Episode #27 – Diagnose Medieninkontinenz

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Tröpfchen für Tröpfchen zum Kontrollverlust: Was haben die Gartenparty des Lebens und das Geschäftsleben miteinander zu tun? Wir beobachten, nehmen teil und sind gleichzeitig auch einem Überfluss an Abläufen und Informationen ausgesetzt. Menschen tummeln sich in virtuellen Gefilden, ohne Kompetenz in der allgemeinen Kommunikationsdisziplin. Genutzt wird ein rhetorischer Effekt, da tatsächlich und ständig mit viel Druck und Kompaktheit schallender Klang rausposaunt wird. Annette Müller im Gespräch mit Medienprofi Harry Flint.

 

„Gedanken zur Menschlichkeit“ ist ein philosophischer Podcast mit Annette Müller. Der Podcast möchte bewusst Kontroversen schaffen und neuen Gedanken abseits des Mainstream Raum geben.

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Annette Müller: Herzlich willkommen zum heutigen Podcast. Gedanken zur Menschlichkeit. Hier bei mir zu Gast ist Harry Flint. Ich bin total gespannt auf dieses heutige Thema, da mir Harry mir im Austausch erklären wird, was er mit seinem neuen Buch “Diagnose Medieninkontinenz“ meint. Tröpfchen für Tröpfchen zum Kontrollverlust. Harry, du bist Medienprofi und du bist auch ein großartiger Familienmensch. Was leitet dich dazu an, ein Buch mit diesem wirklich interessanten Titel zu schreiben?

Harry Flint: Danke, dass ich da sein kann, Annette. Ich werde mit meinem Buch eigentlich die Gartenparty des Lebens beschreiben.

Müller: Oh, okay. Dazu hätte ich bitte gerne mehr Erklärungen.

Flint: Ich meine, jeder, der mal auf einer Gartenparty war, und das geht uns hoffentlich allen mal so, erlebt das, was dort gewöhnlich passiert. Du wirst eingeladen, nimmst ein Geschenkchen mit – vielleicht was Kleines für die Hausherrin und für den Hausherrn nimmst meistens du eine Flasche mit. Das ist gelernt. Und dann bist du irgendwann dort. Wenn es eine große Wohnung ist, stehst du umeinander, du hast diesen Stehtisch, und du hast dann diese Wohnzimmerwandzeile, da steht der zweite Stehtisch. Und dann gibt es diese Garderobe. Weiter hinten wirbelt noch jemand in der Küche. Und der Esstisch wird schon vorbereitet für das gleich zu präsentierende Buffet. Und sobald du dort ankommst, geht sie schon los, die Medieninkontinenz.

Müller: Gut. Also wenn ich in diesem Zusammenhang Medieninkontinenz höre, denke ich, alle stehen da mit dem Smartphone rum und posten tröpfchenweise irgendwas. Oder wie soll ich das verstehen?

Flint: Warum denn nicht? Peter sagt: „Hey, WhatsApp. Gucke mal hier, ich bin schon da. Kommst du gleich?“ Und dann kommt Peter: „Ja, ja. Ich bin später. Ich komme nachher mit Annette. Wir haben das Geschenk noch nicht unterschrieben, noch nicht übergeben. Wir haben doch das Gemeinschaftsgeschenk.“ Und so geht die Kommunikation rund um die Party schon los, denn die Freunde verabreden sich dort, um präsent zu sein. Weil sie das Gruppengeschenk übergeben wollen. Und wenn das so ist, dann wartet man gefälligst aufeinander, um die gemeinsame Karte zu unterschreiben. Die gemeinsame Karte ist nichts weiter wie eine Verletzung der Datenschutzgrundverordnung. Die DSGVO nämlich wird jetzt hier konterkariert. Denn auf einmal stehen da Namen der Geschenkeübergebenden, was man im B2C – im Business to Consumer – gar nicht darf. Ist das nicht verrückt?

Müller: Das klingt total verrückt und auch total erschreckend. Und ich glaube aber, mit deinem Buch versuchst du nicht, Menschen zu erschrecken, sondern du versuchst, Menschen einen kleinen Leitfaden an die Hand zu geben, wie sie tatsächlich mit Medien so umgehen, dass eben keine Inkontinenz passiert und sie dann im Endeffekt auch keine schlechten Früchte ernten. Hatte ich das im Vorgespräch so richtig verstanden?

Flint: Genau. Darum geht es. Denn der Vergleich der Gartenparty des Lebens lässt sich auf das Geschäftliche total übertragen. Nehmen wir es doch mal so, bei der einen Stehgruppe an dem einen Stehtisch, den wir gerade vor Augen haben, könnte es genauso bei einem Empfang in der Firma sein. Der Chef ist jetzt geladen und wir haben irgendein Produktlounge. Am Tisch eins steht die Abteilung Einkauf, an Tisch zwei stehen die Abteilung Einkauf genauso, aber das sind die, die nicht in der Frühstücksgruppe dabei sind. Wieso stehen die Einen eigentlich vorne und die Anderen hinten? Schon mal darüber nachgedacht? Allein das ist schon medieninkontinent, weil nicht jeder das gleiche Recht des vorderen Tisches hat. Und die, die vorne stehen, die gucken immer geradeaus zum Chef und wollen entsprechen und wollen performen. Die sind ja die, die immer wach dabei sind. Die, die hinten stehen, werden garantiert über die, die vorne stehen, ob sie es wollen oder nicht, mit Blicken, mit Taten oder mit Worten vielleicht sogar schon urteilen. Auf jeden Fall werden sie mit dem, wie sie sich verhalten, zu denen schauen, die auch hinten stehen. Und die werden sich verbrüdern. Denn es gibt überall eine vordere Tischreihe, eine hintere Tischreihe und eine dritte Tischreihe. Und diese Gartenparty des Lebens, diese Gartenparty-Unternehmung, macht eigentlich deutlich, worauf es ankommt. Jetzt medial die Dinge zu tun, die von mir erwartet werden. Bei einer Firmenveranstaltung werden von mir Contenance, Haltung, gepflegte Bekleidung, die richtigen Worte, der richtige Auftritt erwartet. Alles das setzt mich unter Druck. Was ist, wenn ich jetzt einem dieser fünf Dinge nicht entsprechen kann? Weil ich vielleicht das falsche Kleidungsstück anhabe, weil ich vielleicht die Mappe vergessen habe, den Kugelschreiber in meinem Skript zur Rede nicht dabei habe oder eventuell den Vornamen des Chefs vergessen habe. Und auf einmal stehe ich vor ihm und soll ihn vorstellen gegenüber meinen Kollegen. Dann bin ich medieninkontinent. Ob ich will oder nicht.

Müller: Ich habe jetzt dieses Bild ganz lebhaft vor mir gehabt, mit dieser Gartenparty, mit den vielen Menschen, mit der Betriebsfeier. Und ich sehe natürlich Menschen vor mir, die nonverbal kommunizieren. Also das heißt, sie kommunizieren mit Körpersprache, mit Blicken. Das wird ja wahrscheinlich über die Medien ausschließlich über Video möglich sein. Aber ich glaube, du möchtest hier eben auch über Posts und Meinungsäußerungen ansprechen.

Flint: Es bleibt nicht aus, dass in diesen Cliquen, die sich dort bilden, eine Dynamik entsteht. Oder es sind immer Zweier-, Dreier- und Fünfergruppen, die sich da zusammenfinden. Ganz selten bleibst du auf einer Gartenparty komplett alleine, du verfällst ganz schnell in eine Beobachter- und Teilnahmerolle. Du bist in dieser Gruppe plötzlich mehr oder weniger verpflichtet, dazu zu gehören, mit dieser Gruppe zu kommunizieren. Du tauschst dich aus: „Hallo, wie war es heute?“ „Hallo, hast du auch schon im Tennisklub angerufen?“ „Hast du schon die neue Jacke von Punkt, Punkt, Punkt angesehen?“ „Wart ihr letzte Woche auch beim Bing-Bing-Bing-Turnier?“ Egal, was es ist, du fängst mit Kommunikation an. Und während du das tust, richtest du dich immer auch zum Geschehen aus. Du wirst selten nur in deiner Rotte stehen, wenn man es mal von den Tieren ableitet, du wirst immer so stehen, dass du auch die anderen irgendwie im Blick behältst. Beobachte dich, ob du es nicht auch schon mal so getan hast. Und während du dich auf die anderen Gruppen im Raum ausrichtest, kommst du in die nächste nonverbale Kommunikation. Weil dir plötzlich auffällt, dass diese Dame da drüben dieses weiße Kleid trägt. Du guckst das weiße Kleid an, denkst dir: „Super, sieht das gut aus.“ Oder du denkst: „Mhm, ein bisschen eng.“ Oder: „Wow, das hole ich mir auch.“ Egal, was du denkst, du fängst ja schon mit der nonverbalen Kommunikation an. Allein, was deine Augen an der Stelle erzählen, kommt bei ihr an oder auch nicht. Sie dreht sich irgendwann zu dir um, denn der logischen Spielwelt nach wird sie irgendwann wahrnehmen, dass man über sie und ihr Kleid letztendlich spricht. Denn der Gag ist, du hast gerade nur nonverbal über das Kleid geurteilt, gehst jetzt zu deiner Freundin in der Gruppe und sagst: „Hast du gesehen. Das weiße Kleid, das finde ich super. Das hole ich mir auch.“ Und allein das ist Kommunikation, ohne dass es dir vielleicht zusteht, über das weiße Kleid der Dame gegenüber zu urteilen, egal ob du männlich oder weiblich bist. Du fängst schon an, ein kommunikatives Urteil zu sprechen. Das ist der erste Tropfen aus dir heraus bei der Party. Was du vielleicht nicht wusstest, ist das, dass sie vielleicht die Freundin oder Tochter des Chefs ist und dass es dir nicht zusteht, womöglich über sie zu urteilen. Das ist an der Stelle noch völlig egal, es könnte dir aber am Ende auf den Schoß zurückfallen, denn irgendwann siehst du sie im weißen Kleid mal wieder.

Müller: Wie übertrage ich das jetzt auf die sozialen Medien, die ja hauptsächlich über Tastatur funktionieren?

Flint: Da wird gepostet, da wird eingestellt, da wird mal eben irgendwas gemacht, da wird nicht nachgedacht. Es gibt so viele Beispiele von Medieninkontinenz, die unglaublich einfach aufzuzählen wären. Wir kennen das alle, da ist ein Posting auf irgendeinem Kanal, den wir verfolgen. Ob das eine Nachrichtenseite ist, ob das auf einem Social Network eine Gruppe ist, in der ich Mitglied bin, oder ein Popup von irgendeinem Tool, was mir nur Fotos sendet. Ich nehme als erstes innerhalb von Mikrosekunden wahr, was dieses Bild, dieser Text mir sendet. Das ist für mich sofort klar, was ich dann für ein Ersturteil habe. „Finde ich das gut? Finde ich das schlecht?“. Und dann gehe ich meistens hin, wenn ich das zum Beispiel gut finde, dass ich es vielleicht in meiner Interessensgruppe einfach so teile. Wenn ich aber nicht aufpasse und nachvollziehe, von wem dieses Bild ist, kann ich eventuell mit diesem Weiterleiten schon etwas Massives auslösen, was mir am Ende auch auf Seite 150 Folgende auf den Schoß fällt. Denn es gibt so viele Postings, die unter Umständen von Menschen geteilt werden, die als Satire, als Übertreibung oder als ein Statement gepostet wurden in einem Zusammenhang, den ich gar nicht kannte. Dass ich mich automatisch als Befürworter dieses Gedankens ausgebe, würde ich in dem Zusammenhang teilen. Das allerbeste Beispiel kennen einige unserer Zuhörer vielleicht selber. Ich weiß nicht, wem es aufgefallen ist, aber es gibt ganz aktive Werbemail Junks, die in Social Networks passieren. Das beste Beispiel ist das E-Bike. Da geht dann angeblich ein Fahrradmarkt oder egal was für ein Markt, hin, und hat fünf E-Bikes zu viel im Lager. „Die können wir jetzt nicht auch noch verkaufen. Und die wollen wir jetzt im Social Network verlosen. Alles, was du tun musst, ist, diesen Beitrag teilen und sagen, ja ich will. Und es gibt dann 20, 50, 100, 200, 500 Menschen, Tausende Menschen, die genau das tun. Dahinter verbirgt sich nichts weiter als ein Art Spoofing. Das ist ein Robot, der dich letztendlich auf gut Deutsch verkalauert. Du wirst quasi Opfer einer Comedy-Aktion, die ganz bitteren Beigeschmack hat. Denn alle, die jetzt so reagieren im Social Network, sind Social Providable. Das heißt, der Robot, der Algorithmus, kann rauslesen, wer diesem Link und Like folgt, und kann diesen Leuten, diesen „Naivmenschen“, sofort wieder nächste Einfachangebote aussenden. Und damit wirst du verletzlich, angreifbar. Das ist der nächste Tropfen zu deinem Kontrollverlust. Denn du merkst nämlich gar nicht, dass die übernächsten zwei, drei Postings wieder von dieser Art geprägt sind. Und auf einmal bist du Opfer einer immer größeren Dichte solcher Spoofing-Mails, weil du eben eineinhalb Mal, zweieinhalb Mal, dreimal reagiert hast. Das bezeichne ich als Medieninkontinenz.

Müller: Ich könnte es auch als Inkompetenz bezeichnen. Dass ich nicht weiß, wie ich mit dem Medium umgehen muss. Ich habe es nicht gelernt. Das erinnert mich jetzt an etwas, was kürzlich geschehen ist. Da wurde dann jemand in den Medien verunglimpft, also auch in den Printmedien, nicht in den sozialen Medien, weil er auf den sozialen Medien ein falsches Like gesetzt hat. Also die meisten von uns, die begreifen ein Like nicht als Daumen hoch, „ich mag das, was du gepostet hast“, sondern „ich habe es zur Kenntnis genommen.“ Aber es wird dann, wenn irgendjemand etwas Böses möchte, dann getreu dem Motto „Du magst das. Du bist d’accord mit dem Inhalt dieses Posts. Das heißt, du machst den Inhalt des Posts zu deinem eigenen Inhalt.“, ausgelegt. Was ja nicht unbedingt stimmt. Aber es kann so ausgelegt werden. Und ich glaube, das ist wahrscheinlich auch etwas, wovor du in deinem Buch warnen wirst. Oder nicht?

Flint: Die Kompetenz ist die Voraussetzung, die jeder Mensch braucht, um in den sozialen Netzwerken, aber nicht nur dort, in der allgemeinen Kommunikationsdisziplin, erfolgreich wirken zu können. Wenn ich das Prinzip zwischen Sender und Empfänger nicht verstehe, wird es kompliziert. Wenn ich als Sender, und ich bin ein Sender, wenn ich etwas rausgebe von mir egal welcher Art, nicht so adressiere und so formuliere, dass mein Empfänger es auch ansprechend aufnehmen kann, muss ich mich nicht wundern, dass meine Worte kein Gehör finden. Wir erleben das in vielen Bereichen des Lebens. Wir erleben das in vielen Bereichen der Gesellschaft, wo viele, wir nennen das bisweilen Populismus, etwas rausblasen, posaunen, dann steht da die Behauptung im Raum, und diejenigen, die darauf replizieren, also darauf reagieren, die nehmen überhaupt nicht den Kontext dessen auf, was gesagt wurde. Weil die Menschen, die es so rausposaunen, den rhetorischen Effekt nutzen, dass sie etwas mit viel Druck in Kompaktheit tatsächlich mit schallendem Klang rausposaunen. Und auch hier reden wir dann von einer Wahrnehmungskompetenz, die ich brauche, um diesen Klang dieser Posaune in das Orchester meiner Wahrnehmung zu stellen. Denn wenn ich jetzt nur dieser Posaune zuhöre, werden die schönen Streicher hinten links im Orchester der Wahrnehmung übertönt. Wenn ich nur die Trommel höre, weil einer da hinten trommelt, also ich meine das jetzt übertragen in der Kommunikation, dann werde ich übertönt. Wenn ich zu einem Technorave gehe und diesen Beat nicht möchte, dann muss ich schauen, dass ich dahin gehe, wo die Streicher der Sinfonie auch mal wieder spielen. Und diese musikalischen Vergleiche finde ich statthaft, weil-, diese Orchestrierung der Gedanken beim Senden der Melodie, der Worte, und beim Empfangen, beim Hören dieser Melodie, die erfordert Kompetenz. In den Schulen wird das zu wenig gelehrt. Die Jugendlichen haben ab zehn, ab zwölf Jahren, ihre Smartphones, sind ganz früh mit dem Wischphone als Kommunikationstool domestiziert, lernen von klein auf, mit dem Gerät umzugehen. Unsereins hat die drei Fernsehprogramme gehabt. Die haben ein 500-Kanal-Smartphone 24 Stunden in der Hand. Und können viel mehr Kanäle gleichzeitig konsumieren, ohne die Konsequenz der einzelnen Kanäle qualifizieren zu können. Da ist eine große Gefahr.

Müller: Könntest du die Konsequenz bitte noch ein bisschen ausführen, die das in sich trägt?

Flint: Gemeinhin wird gesagt, die Jugendlichen sind nur am Smartphone und daddeln nur und machen nur so ein Zeug. Das ist mir zu einfach. Die sind so dermaßen kompetent in der Nutzung elektronischer Geräte, in ihrer Auffassung so trainiert, ihre Synaptik ist so dermaßen geschärft, dass wir genau ja diese Kompetenz dieser jungen Menschen heute suchen wie nirgendwo. Jede Branche braucht diese jugendlichen Menschen, um in der Aufnahmestärke dieser technischen Gerätschaften zu lernen. Weil-, die können viel früher viel schneller solche technischen Gegebenheiten adaptieren. Was aber die Problematik daran ist, dass die so viele Kanäle gleichzeitig empfangen, dass die selber keine soziale Kompetenz mehr haben, sich natürlich über normale Ausdrucksformen miteinander zu begegnen. Jugendliche bis 15, 16, 17, 18 brauchen keine Freundschaften körperlicher Art mehr. Wer von euch kennt überhaupt noch Jugendliche, die mit 14 anfangen, das erste Mal schüchtern Hand in Hand durch die Straßen zu laufen? Mit 15 vielleicht sogar den ersten Knutsch zu wagen? Mit 16 vielleicht sogar das erste Mal, ihr wisst schon. Und mit 17 eventuell das erste Mal ins Zeltlagerwochenende zu fahren, damit sie ja endlich im Zelt mal alleine sind. Ist es nicht so? Das war zu unserer Zeit früher ganz wichtig. Für die Jugendlichen jetzt ist es teilweise viel wichtiger, über ihre soziale Kompetenz der medialen Gesellschaften miteinander Austausch zu haben. Und ich meine damit, dass sie nicht inkontinent sind. Sie werden erst dann inkontinent, wenn sie Dinge posten – ihr kennt das, das Bikinifoto von der Gangreise zum Strand. Wo dieses Bikinifoto natürlich dann jetzt in der Gruppe aus Spaß gepostet wird, natürlich in TicToc, in Facebook bleibt und jeder dieses Kind, diesen Menschen an diesem Bikinifoto, in 25 Jahren beurteilen könnte.

Müller: Und das wäre dann der Kontrollverlust? Weil man darüber keine Kontrolle hat.

Flint: Man hat darüber keine Kontrolle, wo dieses Bild verweilt. Wer es runterlädt, wer es repostet, wer es in anderen Gazetten und Medien – wie auch immer – wieder teilt. Und wenn ich jetzt in eine Berufswelt gehe, später in fünf Jahren, in 10 Jahren, in 20 Jahren, kann ja auch sein, dass an dem Foto in 20 Jahren etwas auffällt, was heute niemandem auffällt. Im Hintergrund war-, ich weiß nicht was. Das mag ein Bildausschnitt ein, der was ganz anderes zeigt, was niemandem auffiel. Es kann sein, dass in dem Foto etwas an deinem Körper betont wird, was du niemals gesehen hast, was dir in 20 Jahren erst auffällt. Da ist diese Narbe, dieses Muttermal, dieses Tattoo. Oder ganz intime Bereiche des Körpers, die du im ersten Moment nicht wahrnimmst, die dir aber eventuell mal gegen dich ausgelegt werden können. Damit meine ich jetzt nicht juristische Verfahren gegen dich oder Beweisaufnahmen, das sind Dinge, die können dir auf den Fuß fallen.

Müller: Ja, man braucht nur jemanden, der eine Mail daraus macht und das Ganze mit merkwürdigen Aussagen dann eben spickt. Und wenn man dann kein dickes Fell hat, kann das schon sehr angreifend wirken. Kann vielleicht auch zu Depressionen führen oder zu schlimmerem.

Flint: Dieses Mobbing der früheren Zeiten findet heute tatsächlich als Cybermobbing statt. Das ist überhaupt kein Geheimnis, dass diese Postingmania der jüngeren Menschen, der unter Achtzehnjährigen, in den Schulen dazu führt, dass natürlich die Geschlechter auf ihre Art versuchen, ihren Idolen zu folgen. Wir hatten damals den Bravo-Starschnitt als Idol von mir aus. Hatten diese Poster mit Tesafilm an die Wände geklebt. Auf die Idee kommt ja niemand heute. Das sind Wallpapers, Backing Pictures, das sind was weiß ich was als Idole. Und wie ahmt man sein Idol nach? Wir haben seinerzeit danach getanzt, keine Ahnung. Heutzutage ist es doch so, dass man sich einer gewissen Körperhaltung annimmt, einer gewissen Frisurausprägung annimmt, eine gewisse Hüfthandbewegung wahrnimmt und sich dann im Foto so ablichtet, dass man diesem Normbild dieser interessierten Verfolgerin dieser Form entspricht. Und das machen die Jungs genauso, die machen bestimmte Gestikulationen. Die haben ihre Basecap verkehrt herum schräg auf, die haben dieses Looseshirt an, die haben diese Sneakers an ohne Socken, die haben dann auch plötzlich die gleiche Hose an. Und dann wird dieser „Durchschnittsstefan“, Stefan, nimm es mir nicht übel, dass ich deinen Namen benutze, das ist mir jetzt einfach so eingefallen, oder der Peter oder der Harry, ich heiße Harry, die machen dann irgendwie etwas nach, um dem Empfindungsbild zu entsprechen. Verstehen dabei aber nicht, dass sie sich dabei inkontinent machen. Weil sie eins dabei völlig verlieren. Ihre eigene Identität, ihren Individualismus mit dem sie eigentlich ihre Persönlichkeit hätten fördern können. Und weil sie sich ja gemein machen mit dem Mainstream der Gedanken, wird ihre Persönlichkeit sogar geschwächt, denn jetzt kann ja jeder sie in dieser Position vergleichen. Und wenn du dich mit anderen vergleichst, die genauso gekleidet sind, dann gibt es immer einen Schwachen, zwei Schwache, drei Schwache. Und auf einmal kriegst du den Lästerpost. Und dann bist du auf einmal die Gespamte, die Gespoofte, du bist die Ausgeschlossene und kriegst plötzlich keine Repliken mehr auf deine Postings. Das ist für die junge Generation fürchterlich. Das ist der soziale Kompetenzausschluss. Und das ist höchstgradige Medieninkontinenz at its very best.

Müller: Ja, das bietet sehr, sehr viel Stoff zum Nachdenken. Und es bietet jetzt auch sehr viel Stoff für mich, darauf zu reagieren. Also was mich jetzt angesprochen hat, ist eben die Erinnerung an meine eigene Jugend. Dieses sich anpassen an die peer pressure, die war ja damals eben nicht in sozialen Medien gezeigt. Aber du hast dich eben in dieser Uniform schon auch auf der Straße gezeigt und gesagt: „Zu dieser Gruppe gehöre ich. Dadurch, dass ich zum Beispiel, was weiß ich, eng genähte Hosen und Parka trage. Oder heute eben die Sneakers, die weiten Hosen und eben die falsch aufgesetzte Basecap. Das gehört doch aber zur Selbstfindung dazu, sich selbst einmal zu verlieren und dann auch wieder zu finden. Und zwar indem man dann erkennt, das ist eine Uniform und das bin nicht ich. Das gehört doch alles zum Reifeprozess und zum Erwachsenwerden dazu. Was ich aber höre ist, dass wir eben darüber nachdenken sollten, was hat das in 10, 15, 20 Jahren unter Umständen für Konsequenzen. Also ich kenne erwachsene Leute, die haben gesagt: „Ja, damals, also ich in meiner Jugend. Ich habe also quasi alles mitgemacht, was man eigentlich nicht tun sollte.“ Und die stehen also zu ihren Experimenten. Und die sind da eben offen. Das heißt, die sagen: „Ja, okay. Habe ich gemacht. Gehörte mit dazu. Heute ist es anders. Ich bin erwachsen. Das ist die Vergangenheit. Ja und, was soll es?“ Aber, was eben hier jetzt öffentlich gepostet ist, kann man das heute eben aufheben und dann darauf warten, bis zum richtigen Moment, um seinen Feind sozusagen dann, wenn er schwach ist, damit aus dem Rennen zu werfen. Das wird aber ganz oft gemacht. Da werden ja auch richtige Fallen schon, also soziale Medienfallen, werden schon konstruiert und aufgestellt und Menschen da gezielt hinein gelockt.

Flint: Genauso ist es. Und das betrifft nicht nur die jungen Menschen, die in fünf, in 10, in 20 Jahren potenziell davon betroffen sind. Das betrifft uns alle in einem Alter zwischen 30 und 60 Jahren, die wir noch in der beruflichen Karriere stecken. Denn es ist doch so, dass heute jeder Arbeitgeber genau genommen, wenn er dich dann googelt, einmal dein soziales Profiling auf dem Silbertablett dekoriert bekommt, denn ganz viele Werbungsprozesse haben gar keine klassischen schriftlichen Bewerbungsunterlagen, wie wir sie kannten früher, DIN-A-4-gedruckte, schöne gebundene Mappen, mehr nötig. Sondern man geht heute über Online-Profile, man geht über Online-Bewerbungsportale, bewirbt sich dort mit seinen Angaben, mit seinen PDFs, die man attached. Und was macht denn der HR-Beauftragte, der Personalsachbearbeiter oder der Referent? Er geht natürlich hin und befragt Google, die sozialen Netzwerke. Was ist das denn für ein Typ? Was macht denn der für Fotos? Was ist denn das für eine Charakteristik? Früher hätte man gesagt, das ist der Assessment-Center. Der wird dir heute mal eben geliefert. Früher mussten sich Leute erstmal in einem Prozess eine Stunde eines Bewerbungsprozesses vorstellen. Heute hast du die Vorstellung dieser Gartenparty sichtbar im Netz. Und darüber wird sich keiner bewusst, dass plötzlich Leute über dich Dinge in Erfahrung bringen können, die früher so was herrliches wie privat waren. Sie waren eben nicht öffentlich. Du hattest selbst entschieden, ob es ein Foto von dir irgendwo gibt. Und heute gibt es eben nicht nur das Foto, es gibt die Information, dass du im Tennisverein im Vorstand bist, öffentlich einsichtig. Das war früher nicht einsichtig. Ich hätte mühsam in irgendwelchen Vereinsregistern des Amtsgerichtes nachgehen müssen, das hat niemand getan. Heute finde ich das heraus, dass der immer noch dort im Vorstand ist. Ich finde heraus, dass er eine eingetragene Firma hat in Firma A, ich weiß, dass er Co-Geschäftsführer bei Firma B. Ich kriege mit, dass er letzte Woche, weil das sein soziales Profil sagt, auf Reise war und parallel war er im Geschäft. Das heißt, die Verflossene, die Person, die von ihm betrogen wird, kann heute öffentlich nachvollziehen, wo er war. Weil es Social Profilings gibt, die das ermöglichen. Und damit bin ich eigentlich auch beim Übertrag in die Geschäftswelt. Diese mediale Inkontinenz, die findet insbesondere im Geschäftsleben statt. Da gibt es diesen E-Mail-Terror. Das kennen viele von uns. Du hast eine Mail, du schreibst einen ausführlichen Text mit dem Briefing, dieser Beschreibung, was du gerne erledigt haben möchtest an dein Gegenüber. Was macht er, was macht sie? Man nimmt sie kurz wahr, man nimmt den Betreff oben wahr, man überfliegt die Mail und sieht darin ein, zwei Schlüsselwörter, diese Keywords eben, die einen an der Person haften lassen. Und dann überliest du vielleicht das Wort nicht oder nein und dachtest, es sei eine Bestätigung dessen, was du wolltest. Das nichts oder nein steht weiter unten rechts vor dem Termin. Das hast du aus irgendeinem Grund gar nicht wahrgenommen. Und schon ist das Missverständnis potenziell genährt. Denn was du tust, du antwortest auf die Mail mit einem Klick, antworten: „Ja, alles klar. Ich hätte gedacht, Sie sind aber dabei.“ Du als Sender kriegst diese Mail zurück, Moment, was meint sie jetzt? Du weißt gar nicht, ob sie jetzt unverschämt zu dir ist, die Person, oder ob sie eventuell die Mail ablehnt. Bis du klargestellt hast, dass sie potenziell das Wort nicht oder nein in deiner Mail nicht gesehen hat, braucht es einen Kommunikationsprozess von Ping und von Pong. Und genau da setzen so viele Missverständnisse bei dieser extrem beschleunigten Kommunikation im Internet über die Cloud-Services an, dass da unglaublich viel Angriffsfläche ist für Überlesenes, für falsch Interpretiertes, für überhaupt nicht Gelesenes. Ich selbst bin Opfer dieser Themen mit meiner Medienagentur – jeden Tag. Opfer tatsächlich, obwohl ich meine, sehr ausführlich und klar zu formulieren, habe ich ganz häufig in den E-Mail-Iterationen, die sich aufbauen nachher, mitunter sehr deutliche Missverständnisse zu dem, was wir meinen, weil die Menschen aufgrund dieser Wahrnehmungsgeschwindigkeit nicht mehr lesen und wirklich die Informationen qualifizieren. Und das nenne ich auch Medieninkontinenz, denn da kommt nur ein Tröpfchen an. Es kommt nicht die eigentliche Botschaft an, das ist sehr, sehr, sehr schade.

Müller: Das ist Raum zum Reinwachsen. Das bietet viel Raum, uns zu ändern. Viel Raum, intelligenter zu werden, an unseren Kommunikationskompetenzen zu arbeiten. Was hast du denn da für Tipps oder für Ratschläge? Gibst du überhaupt Ratschläge?

Flint: Mit meinem Unternehmen trete ich an, Menschen medial in Kompetenz zu bringen, ja. Ich habe den inneren Antrieb, Unternehmen dabei zu helfen, sie darin zu befähigen, Medien besser selber zu verstehen und Medien auch selber besser zu erzeugen. Ich bringe beispielsweise Menschen bei, wie man spricht. Ich bringe Menschen bei, wie man zuhört. Hört sich völlig schräg an. Aber es gibt so viele Dissonanzen beim Sprechen und Zuhören, das lohnt sich allemal. Wir bringen Menschen bei, wie man Filme selber dreht. Denn wenn du verstehst, wie du einen Film richtig drehst, verstehst du auch, gut zuzuhören. Du kannst nämlich einen Film nur dann gut drehen, wenn du zuvor die Situation, in der der Film spielen soll, erfasst hast, verstanden hast. Und das ist wieder diese Gartenparty des Lebens, in der Firma oder privat. Du musst die Gartenparty lesen, verstehen. Damit du weißt, welche Clique gehört zu welcher, welche Person ist offensichtlich mit welcher da, welche Personen haben mit welchen Personen Gemeinsamkeiten, und daraus den Film deines Lebens erzeugen. Und diesen Anspruch, die Menschen, die Firmen, die wir bedienen, zu befähigen, führt dazu, dass die selber dann ihre mediale Ausarbeitung kompetenter machen können, um jegliche Medieninkompetenz möglichst zu vermeiden, dass sie sich ein Bewusstsein schaffen über das, was sie ins Netz senden, was sie Geschäftspartnern senden, wie sie selbst auftreten, was sie sagen, was sie wann sagen, in welchem Volumen, in welcher Couleur sagen.

Müller: Jetzt sind wir ja alle in einer schnelllebigen Zeit mit dieser schnellen Kommunikation. Also ich kenne von mir selbst, dass ich zum Beispiel auf ein E-Mail, was ich bekomme, ganz kurz antworte und sage: „Ja, okay. Alles klar. Machen wir.“ Ohne „Sehr geehrter Herr Soundso. Wie geht es Ihnen? Ist alles in Ordnung?“ Und schreibe dann drunter LG und das war es dann. Was hältst du von so einer Art Kommunikation?

Flint: Es ist die naturgemäße Vollkatastrophe. Denn du hast dabei schon wieder die nächste Verletzung gegen die Datenschutzgrundverordnung begangen. Denn du bist ja verpflichtet, diese Mail zu archivieren, auch sie mit einem ordentlichen Impressum zu versehen. Speicherst du auch die Mails bis zu 10 Jahren, je nach Zusammenhang in einem möglichen Auftrag? Und alleine, dass du das getan hast, impliziert ja, dass du dich grundsätzlich mit der Würdigkeit des Speicherns auseinander gesetzt hast. Was du aber, glaube ich, fragst im Kern ist, ob es richtig ist, kurz, klar und knapp per E-Mail zu antworten, weil es ein elektronisches, ein schnelles, ein beschleunigendes Kommunikationstool ist. Diese Kürze bringt manchmal eine Würze. Und diese Würze kann auch manchmal verdorben schmecken. Wenn du das nämlich verkehrt aufgreifst, diesen Zweieinhalb-Worte-Satz, dann kann dir genau das Füllwort fehlen, was du gebraucht hast. Mit zum Beispiel scheinbar oder sehr gerne, oder du verlierst es dabei, die Kommunikationsfloskeln der Nettigkeiten zu reden, die Nähe bedeuten. Und so kann dieser Modus schnell zu einer Verletzlichkeit beim Gegenüber führen, weil er sich plötzlich mit einer zehnzeiligen Mail an dich wendet und du kommst mit einem Lapidarium zurück. Das kann ihn, ob du es willst oder nicht, falsch erwischen und er kann darüber eine Stimmung auf dich ausprägen, die du gar nicht gewollt hattest. Die aber das Geschäft, das Miteinander, jetzt schon beeinflusst. Allein, dass er diese Stimmung jetzt drin hat. Wenn du mal genau schaust in deinen letzten ein, zwei, drei Jahren, wie oft hast du da gesagt „Ich hatte schon gedacht, du meldest dich gar nicht mehr.“ Oder „Ich wusste erst nicht, wie du das meinst.“ Ist es nicht so? Wir haben das alle schon erlebt. Dass da eine Art des Ausdrucks mitunter uns verstört hat. Du hattest eine gewisse Art und Weise und Antwortlänge und Stimmungsart der Antwort erwartet. Die konnte dir nicht bestätigt werden. Du warst aber in Erwartung dieser, und damit wird dieses short term e-mail noticing – dieses Kurznachrichtenmodell – ad absurdum geführt, weil es eben auch verletzen kann.

Müller: Gibt es in deinem Buch zum Beispiel Anleitungen für jemanden wie mich, der dann, wo du zum Beispiel sagen würdest: „Ja, schreibe doch einfach oben drüber: Heute nur eine kurze Antwort.“ Wäre das eine Lösung, um den anderen nicht zu verletzen?

Flint: Ja. Und obendrauf gesagt, kann sogar das ein Stilmittel sein, um dem Gegenüber ein Denkmodell zu geben. „Hey, mach doch kürzer, klarer. Ich habe dich doch schon.“ Manchmal verliert man sich ja auch im negativen Umkehrschluss in so Floskeln. „Wie Sie bereits in meiner Mail von gestern erfahren haben, bin ich der Meinung, dass wir heute noch einmal darüber hätten reden sollen.“ Was habe ich gerade gesagt außer Nichts?

Müller: So ist es. Also ich werde zum Beispiel von meinen Mitarbeitern dafür kritisiert, dass ich wirklich ganz kurze, prägnante Antworten gebe. Und sie erwarten von mir wegen der guten Stimmung doch wirklich auch Höflichkeitsfloskeln. Und deshalb bekomme ich, wenn ich dann E-Mails oder Whatsapp-Nachrichten bekomme, extra schöne, höfliche Anreden wie zum Beispiel: „Liebe Annette, wir haben darüber gesprochen, ich möchte jetzt von dir wissen-.“ Dann denke ich mir: „Oh ja. Ich weiß schon.“ Genauso liebevoll und nett antworte ich dann. Und habe dann eben schon ganz oft auch mal sarkastisch geantwortet. Und habe dann gesagt: „Ja, wie geht es denn den Kindern? Und was macht die Oma und ist der Hund in Ordnung?“ Und dann komme ich erst zum Punkt, um eben für mich klar zu stellen: „Die Höflichkeitsfloskeln möchte ich nicht, ich brauche sie nicht. Weil ich dich trotzdem lieb habe.“

Flint: Bingo. Und das passiert genauso täglich. Im Business, du sprichst jetzt von deinen Mitarbeitern, wir sind also im Business to Business. Wir sind im Geschäft, in der Kommunikation. Da ist es tatsächlich so, dass wir die Leute eigentlich gar nicht wertschätzen, die uns verfloskulieren. Die uns mit Blümchensprache zu viel Einleitung geben. Ich möchte eigentlich schnelle Kommunikation. Das ist die Uridee der E-Mail, die ja irgendwann in den späten Achtzigern das erste Mal aufkam. Und ja, das ist mit ganz vielen Geschäftskontakten zu bestätigen. Fragt euch da draußen, ob es bei euch so ist. Haben wir sogar schon den Zweitkanal offen? Wenn uns selbst die E-Mail zu lang ist, machen wir die Whatsapp, weil da gilt es als gemeinhin normal, dass man mal eben, zack, einen Dreieinhalbtexter macht. Ich zum Beispiel nutze liebend gerne die Voicemessage auf Whatsapp. Ich werde dafür gehasst. Wieso muss der mir jetzt eine halbe Minute bis zu 10 Minuten dareinreden? Ich mache das aber aus dem Grund, dass mich mal sauber zurücklehnen kann, mich artikulieren kann und ich prüfe auch mein Gegenüber, ob es die Zeit für mich investiert. Das ist für mich auch eine wichtige Rückkopplung, ob ich wahrgenommen wurde. Denn ich mache dann meistens drei Blöcke, Block vorne, in der Mitte und am Ende nochmal eine wichtige Aussage. Und dann erbitte ich ihn, mir darauf in drei Einzelmessages, wenn er kann und mag, zu antworten. Damit will ich nicht Herr der Kommunikation bleiben, ich will damit nur eigentlich sagen, dadurch reduziere ich unser Gespräch auf meine Aussage, danach seine Aussage, und das Gespräch wird insgesamt schneller als dass wir uns treffen müssten an irgendeinem Hoteltisch oder bei einem Essen. Und die blumigen Mails haben längst ausgedient, wenn es denn endlich mal die kompetenten Mails gäbe.

Müller: Also ich liebe Sachlichkeit, zum Ziel kommen und einfach Klarheit. Und ich glaube, je kürzer und klarer die Kommunikation ist, umso angenehmer ist sie eigentlich auch.

Flint: Glauben viele. Und um dieser Empfindung zu folgen, machen viele im Netz, in der digitalen Kommunikation, den Fehler, dass sie, ich nenne das oft den Blumenstrauß, dahin stellen, wo ihn alle hinstellen. Sie kommen mit dem Blumenstrauß der Kommunikation in einen Raum-, stelle dir jetzt diesen virtuellen Raum vor, ob das die Gartenparty oder das Swimminpool-Event oder die Messe mit deiner Firma – das ist ganz egal. Du kommst zu diesem virtuellen, gedachten Raum mit diesem Blumenstrauß, das ist so deine Empfehlungskarte. Das sind so die besten Dinge, die du hast, das sind so deine Prospekte, das sind deine Flyer, das sind doch deine Blumen. Oder? Und dann stellst du diese Blumen da so vorne hin wie bei einem Fest, bei einem achtzigsten Geburtstag. Da wird, wenn man ankommt, gefälligst die Karte da rechts auf den Tisch gestellt, die Blumen für die Gattin stellt man auch dahin. Und der Gastgeber hat gar keine Zeit für dich. Er sagt dann: „Hallo, schön, dass ihr hier seid.“ Dann nimmst du aus Respekt die Reihe nicht auf, weil er ja noch sieben Leute vor dir hat. Also gehst du direkt in die Party. Was machst du? Du stellst die Blumen einfach dahin. Und ich habe Beweise dafür. Bei zwei achtzigsten Geburtstagen, jetzt haltet euch mal fest da draußen, haben die Leute auf diesen Tisch da vorne die Blumen und die Karten mit dem Bargeld oder mit den Silberlöffel-Gutschein vom Ich-weiß-nicht-was-Geschenkehaus gestellt. Und wisst ihr was? Das war gar nicht der Gabentisch von dem Achtzigjährigen. Der hatte gar keinen. Der hatte nämlich eine Stiftung und wollte, dass man ihm was transferiert. Das war der Konfirmandentisch eines Kind, dessen Gruppe derzeit im Raum war. Da hat das Hotel vorne einen Gabentisch aufgebaut, der war unbewacht für jedermann zugänglich. Das ist für mich die goldene Form der Medieninkontinenz. Da hat das Hotel versagt, da hat die Elternschaft des Konfirmandenkinds, wenn du so möchtest, versagt. Wie kann man die vielen wertvollen Umschläge mit den 20-, 50-, 100-Euroscheinen drin einfach öffentlich liegen lassen? Und dann hast du deinen Blumen dahin gestellt. Das heißt, dein Gastgeber kriegt von deinen Blumen, von deiner Karte überhaupt nichts mit. Und die nächste Woche gehst du zur Arbeit und wunderst dich, dass er dir überhaupt nicht für die wunderschönen Rosen dankt. „Meine Gattin hat sich so gefreut.“ Und nach zwei Wochen denkst du dir-, und das ist auch Medieninkontinenz, obwohl du erst den Fehler gemacht hast, schiebst du ihm den Fehler zu, er hat dir nicht gedankt. Dann sagst du: „Ja. Der Doktor Schmitz, der hat ja auch keine Dankbarkeit mehr in sich.“ Ach, jetzt fängst du an, ihm einen Vorwurf zu machen dafür, dass du das an den falschen Tisch gestellt hast. Und dann geht diese Spirale der Gartenparty von vorne los. Denn die Frau Jochimsen aus der Abteilung vier, die hat das Gleiche erlebt. „Ich wusste genau, dass das ein Typ ist, der nur an seine Stiftung denkt.“ In zweieinhalb Jahren später, wenn der Mann zu Grabe getragen wird, kommt erst raus, dass es nie einen Gabentisch gab. Dann sind die Damen beschämt am Grab und denken sich: „Ach, du heilige Kuh, hätte ich damals nicht so viele Tröpfchen für Tröpfchen geliefert, hätte ich meinen Kontrollverlust gar nicht erst erlebt.“

Müller: Das ist also ein moderner Watzlawick.

Flint: Ja. Es ist verrückt. Du kannst diese Stimmung, dieses Erlebnis an nahezu jedem privaten und auch geschäftlichen Erlebnis festmachen. Und wenn du nur genau hinschaust – du hast ja gefragt, was kann man dagegen tun. Ich glaube, Bewusstseinsschärfung was du von dir gibst, macht dir klar, was du, wie du sendest. Und wenn du dir darüber bewusst wirst, selektierst du auch die Kanäle, auf denen du sendest. Mach dir klar, ob du Blumen mit zur Party bringst oder einen Umschlag. Das machst du bei einer normalen Party auch. Wieso tust du das eigentlich in deiner Kommunikation nicht? Denke mal darüber nach. Du gehst zur Party mit dieser Flasche für den Herrn, mit dem Blumenstrauß für die Dame, da ist das gelebt und gelernt. Aber was bringst du eigentlich in der Kommunikation in deinem Business mit? Wie sehen da deine Blumen und wie sieht da deine gute Flasche aus? Und wie kannst du sie verpacken, ohne dass das eine kitschige Rüschenschleife kriegt? Wie kannst es so servieren, dass am Abend sogar noch dein Tropfen geöffnet wird? Denn das willst du doch. Du willst doch, dass der Tropfen, den du mitbringst, vom Gastgeber am Abend kredenzt wird, damit vor allen Leuten gesagt wird: „Mein Gott, ist das ein schöner Primitivo.“ Willst du das nicht hören? Natürlich möchtest du das am liebsten hören. Auch wenn es schade ist, dass er nicht dich alleine eingeladen hat, den Tropfen zu genießen. Aber das ist doch die Rückanerkennung, die du dir insgeheim erhoffst, wenn du den guten Tropfen schenkst. Und das Kompliment für das Bukett: „Ach, die duften aber, die Orchideen.“ Das hättest du auch gerne gehört. Und wir waren alle schon mal enttäuscht, wenn es nicht so ist.

Müller: Jetzt haben wir diese Enttäuschung ja offensichtlich verdient oder uns selbst sozusagen kredenzt, indem wir eben falsch kommuniziert haben oder uns überhaupt nicht bewusst darüber sind, dass wir inkontinent sind, was unsere Mediennutzung betrifft. Um das zu vermeiden, nehme ich jetzt mal an, müssen wir im ersten Schritt erst einmal herausfinden oder uns klar werden darüber, was wir mit unserer Kommunikation überhaupt bewirken möchten. Also möchte ich, dass der Primitivo geöffnet wird? Möchte ich hören, dass die Rosen gut duften? Und wenn ich das weiß, kann ich ja handeln. Aber ich denke mal, eine Ursache für diese Inkontinenz, wie du es nennst, ist das unbewusste und das ziellose oder das nicht klare Kommunizieren ohne ein wirkliches Ziel zu haben. Wogegen, wenn ich ein Ziel habe, ein klares, dann kann ich doch viel weniger Fehler machen.

Flint: Völlig korrekt. Wir machen gerade Feldtests in unserer eigenen Firma, wo wir ganz häufig ganz viel mit einem automatischen Robot posten auf allen gängigen Kanälen. Und der Witz ist, ich habe mit diesem übermäßigen Posting im Volumen pro Tag bis zu fünf Veröffentlichungen herausgefunden, wie und wann meine Zielgruppe überhaupt auf Postings reagiert. Man nennt das in der Fachsprache auch den AB-Splittest. Da werden zwei Varianten eines Postings gefahren und du kannst dann vergleichen, welcher der beiden, A oder B, der bessere Performer oder der also Auslösendere von beiden Postings ist. Und in der Tat geht es darum, überhaupt erstmal rauszufinden, was will mein Gegenüber in der Kommunikation von mir hören. Was braucht der, was ist dessen Bedürfnis? Oder? Wir machen uns immer Gedanken über das, was wir gerne verkaufen wollen. Wir fragen aber gar nicht mehr, was will denn der Käufer. Denn wir das anbieten, was Markt möchte, verkauft sich Produkt von alleine. Peter Sawtschenko ist ein toller Speaker-Kollege von mir, hat gesagt: „Unternehmen, die heute nicht perfekt positioniert sind, verkaufen weniger. Wer heute nicht gut positioniert ist, verliert seinen Markt.“ In der Quintessenz heißt das doch, dass ich in der Kommunikation also das von mir geben sollte, was ich glaube mein Markt von mir erwarten können möchte, damit er mich besser kennenlernt, damit er mich besser versteht, damit er das, was ich anbiete, besser einordnen kann und am Ende viel lieber mein Produkt kaufen kann. Denn er weiß, die Attribute, meine Werte, meine Geschichten besser einzuschätzen. Deswegen ist Medienkompetenz wichtig, damit ich nicht Tröpfchen für Tröpfchen inkontinent was durch die Gegend saue.

Müller: Was uns ja wieder zu dem Gedanken über Menschlichkeit bringt, Gedanken zur Menschlichkeit. Wenn wir falsch aussenden, ob bewusst oder unbewusst, ernten wir vielleicht eine stinkende alte Windel. Die will ja wohl keiner, oder?

Flint: Ich finde den Vergleich traumhaft. Weil es genau das ist. Wenn überall mal ein Schweißperlchen verloren wird, dann ist das eine Perlchen wohl nicht das Problem. Das geht jedem Menschen von uns so, wenn er Sport treibt. Wenn wir jetzt mal Sport und Business vergleichen. Aber wenn es fünf und sieben und zwölf Tröpfchen sind und zudem eingetrocknet, jetzt wird es fies, der nächste ist noch frisch und der dritte ist schon so ein bisschen ranzig. Dann ist ein Cocktail, den will keiner haben. Und überall hast du so komische, fleckige Spuren in deiner Kommunikationswelt hinterlassen, die keine Fährte ausmachen außer einer mies riechenden oder duftenden. Und mache es doch anders. Stelle doch das duftende Rosenbukett, wenn du Rosen magst, dorthin, wo viele Leute die Rosen sehen, die im Idealfall Rosen mögen und auch noch wertschätzen, zur richtigen Zeit diese Rosen auch tatsächlich in die Hand nehmen und dann diese wertschätzen. Kleiner Tipp übrigens. Wenn du das nächste Mal zur Gartenparty mit Blumenstrauß gehst, versuche mal Folgendes. Nimm niemals bei Beginn der Party deine Geschenke mit. Gehe um 11 Uhr, immer vor der Gulaschsuppe nachts, gehe um 11 Uhr-, dann sind die Reden vorbei, dann ist der erste Tanz vorbei, und dann ist es zu früh, bevor die ersten gehen. Gehe um 11 Uhr hin an den Tisch des Gastgebers, stelle dich vor ihn hin und sage in etwa: „Lieber Herr Gastgeber, ich habe mich wirklich sehr über die Einladung gefreut. Und der Abend bis hierhin war wunderbar. Vielen Dank, dass ich dabei sein kann. Meine Frau und ich sind sehr gerne hier. Und wir haben uns erlaubt, Ihnen auch eine Aufmerksamkeit mitzubringen. Darf ich Ihnen das überreichen? Das ist eine Aufmerksamkeit von uns für Ihre wunderbare gastgebende Rolle. Vielen Dank für diesen Abend.“

Müller: Ich freue mich auf ganz viele Tipps und Ratschläge in deinem Buch, was hoffentlich bald erscheinen wird. Ich wünsche dir viel Freude beim Schaffen. Und bin ganz gespannt darauf. Und liebe Zuhörer, vielleicht denken Sie auch über Medieninkompetenz nach.

Flint: Diagnose. Medieninkontinenz, Tröpfchen für Tröpfchen zum Kontrollverlust. Ich bin gespannt. Vielen Dank fürs Hiersein. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Und Ihnen auch, liebe Zuhörer. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie kompetent!

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