: Nein, ich frage einfach. Also ich glaube einfach, dass es sein könnte, dass einige Menschen dann nichts mehr tun.

Müllern: Vielleicht müssen sie sich auch erst einmal ausruhen.

Al-Omary: Ja gut. Mein Eindruck ist, dass sich heute auch schon viele ausruhen, obwohl es noch gar nicht so unbedingt in dem Ausmaß eine Automatisierung gibt.

Müller: Ist es wirklich ein Ausruhen oder ist es eine Resignation? Das ist eben wirklich die Frage. Ein Ausruhen heißt meist: Okay, du tust nichts oder du bist vielleicht krank. Oder du hast einen Burnout. Da sagt man: Ja, der will sich ausruhen. Aber das ist eben die Frage: Was ist da die Ursache davon? Also für mich ist die Ursache schon auch Depression und ein wirklich fehlender Sinn.

Al-Omary: Ja. Ich bin eher auf der Ebene Leistungsverweigerung unterwegs…

Müller: Das habe ich gerade gehört. Genau.

Al-Omary: Die gibt es natürlich auch.

Müller: Natürlich gibt es die.

Al-Omary: Ich will mich auch gar nicht auf einzelne Gruppen fokussieren. Dieses Burnout als Erkrankung oder Leistungsverweigerung – es gibt immer Menschen, die leisten mehr. Sei es im Sinne der klassischen Wertschöpfungstheorie oder sei es im Sinne von der Gesellschaft etwas zurückgeben, gemeinnützig, ehrenamtlich. Und es gibt eben andere, die leisten weniger. Das liegt auch in der Natur des Menschen: mal mehr, mal weniger zu tun.

Müller: Die Frage ist dann wieder: Was ist überhaupt Leistung? Was soll daraus kommen? Was ist eine Leistung? Was ist keine Leistung? Der Erfinder des Lasers etwa, Gordon Gould, was hat der geleistet? Der hat viele, viele Jahre nur gedacht. Da sagen andere: Der tut nichts. Der arbeitet nichts. Dann plötzlich: Boah, der Laser ist da. Das hat die Welt verändert.

Al-Omary: Das ist ja genau die Frage: Müssen wir nicht eigentlich den Leistungsbegriff neu definieren? Jetzt bist du ja selbst Philosophin. Die Frage ist: Was leistet Philosophie? Da würde man ja sagen: Kind, warum studierst du Philosophie, das ist brotlose Kunst. Und am Ende sind natürlich auch Gedanken etwas Inspirierendes, obwohl sie eben keine unmittelbare Produktionssteigerung, keine Wertschöpfung im wirtschaftlichen Sinne bringen. Trotzdem laufen wir alten Meistern nach und bewundern ihre Weisheit und handeln ja auch danach. Also ganze Staatsphilosophien basieren auf Philosophie.

Müller: Wir bewundern deren Gedanken. Die Gedanken sind die Grundlage jeder Schöpfung. Die Gedanken sind die Grundlage unserer Welt. Die Gedanken sind Grundlagen unserer Roboter. Die Gedanken sind die Grundlagen von deinem Q7. Der würde nicht da sein, wenn das nicht jemand mal erdacht hätte.

Al-Omary: Ganz ohne Frage. Ich finde ja ohnehin, dass wir uns viel zu wenig Zeit zum Nachdenken nehmen. Wir sind in einer – meine subjektive Wahrnehmung – hektischen Betriebsamkeit. Wir leisten es uns kaum noch, inne zu halten. Dann diskutieren wir über eine neue Fehlerkultur, die gestattet werden muss. Wir müssen Fehler machen dürfen. Und aus den Fehlern dürfen wir dann lernen. Ich sage ja: Würden die Leute nicht immer so hektisch sein und erst einmal in Ruhe nachdenken, würden sie auch weniger Fehler machen. Und da sind wir beim Thema Maschinen: Die machen natürlich erst einmal qua Definition weniger Fehler.

Müller: Bei denen muss aber auch erst einmal gemacht werden. Die müssen auch erst einmal gedacht werden. Das ist ganz wichtig. Ideen entstehen in einem Kopf und jemand setzt die um. Und dann funktionieren sie.

Al-Omary: Genau. Und die Fehler, die Maschinen machen sind, am Ende menschengemachte Fehler, weil die Maschinen falsch programmiert und eingestellt worden sind. Das heißt aber auch, dass die Maschinen nicht für Folgen von Fehlern haften. Am Ende haften Menschen. Und da ist es ja eben hilfreich, dass am Ende die Maschinen nicht über uns gekommen sind. Das war ja keine Invasion. Sondern das ist eine Entwicklung, die wir seit Jahrhunderten betreiben. Wir haben immer versucht, effizienter und effektiver zu werden. Vom Fließband an. Am Ende haben wir dann über eine Automatisierung von Produktionshallen gesprochen – bis jetzt dahin, dass wir über Künstliche Intelligenz sprechen. Industrie 4.0. Internet der Dinge. Maschinen, die sogar miteinander kommunizieren und sich selbst steuern. Und da ist die Entwicklung noch lange nicht zu Ende. Aber das Streben nach mehr Effektivität, nach mehr Effizienz, nach mehr Rausholen aus den Ressourcen, das ist ja nicht neu. Das versuchen die Menschen seit Jahrhunderten. Deswegen macht mir diese Entwicklung keine Angst. Die ist etwas Natürliches. Sie wirkt nur beschleunigter, weil wir eben immer mehr in diesem Bereich wissen und weil Technologien wie Blockchain und KI uns nochmal neue Möglichkeiten geben. Aber die Frage ist trotzdem: Wo ist denn da die Menschlichkeit? Können wir mehr für uns tun und mitmenschlicher sein? Oder führt das zu weniger Menschlichkeit?

Müller: Meines Erachtens führt das zu viel, viel mehr Menschlichkeit. Und vor allen Dingen führt es zu viel mehr kreativem Ausdruck. Das habe ich vorhin schon gesagt. Nicht nur weil wir mehr Zeit dazu haben. Wir haben ja heute schon Zustände, von denen wir vor vielen Jahren gesagt haben: Das ist überhaupt nicht möglich. Die Dinge, die heute möglich sind, die begreift ja kein Mensch. Also zumindest niemand, der nicht Techniker ist oder sich mit der IT beschäftigt. Erkläre mir mal, wie eine E-Mail funktioniert. Erklär mir mal, wie es genau funktioniert mit dem Fax. Erklär mir mal bitte, wie das funktioniert, wenn ich mich zum Beispiel auf das Fax-Gerät lege, mich auflöse und ohne Zeitverzögerung in Amerika wieder auftauche. Woher wollen wir wissen, dass das nicht irgendwann auch einmal möglich ist? Du schaust mich an und lachst, aber wir haben über solche Ideen schon vor vielen, vielen Jahren gelacht und andere für verrückt erklärt.

Al-Omary: Ich lache jetzt gerade gar nicht über dich, sondern ich finde: Das Fax ist ja eher etwas Anachronistisches. Das Fax ist jetzt sicherlich nicht ein Indiz dafür, dass wir technologisch jetzt groß vorankommen. Auch eine E-Mail ist ja etwas, das völlig veraltet ist – eigentlich. Aber den weitergedachten Gedanken, dass man sich am Ende möglicherweise selbst irgendwie beamen und transformieren kann, halte ich nicht für völlig abwegig. Denn schau dir etwa „Star Trek“ an. Das ist irgendwie in den 1970er Jahren entstanden. Wahnsinnig viel von dem, was uns damals als Science-Fiction präsentiert worden ist, ist heute möglich. Das Beamen noch nicht, aber Holgramme, Künstliche Intelligenz, Warpgeschwindigkeit, Sprachsteuerung – all das findet ja heute statt.

Müller: Ja. Das Internet etwa ermöglicht uns ja so etwas wie Gedankenübertragung in Sekundenschnelle. Das heißt: Ich habe hier einen Gedanken, und der kommt in Amerika sofort an.

Al-Omary: Ja. Auch solche Dinge wie Telepathie…

Müller: Wir haben also die Telepathie nicht geistig entwickelt, sondern wir haben sie technisch entwickelt. Das ist auch eine Art der Telepathie.

Al-Omary: Ja. Ganz ohne Frage. Und die Psychologie spielt auch eine Rolle. Dass wir immer mehr vom Menschsein entschlüsseln und natürlich darüber auch neue Kompetenzen erlernen. Ich habe ja die Hoffnung, dass möglicherweise dieses kreative Potential, das uns die Maschinen geben, dass sich das in Kunst ausdrückt. Denn am Ende sind ja auch viele Dinge aus „Raumschiff Enterprise“ und Jules Vernes “In 180 Tagen um die Welt“ Realität geworden, die früher nur gedacht waren. Aber es hat sie mal einer gedacht. Das heißt, wenn ich heute in die Kunst gucke, in das, was in Filmen produziert wird, sehe ich vielleicht auch schon einen Teil der Zukunft. So wie ich von dem, was damals produziert worden ist, die heutige Realität in Teilen sehe. Also möglicherweise beschleunigen wir damit sogar eine noch weitere Technisierung, weil wir mehr Zeit haben, zu denken. Und wenn es gedacht ist, dann versucht es jemand zu entwickeln.

Müller: Selbstverständlich. Wenn ich meine Mama zum Beispiel anschaue, die ja Gott sei Dank noch lebt und die auch sehr alt ist, die versucht wirklich Schritt zu halten mit der Welt und mit dieser ganzen Technik. Und die sagt zu mir, wenn sie eine CD in der Hand hält: Oh diese Schallplatte sieht aber interessant aus.

Al-Omary: Und auch eine CD. Man hat ja im Auto gar kein Laufwerk mehr.

Müller: Mein Computer auch nicht mehr.

Al-Omary: Ich habe noch einen Keller voll an CDs, wo soll ich die denn reintun? Da gibt es gar kein Lesegerät mehr. Wir kennen ja sogar noch Kassetten.

Müller: Ja. Und ich erinnere mich an die James-Bond-Filme, in denen sich der Spion mit einem kleinen Mikrochip über die Grenze geschmuggelt hat. Das war totale Science-Fiction.

Al-Omary: Ja. Ohne Frage. Aber am Ende wäre es ja wirklich eine schöne Vision, dass immer mehr Menschen, die wollen und die sich auch ausdrücken können in Musik, in Kunst, in Malerei oder in Text, ihre Gedanken teilen – auch in Wort, in Reden, in Vorträgen. Wenn da einfach viel mehr geschieht, weil uns Roboter viel mehr Arbeit abnehmen. Und wir werden eine Welt von Künstlern, von Lebenskünstlern, im wahrsten Sinne des Wortes. Dann entsteht natürlich noch viel mehr. Dann werden wir wirklich menschlicher.

Müller: Wir werden ganz, ganz bestimmt menschlicher und wir werden dieses ganze schöpferische Potential rausbringen, das wir jetzt mit Lohnarbeit sozusagen durchbringen. Wir werden uns verwirklichen. Ich sehe die Welt in Zukunft sehr, sehr schön. Ich sehe schon, dass es ein weiter Weg dorthin ist, wegen der ganzen alten Strukturen, die sehr viele Konflikte mit sich bringen. Wir sehen eben auch, dass es sehr viele Bewegungen gibt, die versuchen, die Entwicklung einzudämmen. Das wird erst einmal noch schwierig. Aber ich denke, wenn wir das überwunden haben als Menschheit insgesamt, dann wird das ganz wunderbar. Also ich sehe das sehr positiv. Und in so einer Welt würde ich auch gerne leben. Wenn das dann sogar so schnell geht, dass ich das noch erlebe, dann freue ich mich darauf.

Al-Omary: Also vielleicht versuchen wir wirklich, utopische Zustände zu erreichen, aber der Weg dahin führt möglicherweise auch in eine Dystrophie. Viele haben dann ja auch die Sorgen: Mein Arbeitsplatz geht verloren, ich werde von Maschinen fremdbestimmt. Das sind die individuellen Ängste. Am Ende des Tages hat sich aber die Welt ja doch insgesamt zum Positiveren entwickelt. Wir werden mit vielen schlechten Nachrichten konfrontiert. Aber wenn man sich mal viele Daten und Fakten anguckt: Hungerproblem, Welternährung, Freizeit, Einkommensverhältnisse, soziales Miteinander, kollektiver Wohlstand. Es gibt viele Indikatoren, die sich absolut positiv entwickelt haben. Sogar Dinge auch in der Natur, in der Biologie. Auch da gibt es viele positive Dinge, nicht nur Artensterben. Es gibt eben auch neue Arten, wie du schon gesagt hast. Da steckt viel drin. Und ich denke auch, dass wir im Moment in einer Phase von Umbrüchen leben, die vielen Menschen Angst machen und Sorgen machen und ganz individuell auch Existenzängste auslösen. Wenn wir das überwinden, dann könnten wir in der Tat zu einer Welt kommen, in der Kunst, Kultur, Zeit, Raum, Denken, Intellektualität, Spiritualität, Menschlichkeit und soziales Engagement einen höheren Stellenwert bekommen.

Müller: Ich finde das ganz wichtig. Das sollte im Prinzip auch das Streben der Gesellschaftsführung sein: den Menschen so zu fördern, dass er genau diese Seiten leben kann. Ich meine jetzt nicht damit, dass der Mensch jetzt nicht mehr arbeitet und den ganzen Tag nur tanzt oder singt oder sonst irgendetwas macht. Ich denke vielmehr, dass es wichtig ist, dass man eben wirklich über das, was wir heute als Leben und Alltag bezeichnen, hinausgeht. Und dass wir diese Maschinen definitiv auch akzeptieren, dass wir die Chancen sehen und eben weniger Angst davor haben. Ich hatte mal eine ganze Weile, in der ich im Restaurant mit Selbstbedienung gesagt habe: Ich lasse mein Tablett hier stehen. Ich lasse das abräumen. Und zwar nicht, weil ich das nicht wegräumen wollte, sondern weil ich wusste, dass ich andernfalls nur fördere, dass der Arbeitsplatz des Menschen, der das wegräumen muss, wegfällt. Dann aber habe ich mir überlegt: Einerseits achte ich auf den Arbeitsplatz desjenigen, der das Tablett abräumt. Aber andererseits halte ich dann doch auch an diesem blöden Job fest. Der Mensch könnte doch, wenn sein Job wegfällt und er nichts Besseres zu tun hat, unter Umständen sogar ein zweiter Steve Jobs werden.

Al-Omary: Ja. Das wage ich bei vielen noch zu bezweifeln. Aber er könnte sicherlich auf andere Art und Weise Sinnvolles tun.

Müller: Warum sollte jemand, der Tabletts wegräumt, nicht die Möglichkeit haben, ein zweiter Steve Jobs zu werden? Jobs hat in der Garage angefangen…

Al-Omary: Ja, das ist ja keine Frage. Er hat ja trotzdem viel mitbekommen. Und es gibt ja immer viele Faktoren, die solche technologischen Dinge begünstigen.

Müller: Viele der Personen, die unsere Gesellschaft beeinflusst haben, haben mal Regale eingeräumt und ausgeräumt.

Al-Omary: Das haben wir als Studenten oder als Schüler, glaube ich, alle mal gemacht und haben darüber auch etwas gelernt. Und das schadet auch gar nicht, sich mal schmutzig zu machen und auch mal so eine Arbeit zu tun. Das ist im Grunde das Problem, dass viele dieser sehr einfachen Tätigkeiten durch Maschinen natürlich wegfallen, weil so ein Stück Selbsterfahrung fehlt. Wenn wir alle nachher nur noch Maschinen bedienen, intellektuelle Arbeit machen und Denkarbeit machen, und keiner will sich mehr schmutzig machen, dann glaube ich, dass wir auch ein Stück weit ärmer werden in unseren Erfahrungen.

Müller: Wer weiß. Vielleicht wollen die ja dann gärtnern. Das macht ganz besonders schmutzig. Oder vielleicht macht das Staubsaugen dann doch wieder Spaß.

Al-Omary: Ja. Oder vielleicht wollen sie die Wüste begrünen. Wir haben dann sicherlich mehr Zeit für andere Dinge. Und ich habe in der Tat die Hoffnung, dass wir Maschinen gar nicht verteufeln, sondern schlicht sagen: Die nehmen uns im einfachsten Segment Arbeit ab, auf die wir sowieso keine Lust haben, denn keiner hat Lust auf Routinen. Es kann ja nicht gesund und richtig sein, stupide immer das Gleiche zu tun. Da helfen uns Roboter und Maschinen. Und im zweiten Schritt werden sie nach und nach in Bereiche eindringen, die bislang Menschendomänen sind. Und dann ist es deiner Kreativität und deinem Potential überlassen, zu entscheiden, wie du diese freie Zeit nutzt.

Müller: Dann wird das Wissen – meiner Meinung nach – nicht der Kreativität überlassen, sondern ich werde dazu gezwungen, wieder kreativ zu werden. Das ist doch das Gute daran. Das heißt, dass ich mich in einer Situation befinde, in der ich ein Problem zu lösen habe. Probleme lösen, das ist es, was uns am meisten voranbringt.

Al-Omary: Du meinst das Problem von: Ich habe zu viel Zeit und kann nicht ewig nur rumliegen.

Müller: Ja, zum Beispiel. Das Problem lautet dann: Was mache ich jetzt mit dieser Zeit? Wie geht es mir damit? Habe ich sie überhaupt? Wenn ich nicht irgendwo anders eingespannt werde, wenn ich wirklich das Glück habe, mich damit zu beschäftigen, was ich möchte, überdenke ich das Ganze jetzt. Ich kann mich mal ausruhen. Ich muss nicht in diesem Hamsterrad sein. Wenn ich diese Chance habe, ist das ganz viel Glück. Es ist Luxus, dass ich dann gezwungen bin, kreativ zu werden. Dann habe ich ein nächstes Problem zu lösen. Probleme bringen uns voran.

Al-Omary: Weil wir natürlich jetzt hier ein Wohlstandsproblem diskutieren.

Müller: Ja wunderbar. Ist doch fantastisch.

Al-Omary: Also klar. Endlich lösen wir Luxusprobleme. Das ist überhaupt keine Frage-.

Müller: Luxus ist das Beste, was uns passieren kann. Luxus gehört jedem! Das, was wir als Luxus bezeichnen, bezeichnen wir ja nur als Luxus, damit wir ein schlechtes Gewissen haben, dass das Luxus ist. Also Entschuldigung, also ich denke da schon etwas anders als andere Leute, denn: Wo fängt Luxus überhaupt an? Was ist denn Luxus überhaupt? Luxus ist etwas, das wir nicht haben sollen. Deshalb wird es als Luxus bezeichnet.

Al-Omary: Oder was wir anderen neiden…

Müller: Du fährst einen Q7. Das ist doch kein Luxus. Das ist doch ein super Auto. Aber das ist doch kein Luxus.

Al-Omary: Da ist ja jetzt die Frage, wen du fragst…

Müller: Luxus wäre, wenn du die Reifen deines Q7 runternimmst, sie innen mit Gold verkleidest und wieder drauftust. Das wäre Luxus.

Al-Omary: Das ist jetzt eher Prunk und Protz. Luxus ist ja eine sehr individuelle Betrachtung. Ich sage ja: Das ist ja eine Wohlstandsdiskussion, eine Luxusprobleme-Diskussion. Wer da nicht standhalten kann, da wird es mit den Maschinen vielleicht ein paar mehr von geben.

Müller: Die mit- oder nicht mithalten können?

Al-Omary: Es wird beides geben. Ich denke jetzt eher mal an die, die nicht mithalten können. Denn einfache Jobs werden natürlich in einem noch stärkeren Maße wegfallen.

Müller: Aber die haben auch eine Chance. Das bringt doch Chancen. Das bringt das Problem: Was mache ich jetzt? Und dieses Problem ist eine Riesen-Chance. Weil, dieses Problem bringt doch Kreativität hervor. Das heißt: was mache ich jetzt? Boah, okay, ich habe jetzt diese irre Idee. Ich probiere es einfach mal. Und dann entsteht irgendetwas ganz Tolles draus.

Al-Omary: Ja, das mag ja bei dem ein oder anderen so sein und auch gelingen, bei anderen wird es möglicherweise nicht gelingen, weil es eben um Startchancen geht, um soziologische Aspekte. Da ist die Frage: Was machen wir mit denen? Also die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen rührt ja auch daher. Weil man eben sagt: Wie finanziert man das denn? Wenn wir uns alle gegenseitig nur noch Gutes tun und über grüne Blümchenwiesen laufen oder künstlerisch aktiv sind, muss ich trotzdem meinen Lebensunterhalt bestreiten. Das heißt: Ich werde ganz am Ende des Tages ja auch für einen Lebensunterhalt sorgen müssen. Auch diese Existenzthematik birgt kreatives Potential und bietet Chancen. Das ist so. Aber die Frage ist: Können wir die auch befähigen? Und wird es dann nicht eine neue Debatte geben – eben dann auch wieder über eine Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur?

Müller: Wenn wir uns jetzt mal Hartz IV mal anschauen, sehen wir, dass ganz viele Leute aus diesem Arbeitsmechanismus herausgefallen sind. Die müssen weiterhin einen Alltag finanzieren. Sie gehen über die Sozialversicherung und diese Versicherung zahlt ihnen so eine Art Grund, damit sie davon irgendwie leben können.

Al-Omary: Genau. Aber das zahlen am Ende ja alle.

Müller: Moment mal. Die haben ja auch Versicherung bezahlt. Die haben ja dafür bezahlt. Das war eine Arbeitslosenversicherung.

Al-Omary: Hartz IV ist ja staatlich…

Müller: Das wurde abgeschafft.

Al-Omary: Also erst einmal ist Hartz IV nicht abgeschafft…

Müller: Nein die Arbeitslosenversicherung.

Al-Omary: Auch die gibt es noch. Die wird auch bezahlt. Und das ist in der Tat eine Versicherungsleistung, für die du vorher angespart hast. Hartz IV ist dagegen reine staatliche Alimentierung. Das ist eben steuergedeckt. Dafür hat die Allgemeinheit bezahlt.

Müller: Natürlich. Dafür hat derjenige, der vorher gearbeitet hat, auch bezahlt. Und der ist jetzt in dieser Maschinerie drin und darf nichts mehr. Ich höre schon, du meinst: Die wollen nicht arbeiten. Vielleicht ist der ein oder andere auch dabei, der wirklich nicht arbeiten will. Vielleicht ist auch der ein oder andere da drin, oder vielleicht auch ein Großteil, drin in dieser ganzen Maschinerie, der das ausnutzt. Das ist schon möglich. Aber die meisten, also zumindest, die sich bei mir zum Beispiel beworben haben, die Hartz IV bekommen hatten, die wollten unbedingt da raus. Die wollten raus, weil sie nicht das Lernen oder umschulen durften, was sie gerne wollten. Etwas, in dem sie Chancen gesehen haben. Die waren angebunden, angekettet zuhause. Die mussten ständig erreichbar sein und so weiter und so fort. Und es ist sogar so, dass man gezwungen ist, sich in bestimmte Maßnahmen hineinzubegeben. Man kann also nicht sagen: Okay, ich mag da jetzt nicht mitmachen. Ich mache dann jetzt eben gar nichts. Ich esse, was weiß ich, nur noch einmal am Tag. Ich ziehe in eine winzig kleine Wohnung, die mich, was weiß ich, 300 Euro kostet. Aber nein, das geht nicht, das ist unmöglich. Weil, man muss im Minimum, was weiß ich, 250 Euro oder wenn nicht noch mehr in Krankenversicherungsbeitrag, Pflichtversicherung zahlen. Und in dem Moment ist man gezwungen sich, an den Staat zu wenden.

Al-Omary: Also viele Dinge sind einfach faktisch falsch, die Du da sagst. Die Krankenversicherung wird ja dem Hartz IV-Empfänger bezahlt. Die zahlt er ja nicht selbst.

Müller: Aber das muss er ja. Er muss ja da rein.

Al-Omary: Wir sind, aus meiner Sicht, auch total beim Thema vorbei, weil meine These ist ja nicht: Die Leute wollen nicht arbeiten, sondern ich habe gesagt: Müssen wir nicht möglicherweise unser Wirtschaftssystem dann überwinden und überdenken? Nicht weil die nicht arbeiten wollen, sondern weil es, wenn ich von etwas leben will, einen geben muss, der mir mein Leben finanziert. Und entweder finanziere ich den durch meine eigener Hände Arbeit und Wertschöpfung. Wenn das mehr Maschinen machen, wird sich das System ein Stück weit ändern. Das heißt, es wird für einige Menschen nicht mehr diese Jobs geben, die sie gelernt haben, sondern es wird andere Jobs geben. Aber die können dann vielleicht diese konkreten Menschen nicht machen. Jetzt habe ich diese Menschen und habe sie in einem Sozialsystem. Dann wird das aber deutlich teurer. Dann brauche ich mehr Umverteilung.

Müller: Das ist doch gar nicht gesagt, dass das tatsächlich so ist. Also ich meine, diese Menschen können nicht diese Jobs machen, aber das bedeutet doch nicht, dass es künftig nur noch Roboter gibt, die das können. Der Mensch ist doch flexibel. Der kann doch lernen. Der kann alles. Der ist anpassungsfähig. Jeder einzelne!

Al-Omary: Ich glaube in der Tat ja auch, dass staatliche Sozialsysteme Menschen eher in Unfreiheit treiben, weil sie uns Anstrengungen, Bemühungen, Kreativität, sagen wir mal dieses Lebenskunstprinzip nehmen. Das will ich gar nicht bestreiten. Trotzdem werden wir natürlich eine solche Debatte am Ende wiederhaben. Und wir müssen natürlich in der Tat dafür sorgen, dass diese Heerscharen von Menschen, die sich vielleicht nicht so schnell anpassen können, in irgendeiner Art und Weise die Chance bekommen, von ihren Potentialen leben zu können. Auch wenn ich keine produktive Wertschöpfung im Sinne der typischen unternehmerischen Leistung mehr bringe, indem ich etwas produziere, muss ich ja trotzdem jemanden haben, der für das, was ich dann künstlerisch tu, was ich gesellschaftlich tu, was ich intellektuell tu, was ich tu, um Dinge voranzutreiben in meinem eigenen Umfeld, das muss ja dennoch jemand entlohnen. Weil ich nach wie vor ja nicht mit Kunst oder mit Lebenskunst oder mit anderen Dingen bezahlen kann. Oder ich komme zu einer Art Tauschhandel, dass ich irgendwann sage: Naja, ich habe so viel kreatives Potential, ich tausche das gegen ein anderes kreatives Potential. Auch das wäre ja eine Art Überwindung unserer jetzigen Wirtschaftsordnung. Dann ist auch der Sozialstaat raus. Wenn ich es zulasse, dass Menschen Energien, Leistungen, kreatives Potential, Gedanken teilen. Also ich lese dir etwas vor, weil ich gut sprechen kann, und dafür gibst du mir ein spirituelles Thema, das mich weiterbringt.

Müller: Das ist richtig. Dann bekommt der Staat natürlich seine Steuern davon nicht. Von diesem Austausch.

Al-Omary: Davon haben wir auch nichts auf dem Teller.

Müller: Wer hat dann nichts auf dem Teller? Der Staat?

Al-Omary: Der Staat ist mir relativ egal. Der Staat sind am Ende auch wir alle. Aber wenn ich dir jetzt etwas vorlese und du mir etwas erzählst über deinen Aufenthalt in Indien, haben wir ja trotzdem noch keine Nahrungsmittel, die wir uns dann kaufen können – und auch nicht unsere Miete bezahlt.

Müller: Das ist erst einmal richtig. Aber wir wissen nicht, was dabei rauskommt. Ob das nicht dann irgendwann mal dazu führt, dass wir tatsächlich davon was auf dem Teller haben und Miete bezahlen können. Das ist nicht gesagt. Das ist einfach zu eng gedacht. Das ist zu sehr in den alten Strukturen gedacht.

Al-Omary: Na gut. Es ist einfach, wenn ich sage: Ich lese dem Bauern etwas vor und der gibt mir dafür einen Sack Kartoffeln, dann habe ich etwas auf dem Teller. Also ich brauche möglicherweise mehr Leute, die an so einem Tauschhandel teilnehmen. Dann mag es ja funktionieren.

Müller: Okay. Was mache ich, wenn ich nichts anderes kann, als gut vorlesen? Dann habe ich vielleicht die Vorleser, die Märchenerzähler, das waren früher mal hoch geachtete Menschen. Wenn ich die richtige Geschichte parat habe und habe das richtige Publikum – ein Speakers Corner beispielsweise. Und da ist gerade mal jemand drin, der total depressiv ist. Und ich habe genau die Geschichte in dem Moment vorgelesen. Und der sich umentschließt, dass er sich jetzt doch nicht umbringt, was habe ich denn dann geleistet? Das ist etwas, das mit Geld nicht wettzumachen ist. Und dann kann derjenige vielleicht kommen und kann sagen: Hey, du, das ist jetzt gerade passiert. Stelle dir mal vor. Und dann tun die sich zusammen und dann wird eine riesengroße Story daraus gemacht. Dann macht sogar irgendjemand einen Hollywoodfilm draus. Ich sehe da überhaupt kein Problem. Ich sehe nicht, dass das alles, was du jetzt geschildert hast, wirklich brotlose Künste sind. Im Gegenteil: Ich sehe sogar dass, wenn wir diese ganze Kreativität zulassen, wenn wir es zulassen, dass dieser kreative Wind unter unsere Flügel kommt, dass wir in ganz, ganz große Höhen tauchen können. Nicht nur als Individuum, sondern auch als Gesellschaft und in der Menschheit.

Al-Omary: Das wäre natürlich ein hohes Maß an intellektueller, künstlerischer, sozialer Wertschöpfung.

Müller: Aber wir werden diese Probleme lösen können. Und zwar in einer Art und Weise, die wir uns heute gar nicht vorstellen können. Das wird eine Revolution sein, wie es zum Beispiel die Revolution in der Medizin gewesen ist. Man wird ohne Betäubung niemandem mehr Zähne ziehen.

Al-Omary: Es sei denn, derjenige möchte es. Aber auch das ist, wie gesagt, gar nicht die Frage. Sondern ich finde den Gedanken ja reizvoll. Da haben wir ja auch gar keinen Dissens. Die Frage ist ja für mich eher: Irgendwo in dieser Kette des Leistungsaustausches des künstlerischen Schaffens muss jemand sein, der die Kunst so liebt, dass er sie vergütet, sei es auch mit einer Sachleistung. Am Ende des Tages muss jemand meine Grundbedürfnisse befriedigen: nach Sicherheit, nach Wohnen, nach Nahrung.

Müller: Da sind wir wieder bei dem Thema: Es gibt genügend Geld auf dieser Welt. Gibt es einfach. Es gibt genügend Geld. Es gibt Leute, die kaufen für acht Millionen ein winzig kleines Kunstwerk.

Al-Omary: Die gibt es. Aber ich muss die natürlich auch finden. Da ist ja auch der Zugangsweg zu genau diesen Strukturen. Das Geld gibt ja keiner freiwillig und kippt es auf die Straße, sondern er möchte ja dafür etwas bekommen. Etwas zu bekommen heißt ja nicht immer nur ein Produkt, weil auch ein Bild ein Produkt ist. Das kann, wie gesagt, auch seelische Nahrung sein, das kann geistige Nahrung sein, das kann auch spirituelle Nahrung sein. Ich meine, wie viele Leute rennen zu irgendwelchen Gurus und geben dafür Geld aus? Oder Leute, die sagen: Ich möchte gerne meinen Urlaub im All machen. Also natürlich gibt es sehr viel Geld für völlig absurde Wünsche. Das ist ja völlig ohne Frage. Aber ich brauche einen Zugang zu diesen Geldressourcen. Oder ich überwinde irgendwann sogar durch Maschinen das Thema Geld und komme in eine Art kollektiven Leistungsaustausch. Wovon man sich auch wieder irgendwann befreien könnte…

Müller: Also da sollten wir uns mit dem Thema Geld beschäftigen. Was ist das überhaupt? Wir haben jetzt Geld als Papier. Wir haben Geld als digitale Währung. Wir haben Geld als Fantasie. Geld ist eine Fantasie, der wir unglaublich viel Wert zu-, andichten, zumessen. Das ist reine Hypothese. An sich ist das Geld nichts wert. Wenn ich zum Beispiel das Geld von vor hundert Jahren nehme. Da habe ich so einen Pack. Das ist nichts wert. Deshalb müssen wir schauen, was es überhaupt bedeutet. Und das ist auch ein ganz wichtiges und essentielles Umdenken, was in dieser Gesellschaft wirklich unbedingt notwendig ist: dass wir das anders betrachten und anders wertschätzen. Dass wir es als das sehen, was es wirklich ist: als Möglichkeit. Das gibt uns Möglichkeiten. Es gibt uns Macht. Es ist ein Kreativ-Katalysator. Es ist wirklich enorm, was das bewirkt. Und wir werden immer so eine Art Geld haben. Auch wenn die anders aussieht und anders benannt wird.

Al-Omary: Geld ist ja nur ein Hilfsmittel. Geld ist ja völlig wertlos, es garantiert mir nur einen bestimmten Gegenwert zu haben, eine Verrechnungseinheit zu haben. Es organisiert oder optimiert den Tauschhandel.

Müller: Es ist sehr bequem. Es ist aber mehr als das. Es ist wirklich wesentlich mehr als das.

Al-Omary: Weil wir mehr daraus gemacht haben, weil wir dem Geld nachjagen. Aber im Prinzip ist Geld ja wertlos. Es ist immer nur die Chance, dafür bestimmte Güter zu bekommen.

Müller: So ist es.

Al-Omary: Am Ende habe ich ein Interesse an den Gütern.

Müller: Geld muss sinnvoll eingesetzt werden. Sonst bringt es nicht.

Al-Omary: Trotzdem: Güter sind Bedürfnisbefriedigung. Manche befriedigen damit eben auch ihr Bedürfnis nach Kunst und Intellektualität und gehen ins Theater. Und andere befriedigen damit mehr oder weniger wirklich nur das blanke Dasein. Lassen wir das mal dahingestellt sein. Aber zurück zu der Frage: Maschinenzeitalter. Ich glaube auch, dass wir mehr Zeit für Menschlichkeit haben.

Müller: Auf jeden Fall haben wir wesentlich mehr Zeit.

Al-Omary: Das ist für eben mich, wie gesagt, ein intellektueller und spiritueller Faktor. Nichtsdestotrotz brauchen wir am Ende immer noch – bei der These bleibe ich noch – jemanden, der unsere Bedürfnisse und unseren Wunsch nach Gütern befriedigt. Und die Antwort muss noch gegeben werden. Die geben uns Maschinen in einer heutigen Wirtschaftsordnung erst einmal so nicht. Aber ich glaube, dass sie in der Tat helfen, zu einer Besinnung zu kommen. Also das Thema psychische Erkrankung. Das ganze Thema Burnout. Das ganze Thema Unzufriedenheit. Oder ganz platt gesagt: Wir sind alle irgendwie auch frustriert. Ich glaube, da haben wir auch schon eine Folge zu gemacht, dieses hohe Maß an Frustration, das ja jeder irgendwie in sich trägt. Diese Unzufriedenheit. Die überwunden würde, wären wir schon menschlicher.

Müller: Ja. Wir werden dann menschlicher, wenn wir diese Unzufriedenheit überwunden haben, weil wir einen tatsächlichen Sinn gefunden haben. Diese Unzufriedenheit ist ein wunderbarer Kompass. Der sagt uns: Hey, du bist auf dem falschen Weg. Das ist ganz wichtig. Es ist wichtig, auf diese unzufriedene Stimme in uns zu hören. Und vor allen Dingen: Wo kommt sie her? Ist sie manipulativ in mich hinein gepflanzt worden, indem ich irgendwelche Dinge sehe, denen ich unbedingt nachzustreben habe? Oder ist es eine tatsächliche Unzufriedenheit, weil ich in dem, was ich tue und wie ich lebe und wo ich mich hinbewege, eine Sackgasse sehe.

Al-Omary: Keine Frage. Aber da, wo ich in einem bestimmten System in der Arbeitswelt eingebunden bin, wo ich Pflichten zu erfüllen habe, werden mir Maschinen manche Pflichten abnehmen. Dadurch habe ich ja schon einen kleinen Akt der Befreiung. Wie gesagt: Ich bin ja auch ein Freund davon. Ich glaube, dass wir mit mehr Maschinen mehr Potential freisetzen.

Müller: Aber Du siehst ein Problem?

Al-Omary: Nein, ich sehe am Ende nur ein Problem darin, dass ich eben dann diese Sorge habe, dass der ein oder andere gar nicht mithalten kann und dann auch wieder politische Forderungen kommen, denen helfen zu müssen. Und deine These ist ja die: Nein, lasse die Menschen einfach mal in Ruhe. Das wird sich schon richten. Du wirst aber dann sofort das Gegenargument kriegen: das sei darwinistisch. Damit kann man sicherlich gut leben, weil in der Tat Anpassungsfähigkeit uns genommen wird durch staatliche Alimentierung. Und durch Systeme, die wir geschaffen haben. Also das kann ich auf einer intellektuellen Ebene wunderbar diskutieren. Ganz am Ende des Tages muss ich meine Bedürfnisse befriedigen können. Das kann ich nur, wenn ich in irgendeiner Art und Weise etwas schaffe oder schöpfe. Und das muss jemand anders haben wollen, um mir etwas zurückzugeben.

Müller: Ja. Das heißt, ich muss erst einmal in der Lage sein etwas zu bieten, was jemand anderes möchte. Und das heißt also: Da ist ein Bedarf, den ich biete. Und wir haben ein ganz großes Problem in der heutigen Gesellschaft: Wir haben Bedürfnisse, die eigentlich erst einmal erweckt worden sind. Die wir ja eigentlich gar nicht hatten. Die wir ja gar nicht hätten, wenn sie uns nicht sozusagen geschaffen worden wären. Es gibt ja ganze Think Tanks, die daran arbeiten: Okay, wie schaffe ich ein neues Bedürfnis? Und wie kann ich dieses Bedürfnis dann durch ein Produkt befriedigen, das mir Umsatz bringt? Im Prinzip brauchen wir das gar nicht. Im Prinzip wird so viel Zeug angeboten und in die Köpfe der Menschen reingepflanzt. Das brauchen die gar nicht. Das ist überflüssig wie ein Kropf.

Al-Omary: Ich denke mal, wir müssen den Begriff der Werte auch neu definieren. Ich kann mir vorstellen, dass Maschinen am Ende Produkte und Güter produzieren und Menschen durch mehr Zeit geistige Güter Gedanken produzieren. Wenn wir es schaffen, diese Gedanken in irgendeiner Art und Weise als wertvoll zu betrachten, was wiederum dann auch wieder Geldwaren bringt. Als Gegenleistung haben wir ja viel erreicht. Also wenn wir sagen: Es gibt halt einfach Dinge, die werden Maschinen niemals schaffen können, das ist eben das Thema Intellektualität. Mal abgesehen von Künstlicher Intelligenz, aber auch die folgt ja Algorithmen. Das tun Menschen ja nicht. Und wenn wir es schaffen, hier Werte zu kreieren auf dieser intellektuelleren Rendite-Ebene und die Maschinen dafür sorgen, dass wir zu essen, zu wohnen und so weiter haben, dann kommen wir wirklich zu einer Schöpfungsgesellschaft., die nicht nur am Mammon hängt.

Müller: Am Mammon zu hängen ist ja nichts Verwerfliches. Man darf ihn nur nicht zu einem neuen Gott sozusagen aufsteigen lassen – so, wie es jetzt eben üblicherweise auch gesehen und gemacht wird. Dann haben wir ein großes Problem. Aber wenn wir eben erkennen, dass er ein Mittel zum Zweck ist, der mir die Möglichkeit gibt, Sinn zu finden und diesen Sinn zu leben. Dann ist es ganz etwas anderes. Also ich denke: Diese ganzen Maschinen sind super. Und ich freue mich auf meinen Saugroboter.

Al-Omary: Das kannst Du mit Sicherheit auch. Einen Bügelautomaten und was es noch so alles gibt. Smart Home.

Müller: Also bügeln lasse ich per Hand.

Al-Omary: Ja. Jeder wie er mag.

Müller: Wunderbar. Dann bis zum nächsten Mal.

 

Danke fürs Zuhören. Wir sind heute schon am Ende unserer Folge. Im zweiwöchigen Rhythmus geht es weiter. Und wenn Sie die nächste Folge mit als erster auf Ihrem Handy empfangen möchten, dann abonnieren Sie doch einfach diesen Podcast. Wie das funktioniert, zeigen wir Ihnen in den Shownotes. Ansonsten lädt Sie Annette Müller ganz herzlich in Ihre Facebook-Gruppe ein, um über die Gedanken zu heute und zu den nächsten Folgen gerne mit Ihr zu diskutieren. In dem Sinne: Bis zum nächsten Mal.