Episode #11 Verdammtes Wachstum – wäre es nicht schön, einfach innezuhalten?

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„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller, die von Medienprofi Falk S. Al-Omary interviewt wird. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

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Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Verdammtes Wachstum – wäre es nicht schön, einfach innezuhalten?

Annette Müller: Herzlich willkommen zu unserem heutigen Podcast. Wir haben ein ganz spannendes Thema, für das sich bestimmt jeder interessiert: Und zwar geht es um Wachstum. Und heute wieder hier: Falk Al-Omary. Ich freue mich auf das Gespräch. Und er hat es anders ausgedrückt als ich, er sagt: „verdammtes Wachstum – wäre es nicht schön, einfach mal innezuhalten?“ Falk, wie kommst du darauf? Verdammtes Wachstum? (Lachen)

Falk Al-Omary: Naja, es ist ja der große Glaubenssatz, dass man ständig wachsen muss. Ein Unternehmen muss immer größer werden. Wenn ich zur Bank gehe und meine Bilanz hinlege und da habe ich kein Plus von branchenangemessenen Prozenten, idealerweise noch mehr, an Umsatz, vor allem aber an Gewinn und an Mitarbeitern, dann habe ich ja schon diesen Loser-Stempel. Wenn ich mit Unternehmerkollegen rede, dann kommt da „mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Bei denen geht es immer um „mein neuer Kunde, mein neuer Mitarbeiter, meine neue Abteilung“. Überall wird auf dicke Hose gemacht, überall wird Wachstum tierisch abgefeiert. Und das verstehe ich auch, ich habe auch wahnsinnig viel Freude am Wachstum. Ich habe gerade selber neue Leute eingestellt, ich habe neue Projekte an den Start gebracht, das macht tierisch viel Spaß. Aber es gibt auch eine Schattenseite. Und die Schattenseite ist: Du musst dann eben immer mehr Umsatz machen. Umsatz ist ja nicht gleich Gewinn. Für jeden Euro, den ich mehr an Gewinn machen will oder machen muss, muss ich auch irgendwie das Doppelte und Dreifache an Umsatz generieren. Und so wird das Hamsterrad immer größer. Die Frage lautet für mich: Ist Wachstum etwas, was mich freier macht, oder ist Wachstum etwas, was mich eigentlich viel mehr gefangen nimmt und mich immer mehr einspinnt in Abhängigkeiten, in Notwendigkeiten. Ich glaube, dass beides wahr ist. Ich bin nicht jemand, der sagt, wir sollten kein Wachstum mehr haben. Ich bin aber auch kein Öko, der sagt, wir müssen über Grenzen des Wachstums nachdenken, damit sich die Erde mal renaturieren kann. Das ist gar nicht mein Ansinnen. Mir geht es eher um den eigenen Seelenfrieden. Und ich kenne eine Menge Unternehmer, die mir immer wieder in Gesprächen sagen: „Am glücklichsten war ich, als ich noch alleine in meinem Arbeitszimmer gesessen habe und meine Arbeit machen konnte, als ich alleine die Verantwortung für das Ergebnis hatte, ich von niemandem abhängig und der Kunde zufrieden war.“ Ich glaube, dass das heute nicht mehr so einfach geht, weil immer alles komplizierter wird. Wenn ich nur mein eigenes Gewerk erbringen würde, im Sinne von Texte schreiben, glaube ich, würde das der Fülle der Erwartungen vieler Kunden nicht genügen. Also hat sich auch der Markt verändert, völlig okay. Aber mal ganz auf den Kern heruntergebrochen, glaube ich, dass viele zufriedener wären, glücklicher wären, wenn sie auf ein Level kämen, wo sie sagen würden: „Das reicht mir zum Leben.“ Oder von mir aus soll es auch für Luxus reichen, völlig okay. Aber ich kann es selbst verdienen und dann bin ich eben auch freier, als wenn ich wachsen muss. Weil wachsen immer auch mehr systemische Interdependenz bedeutet.

Müller: Ich würde mich gerne allein mit Wachstum beschäftigen. Wir haben ja zwei Seiten: Wir haben einerseits das Wachstum und auf der anderen Seite die Konsequenz des Wachstums, also die Wirkung. Wachstum an sich ist natürlich. Alles, was nicht mehr wächst, stirbt – wie Du schon gesagt hast. Das ist in der Natur zu beobachten. Alles, was nicht weiter wächst, macht Platz für das Nächste. Das heißt aber nicht, dass es das dann nicht mehr gibt, sondern es hat sich verändert, alles ist in Veränderung. Wir Unternehmer sind auch mehr oder weniger gezwungen zu wachsen, wenn wir unsere Kreativität wirklich leben wollen. Denn das tun wir ja als Unternehmer, zumindest die mittelständischen Unternehmer: Wir sind kreativ, wir schöpfen, wir bringen etwas in die Welt – was immer das ist. Und dazu müssen wir wachsen. Das heißt, wir müssen etwas, was uns Früchte gebracht hat, nehmen und wieder neu setzen, die Samen säen, gießen und so weiter und so fort. Das heißt, wir brauchen Ressourcen. Und diese Ressourcen erwirtschaften wir ja auch. Jetzt wird uns aber ein riesengroßer Teil dieses Erwirtschafteten genommen, indem wir dieses bezahlen müssen, jenes bezahlen müssen, alles, was wir eben nicht reinvestieren können, sondern was vom Tagesgeschäft aufgefressen wird. Und das heißt, wir könnten im Prinzip wesentlich mehr leisten und erschaffen, wenn wir die Ressourcen dazu hätten. Die haben wir aber nicht, weil sie – und das kenne ich ja von Dir – weil sie Dir genommen werden. Du sagst ja, das ist Diebstahl.

Al-Omary: Steuern sind Diebstahl. Du redest ja von Steuern und von Abgaben.

Müller: Ich wollte es jetzt nicht so direkt sagen … Es ist fast unmöglich, wirklich zu reinvestieren. Ich sehe das auch immer wieder und ich befinde mich in genau der gleichen Situation wie du: Ich wachse und wachse und wachse, es ist wunderbar, dieses Wachstum zu verfolgen. Ich möchte das auch tun, weil ich damit so wunderbare Dinge in die Welt bringen kann – was mich auch erfüllt und meine Motivation ist. Aber ich sehe, dass es nicht so einfach ist. Mit jedem neuen Samen, den ich setze, und mit jedem neuen Baum bin ich gezwungen, mich darum zu kümmern. Das heißt also, ich muss dieser Pflanze genau das geben, was sie braucht, was sie von mir braucht. Und da denke ich mir auch manchmal: „Oh Gott, wieso bin ich jetzt schon wieder gefordert?“ Aber ich glaube, da läuft etwas falsch, weil du das nämlich in der Natur nicht findest. In der Natur wird es nicht so sein, dass das Wachstum durch mangelnde Ressourcen, durch weggenommene Ressourcen begrenzt wird, sondern die Natur schöpft aus den Vollen, aus der Fülle heraus. Und das können wir nicht. Das können wir einfach nicht, weil es uns nicht erlaubt ist.

Al-Omary: Das halte ich für einen hochspannenden Ansatz in zweierlei Richtung. Eigentlich hat es mehrere Aspekte, ich würde mal zwei aufgreifen. Ich habe ja mit meinem Eingangsstatement einen sehr zahlenbasierten Wachstumsbegriff benutzt, von Umsatz und Gewinn. Natürlich gibt es noch andere Arten von Wachstum, z. B. eine intellektuelle Rendite. Kann ich den Nutzen erhöhen? Finde ich möglicherweise Erfüllung darin, durch Optimierungen mit weniger Arbeit das Gleiche zu erzielen? Es gibt eben mehrere Arten, wie ich wachsen kann. Kann ich die Zahl der Transaktionen erhöhen, kann ich mehr Kunden bedienen, kann ich die Effektivität steigern, kann ich mich auf einer menschlichen Ebene weiterentwickeln, habe ich persönliches Wachstum? In dem Sinne gebe ich Dir erst einmal Recht, auch den anderen, die sagen, was nicht mehr wächst, das stirbt, wenn ich also aufhöre zu denken, wenn mein Hirn nicht mehr größer wird, wenn ich intellektuell keine Nahrung mehr kriege … Da würde ich Dir auch zustimmen. Dieses rein monetäre Wachstum, im ökonomischen Kontext, da könnte man mal kritisch draufschauen. Deswegen bin ich dankbar für die Differenzierung, und das ist auch gar kein Widerspruch, da hast Du Recht. Wir müssen weiter wachsen, weil wir sonst einfach stehenbleiben und nicht mehr besser werden. Und jeder Mensch strebt nach Verbesserung, nach Optimierung, nach Verwirklichung, daher sollten wir auf jeden Fall wachsen. Ob sich das aber immer in Zahlen ausdrücken muss oder ob man da nicht einfach sagen kann: Es geht auch mal ein Jahr ohne neues Wachstum, der Status quo ist auch schön, ich bin fürs Erste saturiert und konsolidiere erstmal. Da sollten wir uns, glaube ich, mehr Muße einräumen, auch mal solche Momente zu nehmen und innezuhalten. Das war ja auch das Thema: innehalten. Der zweite Gedanke ist aber in der Tat noch viel wichtiger, und an den hatte ich am Anfang gar nicht gedacht … Aber in der Tat, wenn du dir meine Timeline auf Facebook aufmerksam ansiehst, wird deutlich: Ich halte Steuern durchaus für Diebstahl. Und Du hast natürlich Recht: Wachstum hat immer verschiedene Komponenten, bei denen du von anderen daran gehindert wirst. Also, wir säen diese Pflanze und wir gießen diese Pflanze und wir hegen und pflegen sie, und wenn sie dann Früchte trägt, wird uns die Hälfte dieser Früchte sofort vom Staat weggenommen.

Müller: Wenn wir von der Hälfte reden, ist das eigentlich viel zu wenig, denn dir wird ja schon ganz viel beim Gießen weggenommen.

Al-Omary: Ja, dir wird ja schon beim Anschaffen des Wassers und der Gießkanne etwas weggenommen, und dann gibt es ja noch andere Anspruchsteller. Der Staat ist jetzt das eine, den ich eh für den natürlichen Feind des Unternehmers und des Wachstums halte. Aber dann hast du ja andere Ansprüche, dann schauen andere mit Neid darauf und sagen, sie wollen auch diese Äpfel oder diese Früchte haben. Dann kommen Mitarbeiter, die sagen: „Ich habe ja auch an diesem Baum mit gehegt und gepflegt und ich brauche auch einen höheren Anteil.“ Was völlig natürlich ist, was keine Kritik ist. Aber der Baum, der geschaffen wird, weckt viel mehr Begehrlichkeiten, als mancher Baum zu tragen imstande ist. Und das macht Wachstum in der Entscheidung, ob man wachsen will, schon von vorneherein schwer. Das heißt, die eigentliche Freiheit, freien Herzens wachsen zu wollen, weil man es gerne möchte, weil das Produkt gut ist, weil man Spaß daran hat, weil man glaubt, das stifte Nutzen, scheitern gerne in Begriffen. Okay, aber dann ist es mein Scheitern. Aber allein die Entscheidung, etwas zu wagen, wird einem doch schon total vergällt. Und ich glaube das ist etwas, was mich auch so kritisch auf Wachstum schauen lässt. Deswegen bin ich ja dankbar für den Impuls, da ist sehr viel dran.

Müller: Da bin ich ganz bei Dir, da sind wir wieder einmal einer Meinung, von einer anderen Seite betrachtet. Das erlebe ich immer wieder und das erlebe ich jeden Tag und das ist auch etwas, was mich emotional nicht ganz so viel Freude empfinden lässt, wie ich sie normalerweise empfinden würde bei meiner Arbeit. Das sehe ich auch überall widergespiegelt. Und ich denke, da läuft etwas falsch. Aber nun ist das ja die Realität und wir können daran wenig ändern, es sei denn, wir würden dagegen kämpfen. Wenn wir dagegen kämpfen würden, würde wahrscheinlich unser Boot mit der Firma sinken, weil wir uns darum nicht mehr kümmern können, weil wir uns in diesem anderen Kampf verlieren. Aber ich denke, wir müssen uns einfach fragen: Wo bleiben wir? Wo bleiben wir in unserer Kraft, damit wir in diesem Hamsterrad gegen Windmühlen kämpfend nicht zu Grunde gehen. Das ist also wieder die Innenkehr. Das Innehalten und die Innenkehr sind ganz wichtig. Und Menschen tun das auch. Menschen gehen in Klausur mit sich selbst, Menschen machen eine Pause. Und es ist wesentlich besser, freiwillig Pause zu machen, als von einem Burn-out oder von einer schweren Krankheit zur Pause gezwungen zu werden.

Al-Omary: Oder von einem Steuerbescheid.

Müller: Oder von einem Steuerbescheid in die Pause gezwungen zu werden?

Al-Omary: Naja, wenn ich das Geld wieder zum Investieren habe und der Staat mir plötzlich alles wegnimmt, dann muss ich ja wieder eine Pause machen, weil dann die Ressource Geld auch zum Erliegen kommt, weil wieder irgendeiner zugeschlagen hat.

Müller: Genau. Das ist ja sowieso das, womit wir immer zu kämpfen haben. Wir müssen immer die Reste aufklauben, die bleiben, diese Krümelchen, die übrigbleiben, die haben wir zum Investieren. Wir haben ja nicht den großen Anteil, den wir in das Wachstum investieren können. Deshalb geht es auch nur mit Krümelchen, also Schritt für Schritt, voran.

Al-Omary: Naja, du wächst ja, um bei diesem Baum zu bleiben, immer mit dem, was dir die vorige Ernte übriggelassen hat. Und in dem Moment, wo ich einen neuen Baum pflanze und der wächst, ist es ja schon so, dass dann ganz viele Anspruchsteller auf den Ertrag dieses Baumes schielen. Das heißt, du wächst in der Regel ja nicht für dich, sondern du musst einen großen Teil des Ertrages des Wachstums an das Kollektiv abgeben. Ich nenne das immer gerne Zwangssolidarität mit anonymen Dritten. Ich wachse ja nicht nur für mich. Das hat damit gar nichts zu tun. Und da liegt im Grunde das Hauptproblem. Das ist ein ganz spannender Gedanke. Das ist eine Ebene, die wir auch mal intensiver diskutieren könnten, die gesellschaftliche Ebene. Und ich finde auch, wir müssen dagegen kämpfen, weil das eine Ungerechtigkeit ist, dass ich etwas erschaffe und andere davon profitieren. Das heißt, der, der Leistungsträger ist, der für Wachstum sorgt, das ist der Dumme in diesem Land. Und das sorgt für das Unglück dieser Menschen, denn wenn jeder wachsen könnte – das ist ja kein Privileg von Unternehmern, das gilt für Angestellte genauso, denen wird ja auch alles weggenommen. Wachsen heißt immer auch, du musst mit deinem Wachstum, mit deiner Effizienzsteigerung, mit deiner intellektuellen Rendite, mit deinen Gedanken immer andere durchfüttern, die es eben nicht in gleichem Maße schaffen. Und da sage ich eben schon: Bleibe mal stehen! Sollen die anderen doch mal schauen, wo sie bleiben. Warum soll ich immer der einzige Depp sein, der den Karren zieht?

Müller: Ich wehre mich gegen diese Fremdbestimmung. Ich persönlich wehre mich dagegen, dass ich fremdbestimmt bin. Weil der andere so und so ist, mache ich jetzt das und das nicht. Für mich ist wichtig, was ich will, egal, wer dann im Endeffekt davon profitiert. Was macht mir Spaß? Da möchte ich mich rausziehen. Weg von den Leuten, zum Beispiel den Nutznießern meiner Arbeit. Denn das ist eine Solidarität, die mir aufgezwungen wird, das ist völlig klar. Was ich aber jetzt sehr interessant fand, war das, was Du angesprochen hast. Denn das ist nämlich das, was ich auch die ganze Zeit spüre und erlebt habe, dass wir nicht so wachsen, wie wir wachsen könnten, weil wir die Ressourcen zu diesem Wachstum nicht haben. Du sagst, auch der Angestellte kann wachsen, nicht nur der Unternehmer. Das fängt ja schon in der Schule an. Du wirst in der Schule einfach mit deinen ganzen Talenten gleichgemacht. Jeder, der ein bisschen heraussticht, wird gleich wieder heruntergedrückt. Das heißt also, bloß nicht wachsen, sondern nur funktionieren. Wachstum und freies Denken ist hier in unserer Gesellschaft absolut unerwünscht, weil die Freiheit und das Wachstum und ein Freigeist zu sein Feinde dieses Systems sind. Und deshalb bitte nicht wachsen, deshalb im Hamsterrad bitte so verausgaben, dass du abends nur noch ins Bett fallen kannst, dich vor den Fernseher setzt, dich nicht mehr um deine Gesundheit kümmern kannst oder vielleicht dann auch noch den Löffel abgibst, ohne irgendjemandem auf der Tasche zu liegen.

Al-Omary: Ja, dein Leben ist von der Schule und von der Gesellschaft und von der Politik determiniert als ein Leben als Untertan. Zu viel Freiheit, zu viel eigene Meinung, aus der Masse herausstechen, zu viel Individualität ist nicht gewollt. Gerne da, wo es dem Konsum dient, dass also Marken dein Image aufheben, das schafft die Wirtschaft noch und das ist auch gut und richtig so. Ich mache ja selber Marken und bin ein großer Freund davon, dass das noch funktioniert. Aber sobald das dann in Bereiche geht, wo andere die Nase rümpfen, sei es nur nach innen oder auch nach außen sichtbar, da wird sofort wieder gleichgemacht. Da wird verurteilt, da wird umverteilt, wenn es um Wohlstand geht. Da wird, was abweichende Meinungen angeht, in ein Korsett gepresst. Wir erleben ja auf allen möglichen Ebenen, dass wir Regierte sind, dass wir Untertanen sind, dass wir zu funktionieren haben und dass dein eigenes Glück nur insoweit eine Rolle spielt, wenn andere davon auch profitieren. Das heißt, uns wird jede Art von gesundem Egoismus, von Leistungsstreben, von Selbstverwirklichung, von Wachstum im weitesten Sinne, das wird uns alles aberzogen, abtrainiert oder es wird geächtet und diese Ächtung lässt dich natürlich resignieren.

Müller: Ja, die Ächtung, die kann zur Resignation führen, das ist ganz klar. Also dieses nicht wachsen dürfen, um da nochmal drauf zurückzukommen … Das Innehalten ist ganz wichtig. Wenn du allerdings jetzt wieder in die Natur schaust … Ich habe ja gar nichts dagegen, dass auch andere von meinem Sein und von meinem Wirken profitieren, solange es mir nicht zwangsläufig weggenommen wird. Das heißt, solange es mir nicht gestohlen wird.

Al-Omary: Genau. Du möchtest das persönlich entscheiden, und das ist auch völlig okay.

Müller: Angenommen, ich bin ein Apfelbaum. Ich bin gewachsen, gewachsen, gewachsen, ich habe ganz viele Früchte. Diese Früchte – wenn ich die behalten will und nicht abwerfe oder sie nicht gepflückt werden, tut mir das als Baum nicht gut, dann bin ich ganz schnell weg. Aber ich möchte nicht, dass jemand kommt und die Äste absägt. Und das ist ja das, was ich empfinde, was uns Unternehmern passiert, dass uns die Äste abgesägt werden, an denen in Zukunft wieder Äpfel wachsen könnten. Und dann stellt sich ja auch die Frage: Was bringen wir in die Welt, was ist das für ein Reichtum, den wir schaffen? Wir schaffen ja nicht nur monetären Reichtum. Wir generieren, was wir haben, wir machen einen Umsatz. Und diesen Umsatz – wenn der irgendwo liegt weil wir ein Sicherheitsstreben haben, Sicherheitsdenken haben, weil wir Angst haben, nicht mehr genug zu haben, übermorgen oder in 20 Jahren – nehmen wir aus diesem Wachstumskreislauf heraus. Da haben wir dann aber wieder andere Möglichkeiten, ihn woanders zu investieren. Aber angenommen, wir horten das Geld und nehmen es aus dem Wachstum heraus, dann hindern wir ja zum Beispiel eine andere Sache, die wir damit machen könnten, daran sich zu verwirklichen. So viele Leute sind in diesen Kreislauf einbezogen. Das heißt, wenn ich etwas gebe, hat der andere etwas, um es weiterzugeben. Zum Problem wird es dann, wenn es wirklich herausgenommen wird aus dem Kreislauf. Wenn man jetzt zum Beispiel in unserer Gesellschaft beschließt, wir müssen wir aufhören zu wachsen. Wo soll das ewige Wachstum hinführen? Wachsen ist richtig, Rückschritt ist meiner Meinung nach nicht richtig. Innehalten und schauen, was bewirke ich mit dem, was ich tue, finde ich wichtig, und das dann in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber einen reinen Rückschritt zu machen, das halte ich für überhaupt nicht gut.

Al-Omary: Vielleicht ist es aber auch möglich. Es wird viel zu wenig in Erwägung gezogen. Es gibt ja so einen Beratungszweig, auch in der Wirtschaft. Der nennt sich dann Downsizing-Beratung. Davon gibt es in der Tat relativ wenige. Ich hatte mich dafür mal interessiert und relativ wenige gefunden. Vielleicht habe ich noch nicht genug gesucht, aber ich hatte mich dafür interessiert, weil mir eben mehrere Kunden sagten, dass es ihnen früher eigentlich besser ging. Ich habe jetzt soundso viele hundert Mitarbeiter und soundso viel Umsatz. Also am Ende ist das Volumen immer das gleiche. Das Hamsterrad wird größer, das Gesamtkonstrukt wird größer, aber das, was du persönlich rausnimmst und was du persönlich als Glück empfindest, das skaliert nicht im gleichen Maße mit. Und dann stellt sich ja irgendwann die Frage: Was will ich denn eigentlich? Wenn ich eine Firma habe, die ich vererben will, so ein Familienunternehmen, dann kann ich sagen, ich mache das für meine Nachkommen, ich mache das für die Dynastie. Oder wenn ich ein sehr sozialer Unternehmer bin, mache ich das auch für die Gesellschaft, dann gebe ich in der Tat gerne die Früchte. Das kann ich alles irgendwo nachvollziehen. Wenn ich einen Kleinbetrieb habe, mache ich das nur für mich. Ich bin Einzelunternehmer, ich habe keine Familie. Ich will das auch alles gar nicht, ich arbeite gerne, keine Frage, aber zunächst einmal ist es so, dass ich das mache, um mir meine Art zu leben finanzieren zu können. Und ich will nicht sagen, ich arbeite nur für Geld, dafür ist mir Geld nicht wichtig genug. Ich arbeite schon auch für Freude und Spaß, aber ich möchte das Geld als Honorierung dafür haben. Und auf dieser Ebene: Ich hinterlasse nichts und niemanden, ich mache meinen Job, so gut es geht. Warum soll ich unbegrenzt wachsen, wo ist der Sinn? Brauche ich nicht, um einen Sinn im Wachstum zu sehen und bereitwillig die Äpfel abzugeben, von denen Du gesprochen hast, noch einen tieferen Sinn? Denn das fünfte Schnitzel am Tag muss ich nicht essen. Und von jedem Euro, den ich verdiene, gebe ich eh 50 Cent ab. Also ich arbeite 100 Prozent, bekomme aber nur 50 Prozent raus. Und wenn es doch nur noch darum geht, sein eigenes Leben gut zu leben, und ich eben sage: Gut, dann hast du ein Haus, du hast eine Yacht, du hast ein Auto … Brauche ich jetzt die dritte Yacht, brauche ich das fünfte Auto? Reicht nicht ein Golf, muss es ein Lamborghini sein? Irgendwann habe ich ja alles. Und da stellt sich dann schon die Frage: Wo ist der Sinn von Wachstum? Und dazu brauche ich einen anderen Wachstumsbegriff. Oder ist es überhaupt legitim zu sagen: Ich mache nicht weiter, ich wachse hier nicht mehr.

Müller: Also Falk, ich würde sagen, wir führen dieses Gespräch weiter, wenn ich bereit bin, oder in der Lage bin, die dritte Yacht zu kaufen (lacht). In der Situation war ich noch nicht, dass ich sagen könnte, ich brauche jetzt die dritte Yacht oder das fünfte Schnitzel oder so.

Al-Omary: So bin ich übrigens auch nicht. Aber ich kenne Leute, bei denen es so ist. Wo ich mich eben frage: Was bringt es denn dann noch? Wenn ich jetzt auf mein Leben gucke: Mein Leben ist gut, ich bin glücklich damit, ich habe ein ordentliches Auskommen. Klar, es kann noch größer werden, es kann noch besser werden, da kann noch mehr Geld auf der Bank sein. Alles gut, ist auch sinnvoll. Ich kann auch noch nicht meinen Lebensabend komplett bestreiten, aber wo ist denn Schluss? Also wofür mache ich das?

Müller: Richtig, es geht um Motivation. Was treibt mich? Und da würde ich mir jetzt gerne mal Folgendes anschauen: Wir haben zwei verschiedene Möglichkeiten der Motivation. Das ist einmal die Motivation des Mangels und einmal die Motivation der Fülle. Mangel heißt, ich brauche Sicherheit. Ich arbeite, weil ich Sicherheit will. Oder ich arbeite, weil ich kreativ bin, also, ich habe eine künstlerische Arbeit oder ich kann meine künstlerische Ader im Unternehmen verwirklichen. Und das sind dann diejenigen, die immer weiter wachsen, weil ein Kreativer immer kreativ sein wird. Ganz klar, der Mangel und die Angst sind die treibende Kraft unserer Gesellschaft. Dazu gibt es für mich keine Alternative. Ich sehe nirgends, dass die Gesellschaft Kreativität fördern würde, sondern sie verdient an diesem Sicherheitsstreben. Das sieht man schon allein daran, wie viele Leute für die Rente arbeiten. Das ganze Rentensystem und die ganzen Versicherungen werden ja damit aufrechterhalten, mit dieser Angstmacherei. Wovon soll ich im Alter leben, denn da geht es mir ja zwangsläufig schlecht und da kann ich nicht mehr arbeiten und kein Geld mehr verdienen. Und das ist nicht richtig, das ist falsch, das stimmt überhaupt nicht.

Al-Omary: Das ist letztlich alles eine Wette auf die Zukunft.

Müller: Ja, aber das ist eine Lüge, das stimmt nicht. Das wird uns einprogrammiert, das wird uns einfach vorgemacht. Aber es ist das, was uns treibt und was uns hält. Das ist auch das, wo wir merken, es ist falsch, es frustriert uns, es geht nicht in die richtige Richtung. Und der Unternehmer an sich, der Unternehmertyp, das ist der Macher. Der Unternehmertyp, der hat Freude am Leben. Wenn wir mal eine andere Beschreibung des Wortes Arbeit nehmen, weil Arbeit sehr negativ besetzt ist. Arbeit kann wunderbar sein. Also ich möchte nie ohne Arbeit sein, Arbeit ist schön. Etwas zu erschaffen, ein Bild zu malen, könnte auch Arbeit sein. Aber wir in unserem gesellschaftlichen Kontext haben Arbeit als etwas definiert, als eine Tätigkeit, mit der wir Geld verdienen. Diese Tätigkeit, mit der wir Geld verdienen, keiner will sie tun. Aber das ist falsch. Es geht nicht darum, dass wir diese Arbeit nicht tun wollen, sondern wir würden eine Arbeit tun wollen, wenn sie erstens sinnvoll wäre und zweitens Spaß machen würde. Dann würden wir gar nicht aufhören wollen zu arbeiten, weil wir in diesem kreativen Prozess sind. Aber das wird uns madig gemacht, von Anfang an. Und da ist schon der Samen des Fehlers.

A-Omary: Also ich finde gar nicht, dass alle Mitarbeiter ihre Arbeit nicht mögen. Es sind schon genug, keine Frage, aber es ist ja nicht so, dass es bei allen so ist. Aber in der Tat ist, um den Gedanken von vorhin aufzugreifen, die Arbeitswelt in der Form, wie sie organisiert ist, natürlich nicht die, die kreatives Potenzial und Selbstverwirklichung zulässt. Was wir eben gesagt haben über Schule und andere Dinge, passiert in der Arbeitswelt ja genauso. Weil du ein systemisches Korsett hast, das aus organisatorischen Gründen oder aus administrativen Gründen oder wie auch immer dieses persönliche Wachstum verhindert. Was wiederum im Sinne einer Wertschöpfung und einer arbeitsteiligen Gesellschaft ja Sinn hat. Wenn wir alle nur noch Künstler sind und nackt am Strand tanzen, dann wird es mit der Wertschöpfung auch irgendwie schwierig. Aber gleichwohl ist natürlich in der Tat Freiheit nicht der Begriff, der in Unternehmen vorherrscht, sondern es ist Angst, es ist Misstrauen und es ist das, was Du eben sagtest: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Und uns wird die ganze Zeit suggeriert, die Zukunft wird schlechter, also bescheide dich bitte jetzt. Und genau dieses „bescheide dich jetzt, schnalle den Gürtel enger“ ist ja auch die Legitimation, uns Unternehmer im Wachstum zu hindern und uns zwangszuenteignen und eben doch die Äste abzuschneiden. Wenn es dir nämlich zu gut geht, dann entsteht eine Ungerechtigkeit. Wir wollen keinen Neid, wir sind ja alle eine Gesellschaft. Die Angst anderer legitimiert die Beschränkung deines Wachstums. Und so sind wir natürlich in einer kollektiven, nivellierten Gesellschaft, die es einfach schwierig macht zu wachsen. Und möglicherweise ist mein Gedanke „verdammtes Wachstum“ genau der, dass eine gewisse Resignation folgt, weil ich einfach die Nase voll davon habe, dass ich gute Ideen habe und andere davon in weiten Teilen profitieren, zumindest mehr profitieren als ich. Jetzt kann man natürlich boshaft behaupten, das sei eine gewisse Missgunst. Aber wenn das so ist, dann stehe ich gerne dazu.

Müller: Also ich sehe das nicht als missgünstig, überhaupt nicht. Ich finde, es ist eine ganz legitime Emotion, weil Du ja – ich will jetzt nicht von Dir persönlich sprechen, sondern es geht ganz vielen Leuten so wie dir – etwas tust und andere, ohne das Gleiche zu tun, mehr Früchte ernten als du, der sie ja eigentlich in die Welt gebracht hat. Da gebe ich Dir Recht, da bin ich ganz bei Dir. Ich sehe das auch so. Aber ich halte es nicht für die Schuld der anderen, die in den Genuss dieser Früchte kommen. Sondern ich finde, da ist das System falsch. Ich finde auch, die, die in den Genuss dieser Früchte kommen, sollten in der Lage sein, Früchte zu produzieren. Aber sie sind es nicht. Das ist meiner Meinung nach auch nicht die Schuld dieser einzelnen Person – natürlich, der eine oder andere Dieb ist schon darunter, die gibt es immer – sondern es ist die Schuld des Systems. Ich sehe eine Veränderung hin zu einem freien Wachstum, einem freieren Wachstum als es heute möglich ist, dass jeder einen wichtigen Beitrag leisten kann, wenn man es ihm erlaubt. Aber unser System erlaubt es ja nicht jedem, diese Freiheit, einmal eine Tätigkeit auszuüben oder ein Leben zu leben, wovon andere wirklich profitieren. Aber was treibt den Menschen im Prinzip? Ich sehe das so, dass im Prinzip der Mensch davon getrieben wird, dass er sich immer weiter verschenkt. Da sind wir wieder bei einem sehr positiven Menschenbild, dass der Mensch einen unglaublichen Spaß daran hat, eine unglaubliche Freude daran hat, unglaublich viel Sinn darin empfindet, dass andere Menschen sich daran freuen, dass es ihn gibt.

Al-Omary: Das mag ja sein. Ich stimme Dir in einem Punkt erst einmal konkret zu. Also, ich habe über die Schuldfrage ja gar nicht gesprochen. Schuld sind nicht die, die das Obst essen und dafür nichts getan haben, schuld ist der Staat, ist das System, ist unsere Gesellschaft, die es diesen Menschen nicht erlaubt hat, selber eigene Bäume zu pflanzen. So, da sind wir zunächst völlig auf einer Linie und völlig d’accord. Gleichwohl werden die aber auch nicht motiviert, eigene Bäume zu pflanzen, wenn sie von meinen Früchten mit essen können. Da muss man jetzt Ursache und Wirkung in den richtigen Zusammenhang setzen. Also: Würde man denen keine Früchte geben, wären sie ja gezwungen, eigene Bäume zu pflanzen. Das wäre schon ein Weg, der cleverer ist.

Müller: Das heißt, da sind wir wieder bei der Not. Da haben wir wieder die Motivation der Not. Das heißt, die Not da drüben erhöhen, damit die in die Gänge kommen. Das halte ich zum Beispiel nicht für den richtigen Weg. Ich halte es für den richtigen Weg, eine Möglichkeit aufzuzeigen – was mir nicht möglich sein wird, diese Möglichkeit aufzuzeigen, sondern das ist ein ideeller Gedanke – Menschen die Möglichkeit zu geben sich zu entfalten. Denn diese Not entsteht eben aus der Restriktion und nicht aus der Förderung. Meiner Meinung nach ist ein Mensch, der wirklich von Anfang an gefördert wird und nicht erst in diese Nehmerhaltung gelangt – und ich meine damit nicht Unternehmer, sondern die vom Stamme „nimm“. Ich kenne ganz viele Menschen vom Stamme „nimm“. Also, gar nicht erst in diese Nehmerhaltung gehen, sondern in die Unternehmerhaltung gehen, etwas zu unternehmen, etwas zu machen, etwas aufzubauen, etwas zu schaffen.

Al-Omary: Völlig d’accord, aber ich muss den Menschen auch die Freiheit geben, damit zu scheitern und auch die Konsequenzen des Scheiterns zu spüren. Das ist ja nicht nur eine Notdiskussion, sondern das ist eine Frage von Verantwortung und Konsequenz. Ich möchte mehr Mut, dass Menschen etwas tun. Und ich kann einen Baum pflanzen und kann eine Missernte haben. Und wenn ich die Missernte habe, dann muss ich halt mal den Gürtel enger schnallen. Wir gehen aber hin und sagen: Och, da war eine Missernte! Dann wollen wir mal das ganze Obst von den Leuten, die Glück gehabt haben und die besseres Klima hatten, umverteilen. Da liegt der Knackpunkt. Du kannst nicht nur die schönen Seiten verteilen, du musst auch die negativen verteilen.

Müller: Da sprichst du jetzt die aktuelle politische Situation an, weil ja jetzt sozusagen Enteignungen stattfinden sollen oder man darüber nachdenkt, weil es anderen so schlecht geht. Und das dann eben umzuverteilen.

Al-Omary: Das findet zurzeit besonders krass statt. Es wird jetzt virulent in der Gesellschaft. Aber das System ist ja schon seit Jahren so. Dass mir die Früchte weggenommen worden sind, ist jetzt auch keine Erfindung der Regierung Merkel.

Müller: Natürlich nicht. Meine Mutter zum Beispiel, die Grundstücke in der Innenstadt Frankfurt hatte, die wurde enteignet. Ich kenne es aus der eigenen Familie und ich weiß, was das mit jemandem macht. Aber sie hat das ganz gut verwunden, sie war noch jung genug und sie hat ihr Leben eben auf andere Weise weiter gelebt und das ist auch gut.

Al-Omary: Wobei das jetzt nicht mein Thema ist. So schlimm das ist, wenn eine Enteignung passiert, wie das jetzt in Berlin mit den Eigentümern stattfindet. Mein Thema ist eher die Enteignung, die wir alle als gesellschaftliches Zusammenleben akzeptieren. Nämlich eben dieses Thema: Ich muss Steuern bezahlen, ich muss Abgaben bezahlen, ich muss in eine Berufsgenossenschaft einzahlen, ich muss dieses und jenes abschließen, ich muss mich an diese und jene Restriktion halten … Das ist doch auch eine Form von Enteignung. Enteignung ist ja ein Besitzbegriff. Der Begriff auf der ideellen Ebene wäre dann der Begriff der Freiheitsberaubung. Und beides akzeptiere ich als gegeben und legitimiere es als Gemeinwohl und als gesellschaftliches Zusammenleben. Und wenn ich es ganz pathetisch machen will, dann packe ich da das Etikett „Ethik“ drauf.

Müller: Ja, ganz genau! Das wollte ich gerade sagen. Es wird ja mit anderen Worten schön verpackt. Und das wollte ich vorhin sagen: Wenn wir zum Beispiel das Wort „Arbeit“ umbenennen, haben wir eben keinen so negativen Begriff, sondern wir meinen damit eine Tätigkeit, für die ich bezahlt werde. Arbeit kann auch wunderbar und schön und inspirierend sein, sie muss nicht nur Negatives und Hamsterrad bedeuten. Oder eben bedeuten, dass das, was ich mache, etwas ist, wozu ich gezwungen bin, weil ich sonst verhungere. Aber diese Umbenennung von unschönen Dingen mit wunderbaren Begriffen, das haben wir ja überall, darüber können wir ganze Bücher schreiben. Und das ist ja Augenwascherei. Also, ich bin da ganz bei Dir. Trotzdem, meiner Meinung nach ist Wachstum wichtig. Wachstum ist etwas Natürliches. Wachstum muss ja nicht gleich eine Explosion sein, muss ja nicht gleich der Urknall sein, sondern eben immer ein Schrittchen voraus und immer ein bisschen mehr und immer hier noch etwas anstoßen, da noch etwas anstoßen, solange wir auch persönlich als Unternehmer mithalten können, indem wir uns weiterentwickeln. Denn es ist ja auch immer ein Ausdehnen unserer selbst und unserer eigenen Pflichten und Möglichkeiten. Ich sehe das schon als persönliches Wachstum. Nur finde ich das Innehalten ganz wichtig, um eben vom Wachstum nicht überrannt zu werden.

Al-Omary: Das ist wichtig und wir haben ja auch herausgearbeitet, das wurde mir nochmal deutlicher in dem Gespräch, dass wir Wachstum eben auch auf verschiedenen Ebenen sehen müssen. Also die Entscheidung in einem Bereich eben nicht mehr zu wachsen ­– wenn ich eben sage, ich muss nicht noch mehr Umsatz machen, ich muss nicht noch mehr Gewinn machen, der wird mir sowieso in Teilen weggenommen … Aber ich wachse stattdessen in Intellektualität, in neuen Geschäftsbereichen, in der Kenntnis neuer innovativer Methoden oder was auch immer, dann habe ich ja eine Chance. Insofern stimme ich dir zu: Man kann nicht nicht wachsen. Man sollte auch Wachstum anstreben, weil es zutiefst menschlich ist. Aber ich muss bewusst entscheiden, ob ich um jeden Preis wachsen und mir von anderen oktroyieren lassen will, was Wachstum eigentlich ist. Ich hatte ja das Gespräch mit dem Thema Bankbilanz eröffnet, wo der Blick von anderen urteilt, ob mein Wachstum richtig oder falsch, gut oder schlecht war. Wenn ich das überwunden habe, dann kann ich als Unternehmer auch wieder Freiheiten leben und möglicherweise sogar, zumindest in Teilbereichen, Zwangsenteignungen und Freiheitsberaubungen entgehen.

Müller: Ja, ich bin da ganz bei Dir. Lass uns mal von so einer schönen neuen Welt einfach träumen, in der es uns als Unternehmern super gut geht und unseren Mitarbeitern auch. Einer Welt, in der alle schön natürlich wachsen.

Al-Omary: Und mal innehalten ab und zu.

Müller: Und ab und zu innehalten. Ich glaube, das Innehalten ermöglicht uns schon einmal diesen Traum.

Al-Omary: Wunderbar!

Müller: Vielen Dank! Vielen Dank fürs dabei sein heute, bis zum nächsten Mal und tschüss!

Danke fürs Zuhören, wir sind heute schon am Ende unserer Folge. Im zweiwöchigen Rhythmus geht es weiter. Und wenn Sie die nächste Folge mit als erstes auf Ihrem Handy empfangen möchten, dann abonnieren Sie doch einfach diesen Podcast. Wie das funktioniert, zeigen wir Ihnen in den Shownotes. Ansonsten lädt Sie Annette Müller ganz herzlich in ihre Facebook-Gruppe ein, um über die Gedanken zu heute und zu den nächsten Folgen gerne mit ihr zu diskutieren. In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal.