Episode #21 Krise heißt Entscheidung – doch was wurde entschieden und für wen? Teil 1

Der Schutz Ihrer Daten ist uns wichtig!
Erst wenn Sie Statistik Cookies zulassen werden wir den Podcast anzeigen.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von player.captivate.fm zu laden.

Inhalt laden

Corona hat die Welt weiterhin fest im Griff. Die unzähligen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werfen auch philosophische Fragen auf: Wie menschlich ist es, was da passiert? Wie menschlich ist die Behandlung der Menschen auf den Intensivstationen und wie menschlich ist es, 83 Millionen Menschen eine Art Isolierung zu verordnen? Diesen und weiteren Fragen widmen sich heute Annette Müller und Falk Al-Omary.

„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

Du möchtest Dich zu der Folge zu Wort melden? Setz Dich direkt mit Annette über Facebook in Verbindung: https://www.facebook.com/gedankenzurmenschlichkeit/


Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Annette Müller: Herzlich willkommen zu unserer heutigen neuen Podcast-Folge. Ganz aktuell: Krise heißt Entscheidung. Aber was und für wen wurde entschieden? Dieses Thema möchte ich wieder vertiefen mit Falk Al-Omary, der sehr viele Entscheidungen schon getroffen hat, sehr viel zu entscheiden hat. Und wir haben uns im Vorfeld eben darüber unterhalten, welches Thema wir vertiefen möchten. Und das hat uns doch gerade jetzt ganz aktuell sehr berührt und angesprochen. Herzlich willkommen, Falk Al-Omary.

Falk Al-Omary: Hallo.

Müller: Krise, aus dem Griechischen, heißt übersetzt „Entscheidung“. Die große Frage ist, wir haben ja erlebt, was es bedeutet, wenn etwas entschieden wird und wir sind immer noch dabei, herauszufinden, was wurde entschieden und für wen. Denn irgendwo finden wir uns gerade oder sind dabei, uns gerade wieder neu zu finden und zu erfinden. Lieber Falk, wie geht es dir damit?

Müller: Ja, im Moment ist leider nicht so fürchterlich viel zu entscheiden. So viel Ohnmacht, so viel Fremdbestimmung, so viel Obrigkeitsempfinden war noch nie. Und das geht mir nicht anders als anderen auch. Ich nehme an, dass du das auch so erlebt hast. Und ich weiß es von vielen Unternehmern, aber im Grunde auch von jeder Privatperson, von allen Menschen. Das ist einmalig. Das ist wirklich eine absolute Wendesituation. Und vom Wortstamm her, du sagst, Krise heißt Entscheidung, das sind in der Regel oft Wendepunkte der Geschichte. Und häufig hört man ja auch den Satz: „Nach Corona wird nichts mehr so sein wie vorher.“ Das glaube ich nicht. Wir werden schon wieder relativ schnell zu vielen alten Gewohnheiten zurückkehren. Dafür sind uns die viel zu lieb. Aber vieles wird sich schon extrem verändern. Und die Frage ist in der Tat, wie gehe ich damit um, dass ich im Moment mal nichts entscheiden kann? Weil, das Problem ist ja nicht der Lockdown allein. Das Problem ist ja, es ist das Ende der Planbarkeit, was am Ende damit erreicht ist. Es ist das Gefühl von Willkür, das entstanden ist. Weil, wenn ich weiß, wann ich wieder eine Veranstaltung besuchen kann, dann kann ich das irgendwie einplanen. Dann kann ich das überbrücken. Wenn ich als Gastronom gewusst hätte, wann ich wieder öffnen kann, hätte ich sagen können, ich kann das so und so durchhalten und ich plane so und so. Aber es konnte eben überhaupt keiner planen und man ist total der Regierung und irgendwelchen Behörden ausgesetzt. Und das ist in der Geschichte meines Erachtens einmalig. Also dieses Gefühl, du kannst nicht selbst entscheiden, kennen unsere Großeltern vielleicht noch aus Diktaturen, aber jemand, der jetzt im mittleren Alter ist, hat das in seinem Leben so noch nie erfahren. Und das finde ich philosophisch und menschlich hochspannend, was das eigentlich mit uns und der Gesellschaft macht.

Müller: Ja. Damit habe ich mich schon ganz am Anfang auseinandergesetzt, auseinandersetzen müssen, weil dieses ganze Thema Bewusstseinsevolution ja unglaublich viel mit Freiheit zu tun hat. Bewusstseinsevolution bedeutet ja, immer freier und freier zu werden. Und das ist natürlich jetzt ein ganz großer Widerspruch, auch für mich. Was ich eben empfinde, ist gerade: Stopp! Jetzt werden mir ganz klipp und klar und deutlich Grenzen gesetzt, Grenzen aufgezeigt. Und ich muss tatsächlich – erstmals seit ich mein Elternhaus verlassen habe – wieder gehorchen.

Al-Omary: Ja, du hast auch Hausarrest und Stubenarrest und so.

Müller: Richtig. Hausarrest und Stubenarrest, Maskenpflicht. Dinge durchführen zu müssen, die einem widerstreben, die gegen die innerste Überzeugung sind. Ich muss natürlich betonen, wenn ich davon überzeugt wäre, dass wir tatsächlich in dieser Epidemie, Pandemie leben, wo es gerechtfertigt wäre, solche drastischen Maßnahmen zu treffen, dann bin ich die erste, die aufpasst, dass mir nichts passiert, dass meiner Mutter nichts passiert, dass meinen Nachbarn nichts passiert, und so weiter und so fort. Weil, ich habe schon ein Bild von mir selber, dass ich eine sehr verantwortungsvolle Person bin und überhaupt nicht unverantwortlich agiere oder auch nicht unverantwortlich denke. Aber das kann ich eben nicht erkennen und deshalb habe ich eben damit auch sehr große Schwierigkeiten, diese Regeln zu akzeptieren. Und da ist natürlich die Frage, wie gehe ich mit meinem eigenen Ohnmachtsgefühl um? Und ich finde das sehr wichtig, dass ich damit umgehen kann und dass ich vielleicht dem ein oder anderen auch Tipps geben kann, wie man damit umgehen kann. Es ist ganz wichtig, das erstmal zu hinterfragen, zu spüren und zu erkennen, wie man darauf reagiert. Also wirklich in diese Selbstreflexion hineinzugehen. Was macht das mit mir ganz persönlich? Wo macht es mich betroffen? Wo habe ich zum Beispiel auch eine psychosomatische Reaktion darauf? Was ist es genau, was mir den Schlaf raubt? Wieso kriege ich Schweißausbrüche? Wieso kann ich jetzt zum Beispiel nicht mehr so froh und frei sein wie vorher? Warum habe ich also Herzrasen oder Herzklopfen? Und das höre ich von ganz vielen Leuten, dass genau solche Sachen eben auch passieren. Und dass sie Panikattacken bekommen, dass sie sich allein fühlen, dass es noch nicht mal hilft, mit jemandem am Telefon zu sprechen. Also ich habe da Sachen gehört, die sind wirklich unfassbar. Und das haben wir ja nicht selbst entschieden.

Al-Omary: Nein, das ist richtig. Und wir sind es eben auch gewohnt, bestimmte Dinge vorherzusagen und zu planen. Also hättest du vor drei Monaten jemanden gefragt, was machst du am 21. März 2021, hätte er da mutmaßlich irgendeinen Termin drinstehen gehabt oder hätte genau gewusst, was an so einem Wochentag denn normalerweise stattfindet. Und das ist hier völlig genommen worden. Und das ist auch aus meiner Sicht ein bisschen die Problematik, die wir haben. Wir haben etwas, was wir noch nie hatten. Und ich glaube auch, dass die Folgen des Lockdowns viel schlimmer sind als die Krankheit selbst. Krank werden ist in meiner Wahrnehmung ein normales Lebensrisiko. Krank werden kennen wir. Sich erkälten, eine Grippe haben, sich ein Bein brechen – damit gehen wir um, das akzeptieren wir als Lebensrisiko, das halten wir für relativ normal. Wir gehen auch das Risiko ein, einen Autounfall zu haben, und steigen trotzdem ins Auto. Also es gibt gewisse Lebensrisiken, die sind wir gewohnt, und die haben wir immer geglaubt, die können wir kalkulieren. Und jetzt leben wir in einer Situation, wo plötzlich gesagt wird, diese Gefahr ist so groß, dass wir euch alle mit Restriktionen belegen müssen, dass ihr eingesperrt bleiben müsst, dass ihr zuhause bleibt. Du musst dich ja schon rechtfertigen, wenn du rausgehst. Du bist ja ein potenzieller Mörder, wenn du das Haus verlässt und nicht im nächstgelegenen Supermarkt einkaufst. Das war ja ein bisschen in der Hochphase so das Image, das man hatte. Und diese Freiheitsberaubung, die, glaube ich, löst viele Traumata und Probleme aus. Von den wirtschaftlichen Folgen und potenziellen Suiziden und der Vereinsamung alter Menschen will ich ja jetzt noch gar nicht reden, dass uns das den Boden wirklich wegreißt. Das ist ein so einschneidendes Thema, dass wir das eben nicht kannten. Und für Unbekanntes ist der Mensch, glaube ich, nicht gemacht. Er ist es halt gewohnt, zu planen, zu funktionieren, zumindest eine Perspektive zu haben. So. Und eine Perspektive gab es eben nicht mehr. Wann endet denn das? Endet es, wenn ein Impfstoff da ist? Endet es, wenn wir irgendwie keine Fallzahlen mehr haben? Endet es, wenn irgendwann die Macht der Straße so groß wird, dass die Politik nicht mehr anders kann? Du weißt halt schlicht nichts. Und dafür sind wir als Menschen nicht gemacht. Uns unterscheidet vom Tier, dass wir ein Bewusstsein haben. Das ist ja auch dein Thema, Bewusstseinsevolution. Bewusstsein bedingt eben auch eine Dimension von Zeit und Raum und nicht nur Leben im Hier und Jetzt. Und auf dieses Hier und Jetzt wurden wir total zurückgeworfen. Und das finde ich auf eine Art und Weise brutal und unmenschlich.

Müller: Also da bin ich ganz bei dir und das macht mich auch sehr betroffen. Noch immer. Es geht jetzt in die 10. Woche Lockdown. Nicht nur ich komme mir vor wie in einem wirklich sehr gut gemachten Hitchcock-Film. Hitchcock war ja der Meister der Spannung, weil nämlich nie bekannt wurde, was die tatsächliche Gefahr darstellt. Die Gefahr war immer verhüllt. Und das hat eben dieses unglaubliche Thriller-Gefühl gemacht. Und wenn man da unfreiwilliger Schauspieler drin ist in so einem Ding, das ist nicht so angenehm.

Al-Omary: Ja, du sprichst es ja an. Das sind auch so die Phasen, die ich in Gesprächen mit Leuten erlebt habe. Das erste war dieses Aufsaugen von Nachrichten, diese absolute Hilflosigkeit, diese Resignation, diese Schockstarre, diese völlige Panik und Hilflosigkeit. Das war so die ersten zwei Wochen. Da gab es ja eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Unheimlich schnelle Entwicklung der Fallzahlen. Noch härterer Lockdown. Die Forderungen aus allen Ecken, das müsste noch viel schärfer sein. Der Eindruck der Bilder aus Italien und Spanien. Und da gab es genügend Leute, die das viel straffer noch alles wollten. Das war so das eine. Und dann kam die nächste Phase, irgendwie Aktionismus. Ich muss jetzt die Schotten dicht machen. Gespräche mit dem Steuerberater. Wieviel Liquidität habe ich? Das Rechnen. Wie lange kann ich das durchhalten? Das war die Panikreaktion, die in einen Aktionismus mündete, obwohl du ja keine Perspektive hattest. So. Und jetzt kommen wir langsam in die Phase, oder sind da seit ein, zwei Wochen drin, wo dieser Ausnahmezustand in das mündet, was die Politik gerne die „neue Normalität“ nennt. Dass man sich irgendwie dran gewöhnt hat, dass Maske tragen schon gar nicht mehr so fürchterlich schlimm ist. Ich finde es immer noch unangenehm, aber du akzeptierst es als normal und du arbeitest eben wieder normal und hast dich an die Gegebenheiten angepasst. Und es ist nicht mehr so dieses Gefühl von Armageddon, wenn dir einer mit der Maske entgegenkommt. Irgendwie gewöhnst du dich dran. Aber jetzt kommt meine Sorge: Wenn ich da wirklich mich dran gewöhne und irgendwann sage, hey, das ist jetzt normal. Wo soll das denn enden? Und wieviel Freiheit habe ich denn wirklich? Und wieviel Staat lasse ich mir gefallen? Und wieviel Ohnmacht bin ich denn bereit hinzunehmen in Zukunft? Das sind Fragen, die die Gesellschaft durchaus verändern werden, weil ich es jetzt einmal erlebt habe. Jetzt habe ich einen Präzedenzfall.

Müller: Ich glaube, so wie wir darauf reagieren, ist das doch sehr individuell. Wenn ich mich jetzt mal in die Lage versetze, ich bin ein Clan-Oberhaupt und es passiert eine solche tatsächliche Epidemie. Was tue ich? Es ist ja so: Du bist gefordert, Entscheidungen zu treffen. Das heißt, das ist deine Aufgabe als Führungsposition. Die anderen warten darauf, okay, die steht da und sagt, in welche Richtung geht es. Sage uns, wo es langgeht. Wir gehen mit, aber sage uns, wo es lang geht. Und da bist du natürlich gefordert, Entscheidungen zu treffen. Und es ist ja zum Beispiel so, dass ganz interessant gewesen ist, wie viele Ärzte mit Corona-Patienten gearbeitet haben, die sagen, die kommen in die Klinik, wir wissen nicht genau, was die jetzt haben. Wir wissen auch nicht, was wir dagegen tun können. Aber es ist uns nicht vergönnt zu sagen, warten wir ab. Sondern sie sind gezwungen, Cortison zu geben, sie sind gezwungen, Antibiotika zu geben, sie sind gezwungen, sie eventuell, wenn sie sauerstoffpflichtig geworden sind, zu beatmen, und so weiter und so fort. Und da sagen natürlich auch sehr viele, das ist genau falsch gewesen und daran sind letztendlich die Patienten gestorben. Viele dieser Corona-Patienten sind an falschen Behandlungen gestorben. Jetzt haben natürlich die Ärzte nicht die Autorität und die Freiheit, die Entscheidung zu treffen, halt, diesen Patienten behandle ich nicht. Weil dann machen sie sich strafbar. Sie machen sich nicht strafbar, wenn sie ein falsches Medikament geben, weil man das ja hinterher nicht feststellen kann. Und da ist es natürlich wieder die Sache, okay, wer und was wurde entschieden und für wen? Also wir sind ja alle einzeln gefordert und merken jetzt, wie jede einzelne Entscheidung auch den anderen betrifft.

Al-Omary: Ja, das ist es ja. Die Maskenpflicht ist ja ähnlich wie die Gurtpflicht im Auto. Die hat man damals gesetzlich nicht durchsetzen können. Also du kannst keinen zwingen, sich anzuschnallen. Und die damalige Begründung für das Gesetz der Anschnallpflicht war, dass, wenn du dich selbst gefährdest und nicht den Gurt umhast, kannst du ja, wenn du einem anderen Verunfallten begegnest, also am Unfallort vorbeikommst, könntest du ja potenziell keine Erste Hilfe leisten. Und so hat man mit der Hilfe für die anderen begründet, warum du dich im Auto anschnallen musst. Und eine ähnliche Begründung erleben wir jetzt bei den Masken. Die schützt nicht dich, die schützt andere. Aber wenn natürlich jeder eine trägt, dann sind alle geschützt. Und das sind eben alles so Entscheidungen, die uns oktroyiert werden, versehen mit einem moralischen Obligo, du hast jetzt gefälligst andere zu schützen und auf sie Rücksicht zu nehmen. Was im Grund eine Selbstverständlichkeit ist, wurde uns jetzt oktroyiert. Und das gleiche ist das, was du mit den Ärzten sagst. Die bewusste Entscheidung, ich möchte beatmet werden, haben die meisten Menschen ja nicht getroffen. Wir wissen ja heute, dass 80 Prozent aller, die beatmet werden, ohnehin sterben. Und jetzt ist eben die Frage: Was ist das denn für eine Lebensqualität? Was ist das denn für ein Lebensende? Das ist ein ziemlich langer und qualvoller Tod. Und da ist eben die Frage, ob man die Leute nicht auch palliativ hätte behandeln können. Und da haben eben viele nicht den Komfort gehabt, entscheiden zu dürfen, so, wie ein Krebspatient im Endstadium ja gerne sagt, ich möchte das nicht mehr, ich möchte jetzt einfach noch ein paar schöne Wochen haben und dann idealerweise friedlich einschlafen, lindert meine Schmerzen, aber bitte lasst mich gehen. Das ist bei Corona nicht passiert. Da ist extrem viel Leid und Qual vonstattengegangen. Und man hat ja sogar dieses Leid und diese Qual zum Maßstab erhoben. Also neben den ganzen R-Werten und Infektionszahlen hieß es ja immer, wir müssen genügend Beatmungsplätze vorhalten. Das heißt, man hat etwas, was im Grunde mit hoher Wahrscheinlichkeit dennoch zum Tod führt, was eigentlich Leid verursacht, zum Maßstab der Entscheidung gemacht und damit sogar den Lockdown legitimiert. Lockdown war auch, wir brauchen Zeit, um die Intensivbetten auszubauen. Jetzt hat der Staat sicherlich nicht das Recht und die Gesellschaft nicht das Recht, zu sagen, wir lassen die einfach sterben. Wobei man die Position aus meiner Sicht auch vertreten könnte, aber das hält so eine Gesellschaft nicht aus. Also sagt man, okay, wir bauen jetzt die Intensivmedizin aus. Aber ich möchte gerne, dass die Leute irgendwie hätten entscheiden können, ob sie beatmet werden oder nicht. Und das haben viele nicht entscheiden dürfen und sind dann relativ qualvoll verendet. Und dann ist eben die Frage: Wie menschlich ist denn am Ende das, was da passiert? Wie menschlich ist es, die Menschen auf Intensivstationen zu bringen, teilweise gegen ihren Willen, weil Behandlung halt gemacht werden muss von wegen unterlassener Hilfeleistung? Wie menschlich ist es für die Risikogruppe, die ohne Frage geschützt werden muss, 83 Millionen Menschen in eine Art Isolierung zu stecken. Ich nehme bewusst jetzt nicht das Wort Haft, aber auch das kann man ja so empfinden. Und im Grunde war die größte Sorge der Gesellschaft: Wir müssen eine Triage verhindern. Das war ja das Bild. Da kommen zwei Menschen ins Klinikum. Wer kriegt jetzt das Sauerstoffgerät? Aber es wurde triagiert. Es wurde eine Triage gemacht, dass wir gesagt haben, wir retten unsere Risikogruppen und nehmen dafür Millionen arme Kinder in Afrika, Asien und ärmeren Ländern in Kauf. Wir nehmen zigtausende Unternehmenspleiten in Kauf, um Menschen Gesundheit zu geben. Es wurde triagiert, nur nicht unmittelbar in der Klinik. Es wurde entschieden zugunsten einiger, zu Lasten anderer. Diese Triage gab es. Und im Grunde ist jede Entscheidung eine Art Triage. Und deswegen finde ich das Thema so spannend. Für wen wurde denn entschieden? Was ist denn am Ende die Legitimation, so zu entscheiden, außer politischen Mehrheiten?

Müller: Ich bin ganz bei dir, total. Ich würde das sogar noch viel krasser ausdrücken, als du es ausgedrückt hast. Jetzt haben wir hier ganz viele Themen. Die Maskenpflicht: Wir werden gezwungen, andere zu schützen, indem wir Masken tragen. Da möchte ich noch etwas einhaken, weil den wenigsten wahrscheinlich wirklich bewusst ist, dass Viren viel zu klein sind, um sich überhaupt von einer Maske aufhalten zu lassen. Das ist wie ein riesengroßes Sieb für so ein Virus, so eine Maske. Deshalb ist es ja so umstritten, dass man Masken tragen muss. Also das heißt, man sagt, okay, du schützt die anderen damit, mit dieser Maske, aber im Grunde genommen ist das Augenwischerei, weil es nicht ein wirklicher Schutz ist. Und ich möchte nochmal darauf zurückkommen auf den Punkt, wenn es wirklich eine Pandemie in dieser Art wäre, oder bleiben wir einfach bei einer Epidemie in Deutschland, weil das ist ja global. Da müssten wir nochmal einen Podcast machen, über den wir sprechen, warum ist das jetzt global. Und warum sagen alle Länder unisono das Gleiche? Das ist ja auch eine große Frage. Aber wenn wir jetzt hier in Deutschland bleiben, wenn wir bei uns bleiben, wenn wir versuchen, in der Gemeinschaft und auch individuell aus diesem Schlamassel wieder raus zu baldowern. Ich hoffe, dass uns das auch gelingen wird. Da fragen wir uns natürlich: Für wen wurde das entschieden? Also zu meinen Gunsten kann ich das nicht empfinden. Ich kann das immer nur zu meinen persönlichen Ungunsten empfinden, weil ich ja nicht in der Lage bin, tatsächlich den Grund als legitim zu sehen. Das ist für mich das eigentliche Problem. Für mich passiert das Ganze für Nichts. Und die Leute, die jetzt gestorben sind an oder mit Corona oder wegen Corona, das sind alles Opfer. Das sind Opfer, die hätten nicht sein müssen. Das finde ich sehr tragisch und schlimm und deshalb bin ich eben da sprachlos. Also vom Individuellen und vom Bewusstsein her ist das natürlich etwas Wunderbares, wenn man im Hier und Jetzt sein kann. Meiner Meinung nach ist das, was wir jetzt erleben, auch eine Reflexion von uns selbst. Man könnte sagen, ja, du wolltest ja so gerne im Hier und Jetzt sein. Jetzt sei mal im Hier und Jetzt. Das ist aber dann jetzt nicht freiwillig, sondern ich werde gezwungen, im Hier und Jetzt zu sein. Damit können wir uns tatsächlich behelfen, indem wir sagen, okay, ich habe jetzt keine Möglichkeit. Ich bin im Hier und Jetzt. Ich spüre meinen Atem. Ich gehe meinetwegen in die Meditation. Ich mache dann halt eben Yoga oder gucke in den Himmel und finde den schön oder sonst irgendetwas. Und trotzdem ist es nicht möglich, denn das ist Selbstbeweihräucherung, weil wir brauchen das Fundament, um einen Schritt vor den anderen gehen zu können. Und das ist nun mal hier unser System und unsere Gesellschaft. Und die Wirtschaft vor allen Dingen auch.

Al-Omary: Ja, Freiwilligkeit ist ja ein Stichwort. Wenn ich sage, ich möchte meditieren und möchte für mich sein und möchte eine innere Einkehr haben, ich würde als Unternehmer ganz gerne noch das Wort Fokussierung da draufschreiben, das ist eine freiwillige Konzentration auf irgendetwas. Ich bin aber jetzt unfreiwillig auf mich selbst zurückgeworfen. Das finde ich eben auch das Spannende an dem Thema „Krise heißt Entscheidung“: Was kann ich denn überhaupt noch selbst entscheiden? Und wieviel Fremdentscheidung Dritter bin ich denn überhaupt bereit, für mein Leben zu akzeptieren? Unabhängig davon, ob ich jetzt an Corona glaube oder nicht und für wie problematisch ich das halte. Am Ende des Tages hast du ja auch gefragt: Wer wurde denn geschützt? Für wen wurde das entschieden? Aus meiner Sicht war das vordergründige Argument: Wir entscheiden für die Risikogruppen und deswegen müssen wir alle vorsichtig sein, um die Risikogruppen zu schützen. Eigentlich wurden die Mutigen gehindert, ihr Leben weiter zu leben, um die Ängstlichen, vor allem die, die die Krankheit fürchten, irgendwo zu beschützen. Man hat also eine Politik pro sicherheitsorientierten Teil der Bevölkerung gemacht. Und das erklärt auch, weswegen jetzt die CDU davon in den Umfragen extrem stark profitiert und weswegen die Regierung davon profitiert. Das heißt, die Leute, die ohnehin diffuse Ängste haben, die Lebensrisiken weitgehend minimieren möchten, diejenigen, die auch 28 Versicherungen gegen alles Mögliche abschließen, das sind im Grunde jetzt die Menschen, die zum Maßstab politischer Entscheidungen gemacht werden. Und die im Grunde auch zu den ganzen Maßnahmen klatschen, weil sie Sicherheit über Freiheit stellen. Da haben wir schonmal drüber gesprochen in verschiedenen Folgen, über diese Dialektik zwischen Sicherheit und Freiheit. Und die Freiheitlichen, die reden von solchen Dingen wie Haft. Und die sagen auch, dieses Corona, das ist völlig übertrieben. Ich sage auch gern, das ist wie eine Erkältung. Da kriege ich auch regelmäßig Ärger für. Und das mag ja auch falsch sein. De Facto ist es aber mal so, dass die Sicherheitsorientierten diejenigen sind, die im Fokus der Politik sind. Ob das mehr sind als die Freiheitsliebenden vermag ich nicht zu sagen. Aber es sind ohnehin die, die Entscheidungen Dritter leichter zu akzeptieren bereit sind. Also ich glaube, dass Menschen wie uns das im Verhältnis mehr wehtut, dass uns das mehr schmerzt, dass wir uns viel beraubter fühlen als jemand, der sagt, ich möchte sowieso lieber in meiner Nische sein und das Leben hat gefälligst flauschig zu sein und ich bin in meinem Angestelltendasein und meine Lebensversicherung wird es schon bezahlen. Also so eine Vollkasko-Mentalität, die haben ja einige. Und die trifft das nicht so hart. Und das ist auch dieser Clash in der Kultur und diese Auseinandersetzung, die es gibt, dass die „Sicherheitsbrötchen“ das nicht so schlimm finden. Aber Leute wie wir, wir fühlen uns wie in die DDR zurückversetzt. Ich habe mal irgendwann gepostet, das sei ein Hauch von Nordkorea. Und das ist in der Tat auch mein Empfinden am Anfang gewesen.

Müller: Also, ganz am Anfang auch meins. Nordkorea kann ich nicht sagen, aber meine Mutter hat eben das Dritte Reich erlebt und hat mir sehr viel davon erzählt. Und sie meinte: „Oh Gott, das erinnert mich ja wirklich total an die alten Zeiten.“ Das habe ich dann eben auch gepostet auf Social Media und-, oh, um Gottes Willen. Aber wir sehen ja, dass wir komplett unserer Eigenständigkeit beraubt sind. Und eben dieses „DDR2“ kommt immer mehr und mehr. Zwar sagen die Leute, das wird jetzt global installiert. Und da sind wir da bei den ganzen Verschwörungstheorien, über die wir uns vielleicht auch ein anderes Mal schön ausgiebig unterhalten können. Aber ich habe erlebt, dass ich die Leute gefragt habe: „Wie geht es euch? Wie geht es dir? Wie geht es Ihnen?“ „Ja, gut. Den Umständen entsprechend.“ Und dann habe ich gefragt: „Und wie geht es dir mit deiner Entrechtung?“ Und dann haben die gefragt: „Wie? Entrechtung?“ „Ja. Wie geht es dir mit deiner Entrechtung? Du bist doch entrechtet worden? Du hast doch deine Rechte nicht mehr.“ „Oh ja, also ich fühle mich nicht entrechtet.“ Dann frage ich: „Ja, warum?“ „Ja, so habe ich das noch nie gesehen.“ Dann sage ich: „Aber kannst du jetzt machen, was du willst?“ „Nein. Aber das ist auch okay. Also ich warte ab. Das ist auch irgendwann mal vorbei. Mir geht es doch gut. Schau doch mal, wo wir hier leben. Ist doch alles ganz super. Schau mal da hin und da hin. Ich bin ja froh, dass ich nicht in Italien bin oder in Spanien. Also für mich ist das okay.“ Dann habe ich mir gedacht: Hmmm. Also das hat mich irgendwie super geärgert, weil, denen geht es einfach noch nicht schlecht genug, habe ich mir gedacht. Denen geht es einfach noch zu gut. Die merken das einfach noch nicht, was das wirklich bedeutet. Und ich habe für mich jeden Tag erlebt, jeden Tag in meinem Unternehmen mit den Mitarbeitern. Ich habe zwei Leute entlassen müssen. Ich muss vielleicht aus dem ein oder anderen Vertrag raus oder sonst irgendwie noch etwas machen. Ich spüre das. Und dann sagt mir dann jemand: „Och, entrechtet? Ich fühle mich nicht entrechtet.“ Da habe ich mir gedacht: Hhmm! Und da kommt dann eben auch diese Aggression her, warum wir aufeinander dann so wütend und sauer sind, weil ich mir dann denke, hey, du hast gefälligst genauso zu denken wie ich. Dir muss es genauso weh tun. Dann denke ich mir, nein, musst du nicht, weil du bist ja schließlich du. Und ich muss mein Leben so leben, wie es eben für mich richtig ist. Und ihr dürft auch so denken, wie ihr denkt, weil ich habe ja auch das Recht, so zu denken wie ich denke. Aber es ist schon nicht so einfach. Also es piesackt sehr, wie du gesagt hast.

Al-Omary: Ja. Es hat mehrere Komponenten. Ich glaube zum einen, du musst so denken wie ich. Also selten haben sich Freundeslisten bei Facebook und Instagram so schnell geleert wie in diesen Zeiten. Also, Social Distancing funktioniert in den sozialen Netzwerken extrem gut. Bist du für oder gegen Corona? Corona-Leugner ist ja so ein Stichwort geworden. Da wurde sehr stark polarisiert. Also ich glaube, dass viele sich viel in ihren Kokon zurückgezogen haben und in ihre Filterblase. Es ist die Zeit der bereinigten Freundeslisten. Es ist auch die Zeit, um sich von Menschen, die anders denken, irgendwie jetzt distanzieren zu können. Das ist natürlich radikal auch passiert. Das zweite ist: Ich habe sehr wenig Angst vor Corona. Und ich will gar nicht sagen, dass das nicht gefährlich ist und dass die Maßnahmen vielleicht richtig gewesen sein könnten. Das ist gar nicht so der Punkt, den ich primär beurteile. Was mir mehr Sorge macht als krank zu werden, egal, was für eine Krankheit, ist die Bereitschaft zur Unterwerfung. Also selbst, wenn ich Corona für gefährlich halte, und selbst dann, wenn ich der Meinung bin, dass der Staat eine Schutzaufgabe für mich hat und die verantwortungsvoll wahrnimmt, selbst dann muss es mir gestattet sein, die Intensität der Maßnahmen und die Art der Maßnahmen zu hinterfragen. Dieses Hinterfragen, dieses Klagen, dieses Anklagen, dieses sich in irgendeiner Art und Weise zu wehren und letzte Freiheitsrechte zu verteidigen, hat in keiner Weise stattgefunden. Es war eine wirklich klaglose Akzeptanz der Regeln. Und viele haben ja noch gesagt, das müsste noch viel schlimmer sein. Der Lockdown ist ja hier überhaupt gar nicht hart genug. Wann kommt endlich die Ausgangssperre? Wo ich dachte, um Gottes Willen! In was für einer Gesellschaft leben wir, wenn wir diese Dinge, selbst wenn wir sie richtig finden, klaglos hinnehmen? Das macht mir wahnsinnig Sorgen. Und das macht mir eher Angst für die Zukunft. Wo endet das? Wie einfach ist es denn, wieder eine DDR zu etablieren? Wie einfach ist es denn, unbequeme Entscheidungen durchzusetzen? Wie einfach wäre es denn, Deutschland in irgendeine kriegerische Auseinandersetzung zu führen? Wie einfach wäre es denn, Menschen gegen andere Kulturen aufzuhetzen? Das ist nicht unsere DNA. Und ich will das auch gar nicht an die Wand malen. Aber von der Sache her habe ich eine Regierungstreue, eine Staatsnähe, einen Etatismus, eine Selbstverständlichkeit in der Fürsorge Dritter für mein Leben erlebt, das hat mich zutiefst erschrocken.

Müller: Es ist so, dass ganz viele Menschen ganz unglaublich viel Angst vor diesem Virus haben. Das dürfen wir nicht vergessen. Die haben Angst um sich selbst, die haben Angst um ihre Großeltern, die haben Angst um ihre Nachbarn, die haben wirklich Angst. Die gehen nicht auf die Straße, die lassen für sich einkaufen. Die sagen, ich bleibe zuhause, bis das vorbei ist. Und das wird ja auch geschürt. Also es wird ja genau das Gegenteil gemacht von dem, was wirklich eine Führungsposition in einer Entscheidungssituation, in einer Krisensituation eigentlich verantwortlich zu tun hätte. Das heißt, zu beruhigen und zu sagen, so schlimm, wie das aussieht, ist es nicht. Aber hier wird ja genau das Gegenteil gemacht. Es wird ja ununterbrochen Panik ausgesendet. Und diese Menschen können nicht anders als eben zu sagen: Okay, Hilfe, wann ist das Impfmittel da? Wann kann ich wieder raus? Wann bin ich wieder in Sicherheit? Wann kann ich wieder meine Oma, meinen Opa besuchen? Die können nichts dafür. Die können wir vergessen. So Leute wie du und ich, die sagen, hey, was ist da eigentlich wirklich los. Die hinterfragen, die Entscheidungsträger sind, die jeden Tag Entscheidungen getroffen haben, die etwas bewegt haben, die hier zum Mittelstand gehören, die ihre Steuern zahlen, das ganze am Laufen halten, wirklich auch für Führungspositionen, die sind im kleinen Bereich. Die sagen halt, ich will mal gucken, was ist denn da? Die stellen solche Fragen wie du und ich. Und dann gibt es den größten Teil der Bevölkerung, und der sagt,: Ja, ich weiß nicht so genau, das eine könnte stimmen, das andere könnte stimmen, ich gucke da einfach mal zu und warte mal und beziehe mal keine Position. Und das sind die, die zugucken und nicht eingreifen. Und an denen liegt es.

Al-Omary: Ja, es gibt ja den schönen Satz: „Die Sonne scheint zum Fenster rein, es wird schon alles richtig sein.“ Also das ist diese Klaglosigkeit, die ich eben meinte.

Müller: Aber das sind die Leute, an denen es hängt, meiner Meinung nach, weil die zugucken. Das sind die, die keine Entscheidung treffen. Die beziehen auch keine Position. Und eben das Nicht-Eingreifen ist das, was etwas zerstört.

Al-Omary: Ja, es ist das Hinnehmen. Also Demokratie stirbt auch am Mangel von Demokraten und nicht an der liberalen Gesinnung, sondern am mangelnden Engagement. Das ist diese Klaglosigkeit, die ich eben meinte. Wobei ich noch auf einen anderen Punkt möchte, weil du eben sagtest, die alten Leute haben teilweise Angst oder generell haben Leute Angst und gehen nicht auf die Straße. Es ist ja legitim, Angst zu haben. Und das ist das, wo ich auch sage, das ist eben auch meine Freiheit. Wenn ich Angst habe, Corona zu bekommen, dann kann ich mich frei entscheiden, zuhause zu bleiben. Ich möchte aber nicht, dass das für 82 Millionen und damit für mich mit entschieden wird. Weil es einige Ängstliche gibt, müssen jetzt alle zuhause bleiben. Das ist für mich falsch. Wenn ich sage, ich habe Angst, mich zu infizieren, dann bleibe ich zuhause. Wenn ich eine Maske als Schutz empfinde und andere schützen möchte, dann trage ich die Maske. Das ist meine freie Entscheidung. Aber hier wurde eben für eine Minderheit der Mehrheit eine komplette Lebensweise oktroyiert. Und das ist ein Thema, wo ich eben sage, für wen wird denn da überhaupt entschieden. Nämliche eben zu Gunsten der Ängstlichen. Und das zweite Thema ist, das hattest du eben angesprochen, mit deiner Bekannten, wo du gefragt hast, sie soll doch gefälligst so denken wie ich. Und wie kann man das eigentlich anders sehen? Die Frage habe ich mir auch immer gestellt. Aber es ist natürlich schon so, dass die Probleme des Lockdowns sehr ungleich verteilt sind. Ich glaube, dass eben einen Gastronomen oder einen Hotelier trifft das natürlich nochmal deutlich härter als ein Textilunternehmen, das jetzt Masken nähen kann. Es trifft einen älteren Menschen von der Sorge um das Leben her anders als einen jungen Menschen. Es trifft eine Mutter von drei Kindern, alleinerziehend, die jetzt irgendwie Homeschooling machen muss und nebenbei vielleicht noch Homeoffice, härter als jemanden wie mich, der als Mann allein lebt in einer großen Wohnung und der sowieso Homeoffice hat. Meine Company hatte immer schon Homeoffice. Ich musste jetzt nichts ändern. Ein Hartz-4-Empfänger hat jetzt dadurch nicht weniger Geld, und trotzdem wird aber gesagt, du bist jetzt jemand, der eigentlich Opfer ist, wir müssen dir mehr geben. Aber er hat finanziell keinen Einschnitt und für den wird der Staat auch weiter sorgen. Für einen Lehrer kann das eine Empfinden sein, gut, er hat jetzt verlängerte Ferien. Die können aber auch, wenn sie nicht besonders digital sind, dieses ganze Thema als hochgradig Doppelt-und-Dreifach-Belastung empfinden, weil sie sich plötzlich umstellen müssen. Das heißt, der Schweregrad des Eingriffs in das Leben ist hoch ungleich verteilt. Und diese Ungleichheit wird uns zu neuen Verteilungskämpfen bringen. Weil auf Basis der persönlichen Betroffenheit und ich-bin-da-zu-kurz-gekommen wird sich irgendwo Frustration entladen, wenn es dann darum geht, staatliche Gelder zu verteilen, wenn es darum geht, irgendwie Hilfe zu bekommen, wenn es darum geht, Interessen lautstark kundzutun. Und das ist das nächste, was dann jetzt kommt. So klaglos man die Auflagen des Staates hingenommen hat, so sehr wird man klagen, wenn es darum geht, möglicherweise richtig viel Geld noch zu bekommen und sich als Opfer inszenieren zu können. Und das lieben wir ja auch, dass wir die Opfer eigentlich sind dieser ganzen Maßnahmen. Und da sieht sich wieder jeder gern. Da sind wir wieder in einem Kollektiv und nicht in der Freiheit.

Müller: Also, wenn du mich jetzt ansprichst, ich bin sehr ungern Opfer. Das fühlt sich überhaupt nicht gut an, aber ich fühle mich im Moment tatsächlich so ausgeliefert, weil ich eben keine Entscheidungsfreiheit oder keine Wahl habe. Und was ich dann eben auch noch ankreide, wie du sagst, ist diese Bevölkerungsschicht, die keine Stellung bezieht, weil ihnen nicht klar ist, dass diese Nicht-Entscheidung sie in die Verantwortung bringt dafür, dass es so viel Leid und Tote gibt. Weil sie ja nichts dagegen tun. Was ich damit sagen will, ist, ich akzeptiere diese Maßnahmen, weil das ist halt nun mal so. Ich weiß nicht, was richtig ist und was falsch. Aber sie sehen doch, das muss doch jeder Blinde sehen, was das für Auswirkungen auf die Gesellschaft hat und dass sie in Zukunft davon betroffen sein werden, dass sie jetzt nichts tun. Und das ist für mich so: Ihr seid also damit einverstanden, dass es Millionen Hungertote gibt, weil die ganze Infrastruktur zusammenbricht, nur weil das nicht hier ist, sondern da. Ihr seid damit einverstanden, dass so und so viel Operationen verschoben werden, die Leute eben an fehlender Behandlung jetzt sterben. Viel mehr als Corona überhaupt gebracht hätte. Und das ist etwas, was mich auch irgendwie wütend macht.

Al-Omary: Das sind aber ja auch mehrere Dimensionen von Entscheidungen. Weil natürlich in dieser Lockdown-Phase und in der Verzweiflung, gehen wir von uns als Unternehmern aus, war ja die erste Situation: Wieviel Geld habe ich? Wie lange kann ich das überleben? Welche Lieferketten könnten zusammenbrechen? Welche Kunden könnten wegfallen? Welche Probleme haben die Kunden? Aus welchen Branchen kommen die? Das sind ja so Überlegungen, die man erstmal hat. Das ist ja so eine Mischung aus „Rette sich wer kann“ und „Wie lange kann ich durchhalten?“ So. Das ist natürlich mal die erste Entscheidung für mein eigenes Leben. Das ist im Grunde auch wie im Flieger: Versorge dich erstmal selbst mit Sauerstoff, bevor du dem Nachbarn die Sauerstoffmaske gibst. Und erst, wenn das geregelt ist und du da halbwegs Klarheit hast, kannst du natürlich auch die Energie aufbringen, um dich dann um die großen gesellschaftlichen und politischen Fragen zu kümmern und in irgendeiner Art und Weise zu diskutieren. Und jetzt haben wir ja immer mehr Wissen über das Virus, wir haben immer mehr Wissen über die verschiedenen Gemengelagen und Argumente. Diskutieren ist jetzt auch ein bisschen leichter geworden. Und deswegen findet jetzt auch erst die politische Debatte statt, weil natürlich jetzt einfach irgendwo man sich sortiert hat in seiner Zuordnung zu bestimmten Gruppen, zu bestimmten Meinungsbildungen und natürlich auch die Heftigkeit der Reaktion abhängig macht von der persönlichen Betroffenheit. Und jetzt sortiert sich das ein Stück weit neu. Und dieses Sortieren wird neue Entscheidungen erfordern. Entscheidungen der Politik, wem helfe ich jetzt, wem helfe ich wie, wen lasse ich möglicherweise auch fallen. Ich kann als Politik und als Gesellschaft nicht entscheiden zu Gunsten aller, sondern ich muss immer Opfer bringen. Und auch da: es wird im Grunde triagiert. Es wird triagiert, wenn ich sage, ich kümmere mich um Corona-Kranke, andere Operationen werden verschoben. Der Krebskranke wird geopfert. Ich kümmere mich um die Autoindustrie, dann habe ich vielleicht nicht mehr genug Geld, die Tourismus-Wirtschaft zu retten. Ich kümmere mich um die Reisebüros, aber vielleicht fallen dann die Busunternehmer hinten runter. Ich kümmere mich um Eltern, um kinderreiche Familien oder um Hartz-4-Empfänger, dann bleibt für den Solo-Selbstständigen aber nicht mehr viel. Es wird Verteilungskämpfe geben. Es ist die Zeit von Entscheidungen und jede Entscheidung heißt immer auch, sich gegen etwas zu entscheiden. Da können Coaches sagen, was sie wollen. Es wird immer mehr und der Kuchen wird größer und wir müssen alles integrieren. Nein. Es gibt ein Entweder oder ein Oder. Es gibt keine unbegrenzten Mittel.

Müller: Das ist richtig. Ich habe hier eine Speisekarte mit 100 Gerichten. Ich entscheide mich für eins und für 99 sage ich Nein.

Al-Omary: Und das ist so. Es ist eben eine Zeit der Entscheidungen. Und jeder ist jetzt aufgerufen, das ist so meine Conclusio, irgendwo zu sagen: Es ist jetzt Zeit, deinen Platz einzunehmen. Es ist jetzt Zeit, Stellung zu beziehen. Und wenn ich ihm sage, ich bin halt irgendwie derjenige, der nicht der Mehrheitsmeinung entspricht, dann muss ich doch auch den Mut haben, das durchzuziehen. Es ist aber genauso legitim zu sagen, hey, das ist eine schlimme Krankheit und wir haben das richtig entschieden und anderen geht es noch schlechter. Ich akzeptiere jede dieser Meinungen, aber bestimmte Meinungen passen einfach nicht in meine Lebenswirklichkeit. Dann muss ich eben meine Timeline bereinigen. Dann muss ich eben sagen, ich arbeite mit bestimmten Menschen nicht mehr zusammen. Dann muss ich eben akzeptieren, dass Dinge auseinander gehen. Aber die ganzen Dinge, die jetzt passieren, sind so tiefgreifend, dass ich die auch nicht einfach wegmoderieren kann oder dass ich auf ein Agree-to-disgree-Fundament zurückfallen kann, sondern ich finde, jetzt entscheiden sich Sichtweisen, jetzt entscheiden sich Charaktere, jetzt entscheiden sich Haltungen. Und ich finde alle Dinge legitim, aber ich muss halt jetzt wissen, wo ich hingehöre. Und es sortiert sich auch sehr viel neu. Und das ist das, was ich am Anfang sagte: Krise heißt Entscheidung. Jetzt entscheidest du dich auch, wo du denn stehst. Viele werden jetzt auf ihre eigene Existenz zurückgeworfen und können sich auf dieser Basis irgendwie neu orientieren. Sie können sich resetten. Und das heißt jetzt nicht, naja, Beruf ist weg und alles ist weg, das will ich gar nicht so dramatisieren. Da hat Deutschland schon ganz Anderes überstanden. Aber diese Ohnmacht hilft natürlich auch, jetzt nochmal ganz klare Positionen zu beziehen. Und ich habe auch für mein Unternehmen jetzt klare Entscheidungen getroffen, die habe ich vorher nicht getroffen. Weil jetzt ist eine Kreuzung da, ich kann jetzt so oder so abbiegen. Die Kreuzung war vorher nicht da. Und viel stehen jetzt vor so einer Kreuzung. Und das ist im Grunde etwas Positives. Krise heißt Entscheidung. Jetzt entscheide dich. Jetzt nimm deinen Platz ein.