Episode #005 Wie viel Individualität verträgt die Arbeitswelt?

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„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller, die von Medienprofi Falk S. Al-Omary interviewt wird. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

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Hier können Sie diese Podcastfolge nachlesen:

Wie viel Individualität verträgt die Arbeitswelt?

Die Evolution lehrt uns, dass nur der optimal Angepasste in der Natur überlebt. Doch wie angepasst müssen und dürfen wir Menschen in unserem Geist sein, damit Menschlichkeit wieder Einzug hält in Unternehmen und in unser Verhalten? Diskutieren Sie gedanklich mit, wenn die Publizistin und Bewusstseins-Evolutionärin Annette Müller sich im philosophischen Diskurs mit ihren Gesprächspartnern Gedanken zur Menschlichkeit macht und Antworten auf die dringenden Fragen der Zeit gibt.

Annette Müller: Herzlich willkommen zu unserer heutigen Podcast-Folge. Das Thema lautet: „Wie viel Individualität verträgt die Arbeitswelt?“ Zunächst stellt sich die Fragte: „Was genau ist eine Arbeitswelt?“

Falk Al-Omary: Das ist das, was wir alle täglich erleben in den Betrieben, in den Unternehmen, in der Wertschöpfungskette. Jeder, der irgendwo arbeitet, ist natürlich Teil der Arbeitswelt, ist eingebunden in ein System aus Kollegen, aus Vorgesetzten, aus Kunden, aus Lieferanten, jeder an seinem Platz. Das alles macht die Arbeitswelt aus. Und da ist eben die Frage, wie viel Individualität kann ich haben, kann ich leben, kann ich mir leisten, gerade weil ich eingebunden bin in derart komplexe Systeme?

Müller: Ich finde, es ist ein ganz großer Unterschied, ob ich in einem kleinen Unternehmen arbeite oder ob ich einem ganz großen Unternehmen irgendwo am Fließband bin und meine vorgegebenen Routinen habe. Da verträgt die Arbeitswelt wohl die Individualität eines ganz besonderen Outfits zum Beispiel, mit dem ich mich unterscheiden kann – wenn ich nicht sogar einen Overall, ein Kostüm oder Firmenkleidung tragen muss. Dann fällt auch diese Individualität weg. Aber wenn ich einem kleinen Betrieb arbeite, ist das eine ganz andere Frage. Ich finde, da muss man schon sehr differenzieren. Das kann man überhaupt nicht pauschal beantworten.

Al-Omary: Ja, das stimmt natürlich zum Teil. Ich habe jetzt primär die kleinen Unternehmen im Blick. A, weil ich selbst ein kleines Unternehmen habe. B, weil meine Kunden in der Regel auch kleine Unternehmen sind. Dabei stelle ich schon eher fest, dass man sich auf der einen Seite die eierlegende Wollmilchsau als Mitarbeiter wünscht, in dem Sinne, dass man sagt, er soll total viel Charakter und eine eigene Meinung haben. Er soll auch widersprechen, damit das Unternehmen vorankommt. Er soll unternehmerisch denken und mich als Unternehmer ersetzen. Also die Anforderungen an ihn sind immens hoch. Auch die Notwendigkeiten und Bedarfe sind immens hoch. Dort braucht man mehr Generalisten. Ich kenne aber auch viele kleine Unternehmer, die sagen: „Ich bin hier der Chef und es läuft, wie ich das gerne möchte.“ Das heißt, wenn dann diese eierlegende Wollmilchsau da ist mit maximal viel Tatendrang und Freigeistigkeit, dann findet man das auch nicht so toll. Weil wir dann plötzlich einen Konterpart im Unternehmen haben. Und das ist so ein bisschen das Dilemma, wo ich mich frage: „Wie viel Unternehmertum, wie viel Freigeistigkeit, wie viel Mut auch zur eigenen Meinung erwarten wir denn wirklich von Mitarbeitern?“ Ich glaube, das hängt sehr stark von der Führung und vom Chef ab. Du hast gesagt, es hängt mit der Größe des Unternehmens ab. Ich glaube, es ist eine Frage von Führung. Wie viel Widerspruch, wie viel Reibungsfläche verträgt der Chef?

Müller: Das ist wieder eine ganz andere Frage, meiner Meinung nach. Gehen wir doch einfach mal davon aus, wir könnten uns den idealen Mitarbeiter backen. Wie würde der denn aussehen? Was würde der denn tun und was würde er nicht tun? Wie wäre der? Wäre der auch ein Unternehmer? Wäre der ein reines ausführendes Organ? Wie würde so ein idealer Mitarbeiter ausschauen? Also einer, an dem wirklich nichts auszusetzen ist?

Al-Omary Ja, die Frage ist sehr schwer zu beantworten, weil am Ende natürlich im Raum steht, was hat dieser Mitarbeiter denn zu tun? Wenn ich jetzt jemanden habe, der sich hinsetzt und Excel-Tabellen auswerten soll, dann habe ich natürlich ein völlig anderes Bild im Kopf, einen völlig anderen Typen im Kopf, als wenn ich sage, ich brauche jetzt einen persönlichen Assistenten, der in der Lage sein soll, Entscheidungen für mich zu treffen, wenn ich einmal ausfalle. Der ideale Mitarbeiter ist zunächst einmal jemand, der immer leistungsbereit ist, der sich einsetzt, der sich mit dem Unternehmen identifiziert. Der versteht, wo seine Aufgabe im System ist. Jemand, der nicht nur auf die konkrete Tätigkeit guckt, die er ausführt, sondern der einordnen kann, was diese Tätigkeit im Gesamtsystem für eine Bedeutung hat und wer gegebenenfalls in Schwierigkeiten kommt, wenn nicht oder zu spät geliefert wird. Was passiert mit dem gesamten Unternehmen, wenn ich meinen Platz hier verlasse? Das heißt, er muss seine eigene Relevanz erkennen. Und wenn er aus der Relevanz ein Selbstbewusstsein zieht, dann glaube ich, haben wir schon sehr, sehr viel erreicht. Das heißt, wir gehen auf die Charaktereigenschaften eines Mitarbeiters und weg von der Tätigkeit.

Müller: Das heißt also, wir wollen auf gar keinen Fall einen Roboter? Oder vielleicht manchmal doch?

Al-Omary: Ich glaube, dass ein guter Mitarbeiter manchmal auch Roboter sein muss. Nicht im Sinne von entmenschlicht. Aber es gibt natürlich in jedem Unternehmen Stoßzeiten, wo so viel Druck im Kessel ist durch Kunden, durch enge Fristen, durch Auftragsspitzen, dass einfach nur funktioniert werden muss. In solchen Situationen ist auch der Chef idealerweise nur ein Roboter. Das ist keine Frage von Mitarbeit oder nicht.

Müller: Ganz klar: Meiner Meinung nach ist der Chef immer der erste Roboter, denn er hält durch. Er macht weiter, auch wenn ihm nicht danach steht. Wir haben ja hier Gedanken zur Menschlichkeit. Also: Inwieweit ist diese Individualität eben auch eine menschliche Komponente? Das ist ganz wichtig. Meiner Meinung nach ist es immer die Motivation des Mitarbeiters, die die Qualität der Mitarbeit ausmacht. Wenn einem Mitarbeiter die Arbeit Spaß macht und er sie für sinnvoll hält, dann wird er sehr, sehr gern morgens aufstehen, um an seinen Arbeitsplatz zu fahren und nicht sagen „Boah, jetzt muss ich da schon wieder hin, da gefällt es mir nicht“. Und das haben wir ja in ganz, ganz vielen Betrieben. Das haben wir ja im ganzen Land, das haben wir ja in ganz Europa, das haben wir ja überall, dass die Menschen global frustriert sind an ihrem Arbeitsplatz und mit der Arbeit an sich, die sie machen. Da liegt für mich der Fehler im System. Als Chefin von einem kleinen Mitarbeiterstab kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, dass es ein Kunststück ist, ein Vorbild zu sein und eine Firma zu kreieren, in der die Menschen und die Mitarbeiter mit vollem Herzen und aus voller Leistungskraft und mit viel Spaß bei der Sache sind. Mitarbeiter, die einfach da sind und es als Lebensaufgabe sehen, dieses Unternehmen zu fördern, in diesem Unternehmen zu sein. Das ist auch ein bewusstseinsevolutionärer Prozess, der dem Unternehmer obliegt. Also der Unternehmer muss schauen, was tue ich da überhaupt? Wie tue ich es? Einfach nur Befehle ausführen, das ist nicht das was ein Mitarbeiter heute will.

Al-Omary: Ich glaube, diese Zeiten sind ohnehin vorbei. Wenn wir über Digitalisierung reden, über Künstliche Intelligenz sprechen, dann sind Arbeiten, die mit dem Führungsinstrument „Befehl und Kontrolle“ zu erledigen sind, ohnehin dabei auszusterben. Ich würde mal vermuten, dass es diese recht banalen Tätigkeiten in absehbarer Zeit gar nicht mehr geben wird.

Müller: Ich denke, da würden dir zahlreiche, zahlreiche Arbeitnehmer heftig widersprechen. Ich bin ich der Überzeugung, dass die sagen: „Ja, gut, vielleicht in hundert Jahren oder so, aber was ist mit mir heute?“

Al-Omary: Ich glaube, dass das in vier, fünf, sechs Jahren schon der Fall sein wird. Also je einfacher ich als Mitarbeiter mit Befehl und Kontrolle zu führen bin, je einfacher meine Tätigkeit auch ist in Bezug auf die Komplexität, nicht auf die Last, die ich da zu tragen habe, umso eher kann ich durch Maschinen oder von Roboter ersetzt werden. Insofern wird sich die Arbeitswelt schon extrem verändern. Ich wage einfach mal die These, dass, wenn wir jetzt mal zehn, fünfzehn Jahre weiterdenken und die ganze Digitalisierung hier weiter zugeschlagen hat, wir nur noch Individualisten haben, die arbeiten. Weil nur die in der Lage sind, komplexe Entscheidungen zu treffen. Und weil auf der anderen Seite der Kunde mehr Menschlichkeit erwartet im Sinne der Individualität des Gesamtunternehmens. Also ich habe die glückliche Lage, dass ich sehr gute Mitarbeiter habe, die sich auch über die Maßen engagieren und dass teilweise Kunden zu mir kommen und sagen, ich möchte gerne bei dir Kunde sein, weil, genau dieser und jener Mitarbeiter bei dir ist und ich möchte bewusst von dem die Leistung in Anspruch nehmen. Das heißt, ich habe Mitarbeiter, die eine eigene Marke sind, die mit der Individualität ihrer Persönlichkeit überzeugt haben. Und wenn du von denen bedient wirst, dann bist Du gut drauf. So sorgen auch meine Mitarbeiter dafür, dass ich neue Kunden bekomme. Damit sichern sie auch ihren eigenen Arbeitsplatz. Das ist natürlich der Idealzustand. Aber wir sind eben in einem kreativen Bereich tätig, wo ich nicht sagen kann, dass ein Roboter das ersetzen kann.

Müller: Ich wollte gerade darauf ansprechen, dass ja eben auch das, was die Firma liefert, ausschlaggebend für den Mitarbeiter ist. Inwieweit kann er mit seiner Ethik dahinterstehen? Ich habe zum Beispiel ganz konkret den Fall, dass ich mich mit jemandem beschäftige, der bei einer Firma arbeitet, die ein total tolles Firmenumfeld hat. Und trotzdem befindet er sich in einem ganz großen Zweispalt. Er hat eine super Stelle, er verdient unglaublich viel Geld und es geht ihm richtig gut. Aber: Die Firma baut und liefert Waffen – nicht nur, aber auch. Am liebsten würde er sagen: „Nein, da möchte ich nicht arbeiten“. Aber er muss da arbeiten. Das heißt, er muss mit seinem Gewissen kämpfen, um eben an seinem Arbeitsplatz zu sein. Diese Firma hat es geschafft, dass die Mitarbeiterbindung und der Spaß am Arbeiten so hoch sind, dass nur wenige in der Belegschaft sagen: „Okay, ich kann das nicht unterstützen, weil so und so viele Menschen durch meine Arbeitskraft sterben“.

Al-Omary: Ja. Das ist natürlich eine Facette. Und ich glaube, es hat noch ein paar mehr. Wir haben aktuell drei Tendenzen in der Gesellschaft. Die eine ist Vollbeschäftigung oder nahezu Vollbeschäftigung und der Fachkräftemangel. Heute würde ich ganz einfach sagen: „Du musst da ja nicht arbeiten und wenn Du heute arbeitslos wirst, findest Du sofort etwas Neues“. Das heißt, im Moment haben wir einen sehr, sehr stark ausgeprägten Arbeitnehmermarkt, wo sich Arbeitnehmer ohnehin den Luxus leisten können, zu widersprechen. Sie finden sofort an einer anderen Stelle einen anderen Job. Also wenn das so ein Dilemma für ihn ist, könnte er sich jeden Tag anders entscheiden, gerade wenn er jetzt in einer verantwortungsvollen Position arbeitet. Wir haben auf der anderen Seite die Entwicklung, dass die Digitalisierung kommt und einfache Jobs einfach demnächst wegrationalisiert werden. Und wir haben einen dritten Trend, dass in der Tat die Mitarbeiter immer mehr nach Ethik fragen, nach Selbstverwirklichung auch im Job suchen, dass sie anspruchsvoller werden. Gar nicht mal nur in diesem monetären Bereich, sondern vor allen Dingen in dem Bereich der Sinnfrage. Wo ist hier mein Platz? Wie kann ich mich entwickeln? Ich will mich hier wohlfühlen. Diese Trennung von Arbeit und Privat hört dank mobiler Geräte sowieso ein Stück weit auch auf. Das heißt, ich brauche ein Gesamtarbeitsumfeld. Diese drei Trends wirken zurzeit zusammen und sind teilweise widersprüchlich. In dem Kontext seinen Platz zu finden und die richtigen Entscheidungen zu treffen ist gar nicht so einfach. Die erste Frage lautet: „Bin ich in fünf Jahren an der Stelle noch sicher? Muss ich mich nicht gegebenenfalls ohnehin jetzt schon umorientieren? Ich glaube, dass Arbeitnehmer gerade vor sehr schwierigen Entscheidungen stehen. Nicht im Sinne von existenzieller Not, sondern in der Frage: Wo möchte ich mich denn als Mensch verorten?

Müller: Das sind ganz, ganz tiefgehende, sehr schwierige Fragen, die so individuell sind, dass ich das überhaupt nicht pauschalisieren könnte. Ich würde mich jetzt eher auf das ganze System konzentrieren. Weil für mich in diesem System grundlegend ein Fehler ist. Wir müssen schauen, wozu dieses gesamte Wirtschaftssystem dient und wo es hinführt. Weil wir ja alle in dieses Wirtschaftssystem eingebunden sind. Wir finden unsere Individualität im Privatleben und am Arbeitsplatz, aber innerhalb dieses Systems. Sehr viele leiden unter dem System, inklusive Unternehmer. Das ist ja ganz wichtig. Denn der Unternehmer unterstützt mit jedem Schritt, den er tut, mit allem was er tut, genau dieses System. Weil er gezwungen ist, das System zu unterstützen.

Al-Omary: Ja, das ist ohne Frage so. Ich bin dankbar, dass Du ein Stück weit diesen Widerspruch zwischen dem bourgeois entscheidenden, kapitalistisch denkenden, Gewinn maximierenden Unternehmer auf der einen Seite und dem ausgebeuteten, fremdbestimmten Mitarbeiter auf der anderen Seite aufhebst. Denn am Ende sitzen Chef und Angestellte im gleichen Boot. Sowohl im Unternehmen als auch im Gesamtsystem. Am Ende muss jeder seine Last tragen. Und dass Unternehmer immer frei entscheiden können ist eben auch nicht so. Ganz am Ende des Tages sind viele Unternehmer auch nur Angestellte ihrer Kunden, müssen liefern, sind in den Leistungszwang eingebunden, geben den Druck von außen weiter. Ich glaube, dass wir da in der Tat mehr Menschlichkeit im Sinne von Verständnis und mehr Menschlichkeit im Sinne von Miteinander brauchen. Dass diese Klassenkämpfer-Parolen, die da auch kursieren, ein Stückweit aufhören. Am Ende sitzen alle im gleichen Boot und müssen gucken, dass sie ihren Betrieb erhalten, nach vorne bringen und zukunftsfit machen. Auch der Chef leidet unter der Digitalisierung. Es macht keinem Chef Spaß, Menschen zu entlassen. Es macht keinem Chef Spaß, eine Riesenwandel vollziehen zu müssen, weil die Märkte sich ändern. Es sind nicht nur die kleinen Rädchen, die darunter leiden. Es ist am Ende wirklich jeder. Da muss man sich fragen, wie viel Menschlichkeit steckt eigentlich in einem System, dass dem Kommerz untergeordnet ist? Und ich bin weiß Gott kein Anti-Kapitalist.

Müller: Meiner Meinung nach ist eben auch dieser Klassenkampf manipuliert. Dass sozusagen der Unternehmer und der Arbeitnehmer gegeneinander aufgehetzt sind. Wenn ein Arbeitnehmer erst einmal in die Schuhe des Unternehmers tritt, dann merkt er ganz schnell: „Ach nein, ich möchte doch lieber um 17 Uhr nach Hause gehen und den Fernseher anmachen und nicht bis morgens um zwei noch irgendwelche Probleme wälzen“. Die Lage des anderen kennt ja nur derjenige, der schon einmal in dessen Schuhen gelaufen ist. Ich denke, dass der Klassenkampf auch dazu dient, gar nicht wirklich nachzudenken und gar nicht wirklich etwas zu ändern. Stattdessen ist man mit dem Kämpfen beschäftigt und sucht nicht wirklich nach Lösungen.

Al-Omary: Na, ich glaube, es ist auch generell die Einschätzung, dass das Gras auf der anderen Seite des Zaunes der Weide immer grüner ist. Ich sage meinen Mitarbeitern auch oft: „Na, ihr könnt um fünf nach Hause gehen und seid die Einzigen, die hier regelmäßig Geld bekommen, während ich dauernd kämpfen muss“. Bei mir sehen sie aber dann auch, dass ich ein großes Auto fahre und ständig unterwegs bin. Und jeder sagt: „Du hast das bessere Leben“. Nicht jeder ist in der Lage, jede Verantwortung auch zu tragen. Und solche Debatten werden natürlich in Betrieben auch geführt. Du hast völlig Recht: Sie werden auch von außen gesteuert. Parteien, Gewerkschaften, Partikularinteressen werden natürlich einfach mitinszeniert, um Gräben zu vertiefen. Und auch die Medienlandschaft mag diese Gräben, weil sich darüber schön berichten lässt. Das ist ohne Frage so. Und dennoch glaube ich, dass die Identifikation vieler Mitarbeiter in den Betrieben steigt. Diese Einstellung: „Ich gehe um fünf Uhr nach Hause“, das geht vielleicht bei großen Konzernen, in denen man einen ersten, zweiten und dritten Stellvertreter hat. Die Läden brechen nicht zusammen, wenn der Erste im Urlaub und der Zweite ist krank ist ­­– dann ist noch der Dritte da, der entsprechend die Sachen erledigen kann. Und wenn nicht, ist ja auch nicht so schlimm, ist eh too big to fail. Aber bei kleinen Unternehmen findet das so gut wie gar nicht statt. Die geht zugrunde ohne Individualität, weil da die Mitarbeiter noch viel, viel wichtiger sind. Und kein Mitarbeiter in wirklich kleinen Betrieben mit drei, vier, fünf Leuten ist ein Rädchen. Im Gegenteil, die sind alle aus meiner Sicht kleine Chefs oder müssen zumindest in die Rolle eines kleinen Entscheidungsträgers hineinwachsen. Dazu muss der Chef sie aber auch befähigen und ermutigen. Ich finde ermutigen einen ganz, ganz wichtigen Begriff, wenn es um Individualität geht.

Müller: Was in meiner Firma aktuell passiert ist, dass ich persönlich eine Bewusstseinsentwicklung durchmache, weil ich eben immer Interesse daran habe, meine Fähigkeiten, meinen Überblick zu schulen. Wir sind jetzt dazu übergegangen, dass wir zum Beispiel am Donnerstagvormittag in der Firma ein Arbeitsverbot haben. Es darf keiner arbeiten. Wir haben das Telefon abgeschaltet und alle haben ein Bespaß-Gebot. Das heißt, wir haben wirklich einen Vormittag, der besteht entweder aus einer Stunde, aus zwei Stunden, aus drei Stunden, wo die Mitarbeiter sich miteinander treffen und etwas zusammen unternehmen. Und da wird dann eben überlegt: Was machen wir? Gehen wir jetzt spazieren? Machen wir irgendeinen Kurs? Machen wir ein Frühstück zusammen? Gehen wir Grillen? Es geht wirklich darum, dass das Team sich findet und Zeit hat, sich zu besprechen. Eben das, was man normalerweise unter Freunden machen würde. Wir gehen beispielsweise etwas essen, Kaffee trinken oder ins Kino. Es ist unglaublich, wie die Stimmung sich geändert hat. Das ist wirklich so richtig sensationell. Es kommt jeder lächelnd rein, und zwar nicht nur an diesem Donnerstag, sondern jeden Tag.

Al-Omary: Gut, dann würde ich mal behaupten, du hast nicht genug zu tun. Das wäre bei uns völlig undenkbar.

Müller: Das meint man vielleicht, dass es undenkbar ist. Da kommt es natürlich wieder darauf an, was ich für eine Zielvorgabe habe und wo mein Ziel als Unternehmer und in meinem Geschäft liegt. Was gewährleistet sein muss als allererstes ist, dass Gehälter gezahlt werden können, inklusive meines eigenen. Ich bin glücklicherweise über den Schritt hinweg, wo ich auch noch mein eigenes Gehalt in die Firma investiert habe – so, wie es unzählige Unternehmer, die angefangen haben, ein Geschäft aufzubauen, über Jahre hinweg gemacht haben.

Al-Omary: Ja, Unternehmer haben sehr viele Opfer gebracht, um dahin zu kommen wo sie sind. Deswegen glaube ich auch, dass viele Unternehmer sehr ängstlich sind, dass ihnen das wieder passiert und deswegen auch überproportional viel arbeiten. Aber auch aus Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Nur, ich bleibe bei dem Punkt, ich bin noch immer überrascht, wenn etwa bei Google gesagt wird: „Hey, die haben einen Tag frei und können da kreativ arbeiten“. Das ist ja alles ganz toll und mag für Google funktionieren. Und auch wenn Du sagst, Du hast einen freien Donnerstagvormittag. Ich finde das irgendwie faszinierend, halte es aber für mich für undenkbar. Wir haben sehr, sehr viel zu tun, haben extreme Auftragsspitzen. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich das mache. Und trotzdem ist es meine Aufgabe, unabhängig von Tischtennisplatten, Billardtischen und Bespaßungsvormittagen den Leuten Sinn zu geben, dass sie Spaß an der Arbeit haben und dass sie eben auch eingebunden werden. Wir machen einmal im Quartal ein Mitarbeitermeeting wo wir auch einmal über alle Kunden sprechen. Was ich mache ist maximale Transparenz. Meine Mitarbeiter wissen immer ganz genau, wer Kunde ist und welchen er zum Unternehmen beiträgt. Sie kennen die ganzen Zahlen, die ich offenlege. Das heißt, jeder Mitarbeiter weiß auf die Nachkommastelle genau, wo wir gerade stehen, welchen Anteil er an der Leistung hat und wie wichtig auch gerade seine Arbeitskraft im Kontext ist. Das ist eben mein Weg. Nicht zu sagen, wir gehen über Freizeit und über Vergnügen. Ich gehe stattdessen extrem strak über Transparenz. Sie kennen sogar meine Kontostände.

Müller: Ganz wichtig für das Unternehmertum sind die Mitarbeiter. Die Mitarbeiter machen das Unternehmen aus. Vielleicht ist es ein guter Gedanke, mal etwas weniger Umsatz zu machen, dann aber zu schauen, dass die Mitarbeiter immer in ihrer Leistungsfähigkeit bleiben, dass sie nicht krank werden, dass sie kein Burnout haben. Denn im Endeffekt kostet ein kranker Mitarbeiter, ein Mitarbeiter, der ins Burnout fällt, unglaublich viel mehr als eine Stunde, zwei Stunden oder drei Stunden am Donnerstagmorgen frei zu haben. Es ist eine Sache der Kalkulation. Es ist auch eine Sache der eigenen Zufriedenheit, des eigenen Glücks des Unternehmens. Wenn ich ins Unternehmen komme, dann werde ich begrüßt und die Leute freuen sich. Ist doch besser, als wenn sich die Mitarbeiter denken: „Scheiß Chef“.

Al-Omary: Zum Thema Burnout habe ich eine ganz eigene Meinung. Du tust ja jetzt so, als ob zu viel Arbeit automatisch in ein Burnout führt. Ich nehme wahr, dass Menschen, die ich jahrelang als relativ phlegmatisch erlebt habe, plötzlich einen Burnout kriegen. Da frage ich mich schon: „Hat der jemals geburnt?“ Da bin ich ein bisschen kritisch.

Müller: Da bin ich ganz bei dir. Da bin ich auch sehr kritisch. Burnout ist auch ein tolles Modewort. Man kann sich gut darauf ausruhen. Aber: Wenn es doch überhaupt gar keinen Grund gibt, zuhause zu bleiben, weil ich einen Burnout habe? Wenn es drüben in der Firma vielleicht sogar viel schöner ist als zu Hause? Vielleicht sind die Mitarbeiter ja gut drauf und man wird gemocht und man versteht sich super. Man ist ein tolles Team, man hat Spaß zusammen, während zuhause nur Streit und Ärger warten. Es kann doch gut sein, dass sich jemand in einer tollen Firma besser fühlt als in seinem privaten Umfeld. Das ist doch auch möglich.

Al-Omar: Keine Frage: Wenn jemand gerne zur Arbeit geht, ist das immens hilfreich und verhindert eben auch psychische Krankheiten. Das ist überhaupt nicht der Punkt. Aber du hast etwas anderes eben gesagt, das ich auch hoch interessant finde, wo ich auch lange darüber nachdenke. Viele Unternehmer sagen ja: „Ganz am Anfang war es irgendwie besser. Da war ich klein, da war das überschaubar, da habe ich das gemacht was ich am besten konnte. Da habe ich nicht so viel Verantwortung gehabt für andere, da konnte ich einfach mich entfalten und wirken und tun und machen.“ Und ich höre von vielen Unternehmern, die mir nach zehn, fünfzehn Jahren sagen: „Das ist eigentlich gar nicht mein Unternehmen. Das habe ich so nie gewollt. Also ich habe jetzt hier eine Größe, dass ich nur noch am Verwalten, am Steuern, am Führen bin. Ich tue nur noch Dinge, die mit meinem eigentlichen Gewerk kaum noch etwas zu tun haben. Ich bin nur noch Chef und nicht mehr im positiven Sinne werktätig.“ Da findet auch eine Entfremdung, eine Entmenschlichung statt. Und deswegen denke ich sehr stark über das Thema Downsizing nach. Ich frage mich schon auch regelmäßig: „Wo kann ich gegebenenfalls reduzieren, um das wieder tun zu können, für das ich mal angetreten bin? Um zu einer Entlastung im Unternehmen zu führen?“ Ich glaube, dass dieses immer weiter, immer mehr Umsatz, immer weiteres Wachstum nicht nur schwierig ist im Sinne auf Nachhaltigkeit, sondern in der Tat auch schwierig ist in Bezug auf die eigene Identifikation mit dem Unternehmen bei Chefs und bei den Mitarbeitern. Es ist nur oft nicht möglich, denn: Wenn du zu oft Nein sagst, kommt irgendwann keiner mehr. Und es gibt natürlich auch den Satz vieler Ökonomen: „Was nicht mehr wächst, beginnt zu sterben“.

Müller: Das wollte ich gerade sagen. Also für mich ist Wachstum, auch wenn es langsam vor sich geht, sehr wichtig. Und mit dem Wachstum einer Firma, wächst man als Unternehmer auch mit. Es erweitert sich das Bewusstsein. Und oft ist auch die Rolle, die man selber spielt in diesem Unternehmen, dann eine ganz andere geworden, als sie am Anfang war. Und es gibt auch ganz wichtige Bewusstseinsschritte auf Seiten der Chefs: „Wer bin ich jetzt? Bin ich jetzt noch selbständig? Bin ich eine selbständige Fachkraft mit Mitarbeitern oder bin ich tatsächlich Unternehmer?“ Es gibt einen Riesenunterschied zwischen der selbständigen Fachkraft, die Mitarbeiter hat, und dem Unternehmer. Es gibt zum Beispiel Berufsgruppen, die überhaupt gar nicht Unternehmer je werden können, weil sie darauf ausgerichtet sind, Fachkräfte zu sein. Zum Beispiel Ärzte: Sie können nie Unternehmer werden, weil sie immer als Person die Fachkraft sind. Die haben dann vielleicht einen riesen Mitarbeiterstab, müssen aber immer als Person leisten.

Al-Omary: Ja, da gibt es aber auch ein paar Gegenbeispiele. Ich stimme dir grob zu bei der generellen Aussage, wenn ich a normale Praxen denke. Wenn ich aber an Professor Mann denke in Lindau, der hat natürlich einen Riesenstab und operiert sicherlich nicht mehr jede Nase und alles selbst. Er ist ja eigentlich HNO und wird selbst keine Brustvergrößerungen- und Verkleinerungen machen. Also von daher gibt es durchaus Ärzte, die es geschafft haben, so groß zu werden, dass das wirklich schon Medizinindustrie ist. Ärzte, die so ein Stückweit wirklich eine Unternehmerrolle einnehmen können. Aber im Großen und Ganzen hast du natürlich Recht. Und ich glaube auch, dass das für viele kreative Berufe gilt. Das ist bei mir ja auch so. Ich bin ja in diesem Bereich PR, Medienarbeit tätig. So. Und Storytelling kann eben nicht jeder. Und das eine ist wirklich journalistisches Handwerk, das andere ist, wie kriege ich gute Geschichten zusammen? Und wenn ich so eine Begabung habe oder bestimmte Dinge habe, die ich eben gar nicht delegieren kann, wird dieser schöne Satz „Du musst als Unternehmer am und nicht im Unternehmen arbeiten“ einfach unrealistisch. Also ich halte das in ganz weiten Teilen für eine völlig hohle Phrase und für gar nicht umsetzbar. Und ich glaube sogar, dass es im Sinne des Unternehmens ist, wenn der Chef auch viel im Unternehmen arbeitet. A) um seinen Mitarbeitern zu demonstrieren: „Ich bin da, ich mache den gleichen Kram wie ihr auch“ und B), dass er sich nicht entfremdet von dem Ergebnis, das er am Ende ausliefert und verantwortet. Und insofern finde ich im Unternehmen arbeiten gar nicht schändlich und gar nicht un-unternehmerisch. Aber ich würde gerne noch einmal zurück zur Ausgangsfrage kommen, wie viel Individualität wünschen wir uns denn und brauchen wir und können wir verkraften?

Müller: Dazu muss man nach der Familie schauen. In jedem Familiensystem gibt es Streitpunkte um Individualität. Der eine will unbedingt individuell die Füße auf den Tisch legen beim Essen und sagt: „Das ist meine Individualität“. Den Rest der Familie stört das aber. Er wiederum sagt: „Das ist jetzt wirklich gar nicht so toll“. Da kommt es ja auch wieder darauf an, was Individualität überhaupt ist. Inwieweit muss ich mich als Individuum sozusagen finden und habe dann meine Ecken und Kanten? Oder bin ich gut verträglich? Das ist doch eine Charaktersache. Man kommt ja auch nicht mit jedem Menschen klar.

Al-Omary: Was ja auch ein gutes Ergebnis unseres Gespräches insofern ist, als das wir sagen: Es passt halt eben nicht auf jeden Topf der gleiche Deckel.

Müller: So ist es.

Al-Omary: Und man muss schon sehr sorgsam wählen. Ich glaube auch, dass dieser Fachkräftemangel gar nicht so stark auf rein die Zahl, also rein auf die Quantität vorhandener Mitarbeiter und Arbeitsstellen gemünzt ist. Ich kenne ganz viele Menschen, denen es ganz schwer fällt Mitarbeiter zu finden, die passen. Es gibt also genügend Menschen, die die Kompetenz haben, aber nur ganz wenige, die dann auch in das Unternehmen hineinpassen. Da sind wir dann wieder bei der Frage der Unternehmenskultur. Dazu sollten wir mal noch einen eigenen Podcast machen. Weil einfach auch bestimmte Charaktereigenschaften, bestimmte Denkmodelle, bestimmte Prägungen wichtig sind, damit ein Unternehmen in seiner Gesamtindividualität erhalten bleibt. Weil ein Unternehmen ja auch etwas nach Außen ausstrahlt. Das ist nicht nur der Chef, das ist die Summe der Mitarbeiter, das ist die Qualität der Leistung, das ist das Leistungsspektrum und Portfolio, es sind die vielen Dinge nebenbei, die ein Unternehmen ausmachen. Das, was man gemeinhin unter Service subsummieren könnte. Das ist dann eben das Entscheidende. Und da, glaube ich, werden Unternehmen in Zukunft nur überleben, wenn sie hochgradig unterscheidbar sind und damit individueller.

Müller: Also, das Unternehmen drückt den Unternehmer aus. Das ist für mich ganz klar. Das Unternehmen ist mein erweitertes Sein. Das ist mein erweiterter Körper. Das sind die Mitarbeiter sind meine Hände, das sind meine Beine. Die tragen mich dahin, wo ich mit meiner ganzen Vision hinkommen möchte. Das erlebe ich jeden Tag. Und das kommt auch darauf an, für mich als Unternehmer, wie fühle ich mich damit? Bin ich damit glücklich? Bin ich damit zufrieden? Kann ich schlafen in der Nacht? Habe ich irgendwie Sorgen? Bin ich selber kurz vor dem Burnout? Wir sind wir ein Organismus, der sich gegenseitig unterstützt. Und es ist ganz wichtig zu schauen, dass jedes Organ in diesem Organismus auch wirklich funktioniert. Das heißt, es muss gesund sein. Und deshalb sind eben seelische Gesundheit, emotionale Gesundheit, körperliche Gesundheit, Gesundheit am Arbeitsplatz, im Unternehmen, ein gesundes Unternehmen, Ethik im Unternehmen und eine gesunde Zielsetzung ganz wichtig für das Ganze. Wir müssen es als Ganzes betrachten. Denn wenn wir das nicht als Ganzes betrachten und irgendwo etwas übersehen, dann wird sich das später einfach wieder rächen. Und zwar, wo rächt es sich? Es rächt sich auch an der Gesundheit des Unternehmers selber. Das ist ganz wichtig. Also für mich ist es eine Grundlage meines Handelns, meines Denkens, meiner Selbstreflexion und allem. Ich muss dem auf den Grund gehen. Wo will ich hin? Was ist mein Wert im Unternehmen? Was ist hier auch das Fundament? Und das muss für mich gesund sein.

Al-Omary: Gut, das heißt aber dann primär, dass der Unternehmer seine Individualität im Unternehmen im System umsetzen muss. Und dann ist die Entscheidung, wie viel Individualität er sich wünscht, auch seine. Du sagst: „Es sind meine Hände, es ist mein Körper, es ist mein Organismus, die Mitarbeiter tragen mich da hin wo ich will“. Wenn aber zum Beispiel meine Hand oder mein Fuß jeweils nicht tut, was ich will, hätte ich auch ein Problem, wenn ich das nicht steuern kann. Also von daher ist immer auch die Frage: Kann ich das schmücken, kann ich entscheiden, wie ich das kleide, wie ich damit umgehen möchte. Dann sind wir ja sehr stark auf einer Ebene, wo wir sagen, Individualität muss zugelassen werden vom Inhaber, muss gefördert werden, aber es darf auch so sein, dass man sie in seinem Unternehmen, in seinem Körper gar nicht unbedingt möchte. Und dann sind wir aber wieder an dem Stand wo wir sagen: „Okay, dann ist es ja so, wie es jetzt ist, im Grunde richtig“. Weil es Unternehmen gibt die wirklich ganz, ganz schräge Typen bewusst beschäftigen. Manchmal gehe ich in Supermärkte, dann sind Menschen im Gesicht tätowiert und haben Ohrringe, sind Punks. Je nachdem, was es in dem Laden zu kaufen gibt, passt das ja auch dort hin, ist irgendwie cool, ist stereotyp. Und bei anderen, wo man eben denkt: „Naja, dass die immer noch im Anzug herumlaufen“, so Deutsch-Banker-Typen, da sagst Du ja auch, das ist irgendwie stereotyp. Also hängt es davon ab, wo du arbeitest, wie der Vorgesetzte funktioniert und was er sich wünscht.

Müller: Wir haben doch den Spruch: „Der Unternehmen ist der Kopf des Unternehmens“. Und es ist doch der Kopf unseres Körpers, der steuert, wo uns die Füße hintragen oder was die Hand macht. Die Hand macht doch nichts von allein. Und die Füße, die gehen doch auch nicht nach hinten, wenn wir eigentlich nach vorne wollen. Wir steuern das. Und das ist ganz wichtig, dass wir als Unternehmer auch erkennen, dass unser ganzes Sein, unsere ganze Individualität sich in diesem Körper ausdrückt.

Al-Omary: Ja, das ist die Unternehmerperspektive. Aber die Frage ist ja, wie viel Individualität verträgt die Arbeitswelt? Wenn ich bei diesem Bild des Körpers bleibe, dann erlaube ich relativ wenig Individualität.

Müller: Also ich weiß nicht, was da nicht individuell sein soll? Der Fuß sieht doch ganz anders aus als die Hand.

Al-Omary: Aber es bleibt immer ein Fuß.

Müller: Ja sicher. Und der Mitarbeiter bleibt immer der Mitarbeiter. Und der eine Mitarbeiter und der andere bleibt immer der Mitarbeiter. Es ist ja wichtig, dass dieser Schwarm, dass die Schwarmintelligenz in eine Richtung geht. Das ist doch das Wichtige. Ist doch egal, ob der jetzt rote Federn hat oder grüne – Hauptsache, die Schwarmintelligenz geht in eine Richtung.

Al-Omary: Gut, ob Unternehmen schwarmintelligent sind, wäre ja auch noch mal ein eigenes Thema. Da wäre ich jetzt sehr vorsichtig, das so zu definieren. Ich kann es nur aus meiner Situation sagen: Ich wünsche mir in ganz, ganz vielen Situationen, um in deinem Bild zu bleiben, einfach viel mehr Hände. Weil einfach viel zu viel zu tun ist und es viel zu wenig Ressourcen gibt, die das alles abarbeiten können. Also ich habe unendlich oft den Wunsch nach Händen. Ich habe aber auch ganz oft den Wunsch nach anderen Köpfen, um neue Ideen rein zu kriegen. Dass ich mal sage: „Okay, du kannst mal ein Projekt komplett selbständig steuern, ohne dass ich dich irgendwo führen muss oder dass das Gehirn jetzt diese Hand lenkt“. Im Grunde brauchen wir am Ende beides, und das ist vielleicht auch eine ganz persönliche und tröstliche Schlussfolgerung, dass eben beides gebraucht wird. Wir brauchen Hände, die vielleicht weniger individuell sind, wir brauchen aber auch Köpfe für ganz besondere Aufgaben. Meine Behauptung ist, wir werden in Zukunft mehr Köpfe brauchen, wenn die Digitalisierung erst mal zuschlägt, die dann auch in der Lage sind, die Roboter zu steuern.

Müller: Ich denke mal, das ist eine große Chance.

Al-Omary: Auch. Ohne Frage. Ich sehe das auch gar nicht negativ. Ich bin ein Freund von Digitalisierung, weil ich einfach auch glaube, dass viele Routinearbeiten, lästige Jobs, die sowieso keiner gerne macht, die nicht menschlich sind, die zu Unzufriedenheit führen, dass die ersetzt werden. Ich sehe das auch als ganz große Chance. Aber es wird natürlich die Arbeitswelt und die Anforderungen an die Menschen, die dann noch in Arbeit sind, massiv verändern. Und das müssen wir halt in irgendeiner Art und Weise ethisch gestalten.

Müller: Und da wären wir dann wieder bei dem System.

Al-Omary: Da sind wir am Ende immer. Aber ich würde vorschlagen, dass wir an der Stelle jetzt auch einmal abbinden. Wir haben noch genügend Stoff für weitere Podcasts. Das wurde wieder deutlich. Darauf freue ich mich.

Müller: Sehr schön. Ich mich auch.

Wenn ein Unternehmen nicht mehr wächst, beginnt es zu sterben. Das macht Sinn. Doch, dann wird es zur Nahrung anderer, die sich weiterentwickeln. Das ist gewagt. Diskutieren Sie über diese und viele andere Thesen der heutigen Folge gerne mit Annette Müller auf der Facebookgruppe. Und wir würden uns sehr über einen Kommentar und eine Bewertung zu der heutigen Folge unserer Show insgesamt von Ihnen freuen. Die Links finden Sie in den Shownotes. Bis in zwei Wochen.