Episode #36 Von Rebellentum bis Eskalation. Protest oder Abenteurertum?
Annette Müller: Herzlich willkommen zum heutigen Podcast, Gedanken zur Menschlichkeit. Auf der Straße zu sein, sein Recht einzufordern oder gegen ein Unrecht aufzustehen, das begleitet unsere Menschheitsgeschichte. Und wir haben heute hier im Podcast eine Fachfrau, eine Autorin, die sich mit diesem Thema beschäftigt hat. Herzlich Willkommen hier im Podcast, Daniela Hillers, ich freue mich sehr, dass wir dich hier heute als Gesprächspartnerin begrüßen dürfen, vielen Dank fürs Dabeisein. Würdest du dich bitte unserem Publikum vorstellen liebe Daniela?
Daniela Hillers: Herzlichen Dank Annette für die liebe Begrüßung. Ja, wie du schon gesagt hast, ich bin Autorin und beschäftige mich mit Protestkultur, vor allem mit dem Faktor Mensch in unserer Gesellschaft, das ist mir extrem wichtig. Und dabei geht es natürlich auch um Rebellentum, wann leben Menschen Abenteuerkult aus oder wann rebellieren sie wirklich und wann geht das Ganze in eine nicht mehr legitime Ebene über, bei der dann zum Beispiel auch Gewalt angewendet wird.
Annette Müller: Und das Thema von unserem Podcast, der Titel ist, von Rebellentum bis Eskalation, Protest oder Abenteuerkultur? Manche sagen ja, protestieren, auf die Straße gehen, ist so etwas wie eine Modeerscheinung. Was sagst du dazu?
Daniela Hillers: Ich glaube, dass es alles andere als modern ist, auch wenn uns das Thema jetzt vielleicht geballt aktuell in den Medien begegnet. Aber letztendlich ist es ein altes Phänomen in unserer Geschichte und auch in unserer Gesellschaft, dass sich Menschen auflehnen oder zumindest davon träumen sich aufzulehnen. Also beinahe wie eine Art Urinstinkt, also Menschen haben Sehnsucht danach aufzubegehren, einmal auszubrechen und dann vielleicht auch über diese kleine, imaginäre Grenze zu gehen.
Annette Müller: Und was treibt denn die Menschen auf die Straße? Du hast ja auch glaube ich Begegnung mit diesen berühmten Revolutionären.
Daniela Hillers: Also ich habe primär natürlich mit allen möglichen Menschen Begegnungen, das heißt auch Personen, die in der Justiz tätig sind, ich habe mit Angehörigen von Opfern Kontakte, also in dem Fall mit Opfern von terroristischen Aktionen und auch mit Tätern. Das heißt für viele umgibt dieses ganze Thema eine Risikoromantik und diese Illusion des Neuen. Letztendlich ist natürlich das nicht genau zu definieren, was jetzt Rebellentum ist, es kommt immer darauf an, in welcher Gesellschaft leben wir, wie viel Protest wird uns gesetzlich auch zugestanden? Wir haben hier ja das Recht, dass wir uns auch auflehnen dürfen, wenn uns etwas nicht gefällt und dass wir durchaus auch unseren Unmut kundtun können.
Annette Müller: Und kannst du mir da so ein bisschen die Grenze aufzeigen, also zwischen eben diesem Rebellentum und eben dieser Romantik des Abenteuers, der dann Rebell wird?
Daniela Hillers: Also letztendlich glaube ich, dass in dieser Revolution auch eine Art Sehnsuchtsort steckt, also die Revolution verkörpert eine Art Sehnsuchtsort, dass dort dann alles besser sein wird, dass wir uns frei entfalten dürfen. Vielleicht träumen wir auch davon, dass wir keine Sorgen mehr haben, dass diese ganzen irdischen Themen des Alltags, das können ja natürlich auch Probleme in der Familie sein, das können Probleme im Job sein, vielleicht ein Mangel an Finanzen, das kann alles Mögliche sein. Und ich glaube, die Menschen träumen einfach davon, auch mal so diesen undefinierten Themen nachzugehen und es ist gar nicht so fix.
Annette Müller: Also du sagst, diese Unterscheidung kann man gar nicht so genau machen, habe ich das richtig verstanden?
Daniela Hillers: Ja, ich glaube das ist richtig.
Annette Müller: Also wir haben ja aktuell eine riesengroße Bewegung auf der Straße, von Menschen, die sich gegen ein sogenanntes selbsternanntes Regime im Moment auflehnen. Und die sagen, Freiheiten, die wir die ganze Zeit hatten, werden uns genommen und das möchten sie nicht. Sie sagen von sich, dass sie ihre Freiheit verteidigen.
Daniela Hillers: Der Traum der Befreiung, der kann ja das ganz große und das kleine Spektakel beinhalten. Die aktuellen Proteste haben für mich ein riesiges Thema. Denn a) scheinen diese Bewegungen meiner Ansicht nach sehr undifferenziert. Also wir haben ja eher eine Kultur, in der mehr und mehr Debatten nicht mehr stattfinden. Und aktuell habe ich den Eindruck, dass sich Menschen auf die Straße begeben und wirklich auch mit sehr fragwürdigen Gruppen, nebeneinander friedlich marschieren, unter dem Deckmäntelchen, das tut ja nur ein bisschen weh. Also unter dem Deckmantel der Demokratie, reihen sich auch demokratiefeindliche Zeitgenossen mit Demokraten ein. Und ich halte das für sehr gefährlich, denn die Meinungen sind sehr undifferenziert und ich habe das Gefühl, es wird einfach jetzt mal irgendwie, auch häufig sehr dümmlich geplappert, ohne, dass es einen Hintergrund gibt. Also Menschen, die sich noch nie mit der Demokratie, mit unserer freiheitlichen Grundordnung, auch mit den Privilegien beschäftigt haben, schreiben sich das nun auf die Fahne und setzen sich für die Demokratie vermeintlich ein. Das halte ich für unglaubwürdig.
Annette Müller: Und wenn du das jetzt vergleichst mit den Themen, über die du ja Bücher geschrieben hast in der Vergangenheit, du hast ja sehr viel analysiert, findest du da Übereinstimmungen oder ist das komplett etwas anderes?
Daniela Hillers: Es gibt mit Sicherheit Übereinstimmungen. Damals war es natürlich sehr theoretisch untermauert, das heißt die Proteste von Ende der sechziger Jahre an, waren natürlich ebenso hochmoralisch, wie sie heute hochmoralisch scheinen. Aber sie waren damals dann doch literarisch sehr unterfüttert und extrem philosophisch. Also es gab natürlich literarisch wahnsinnige Diskussionszirkel und ich bezweifle, dass diejenigen, die heute dann gegen das Maskenverbot zum Beispiel auf die Straße gehen, dass die sich jetzt dann einen Philosophen aus den Sechzigern zu Rate ziehen und auf Basis dieser ganzen Literatur argumentieren. Aber heute kann man ja wirklich alles sagen, wenn man also bereit ist, auch Ärger auf sich zu nehmen, ja. Also damals hatte der Widerspruch schon auch einen kleinen Skandal in sich. Das heißt, heute will man natürlich auch, dass der andere irgendwie ins Fettnäpfchen tritt, also man möchte nicht unbedingt immer der erste sein. Aber, also ich glaube auch fast jede Generation hat irgendwie den Eindruck, dass früher mehr Freiheit herrschte und dass man dann wieder zurück möchte zu mehr Freiheit.
Annette Müller: Kannst du ein bisschen aus deiner Literatur erzählen, was du geschrieben hast? Also, mich würde jetzt sehr interessieren, inwieweit sich das damals von heute tatsächlich unterscheidet.
Daniela Hillers: Sehr gerne. Ich habe das Gefühl, dass die ganzen Bewegungen des Protestes auch immer mit einer moralischen Schwelle in uns selbst verknüpft sind. Also das heißt, wie sind wir aufgewachsen, welche Sozialisation haben wir erfahren, welche Bildung. Also wenn wir zum Beispiel die Frauen der Roten Armee Fraktion betrachten, die waren hoch moralisch, streng religiös erzogen und wurden dann aber sehr radikal in ihrer Art zu leben und zu denken. Also sie brachen mit ihren Wurzeln, haben zum Beispiel ihre Kinder verlassen und sind dann weg vom Protest, über den Widerstand, bis hin zum radikalen Terrorismus gegangen. Und irgendwann war es, also so wird es zumindest dann heute öffentlich dargestellt, eine logische Konsequenz, dass sich Menschen mit einem bewaffneten Kampf, für eine bessere Welt einsetzen. Also diese Form von Radikalismus, kennen wir heute ja eher aus religiösen Zusammenhängen und nicht aus diesem sozialrevolutionären Zusammenhang. Die Menschen, die heute protestieren und sich für die Gesellschaft einsetzen, fühlen sich glaube ich primär in sich und in ihrem kleinen Umfeld begrenzt und fühlen sich ihrer Freiheitsrechte beschnitten, während die protestierenden Bewegungen der 68er und der späteren Roten Armee Fraktion, das große Ganze als weltweites Treiben eher im Fokus hatten. Also so einen internationalistischen Zusammenhang.
Annette Müller: Also ich würde da jetzt gerne mal wieder einen Advokat des Teufels sozusagen hier spielen und versetze mich in die Leute von heute und möchte dann widersprechen und sagen, ja, das hat ja mit meiner kleinen Welt ja überhaupt nichts zu tun, weil es wird ja die ganze Welt, global im Moment, tatsächlich eingesperrt. Wir haben ja alle Hausarrest.
Daniela Hillers: Wir haben Hausarrest, aber wir müssen auch bedenken, dass dies ja dem großen Ganzen dienen soll, also es gibt ja eine Metaebene. Und unsere Rechte und Pflichten sind ja immer auch sehr nah mit der Freiheit und den Rechten anderer verbunden.
Annette Müller: Und das- und das war damals anders?
Daniela Hillers: Ich glaube schon, das war ja eine sehr, nach dem Krieg und nach den goldenen Fünfzigern, eine sehr wohlstandsverwöhnte, aber dennoch sehr klassische und alte Gesellschaftsstruktur. Die Demokratie war noch extrem jung und dementsprechend auch sehr unausgegoren. Das heißt die Menge an alten Tätern aus dem dritten Reich zum Beispiel, die damals noch in den Behörden auch tätig waren, das ließ sich ja nicht voneinander trennen. Denn es sind so viele Menschen im Krieg gestorben, dass man natürlich Ämter auch wiederum mit Altnazis besetzte, was jetzt keine Rechtfertigung ist. Es ist einfach eine logische Erklärung. Denn wenn extrem viele Teile der Gesellschaft ausgestorben sind, muss man gewisse Positionen ja wiederum mit den vorhandenen Mitteln oder mit den vorhandenen Kräften füllen. Und heute haben wir natürlich da eine ganz andere Gesellschaftsstruktur. Unsere Demokratie ist ja auch viel älter geworden und reifer geworden. Also heute wird eine Art Grundrecht, gegen ein anderes abgewogen. Also heute stehen sich das Recht auf Unversehrtheit und das Recht auf Bewegungsfreiheit gegenüber.
Annette Müller: Ja, und eben auch die Meinungsfreiheit, ist auch eingegrenzt, weil du sagtest vorhin, naja, also wir haben ja den Luxus, sagen zu dürfen, was wir meinen. Aber andererseits kennen wir die Cancle Culture, also ich habe von einigen Menschen gehört, die tatsächlich auf Demonstrationen mitgelaufen sind, die vielleicht auf der ein oder anderen Bühne gesprochen haben und die prompt ihren Job verloren haben, ihre Firma verloren haben dadurch.
Daniela Hillers: Mit welcher Begründung, was haben die Menschen dir erzählt, das würde mich jetzt wiederum interessieren.
Annette Müller: Mit welcher Begründung? Mit welcher Begründung ganz genau, da müsste ich jetzt genau nachschauen, wie diese Begründung lautet, das kann ich dir nicht sagen. Aber es tatsächlich war der Grund, die Teilnahme an dieser Demonstration.
Daniela Hillers: Also wir befinden uns natürlich in einem Ausnahmezustand, also in einem gesundheitspolitischen Ausnahmezustand. Und dass diese ganze Situation gerade eine immense politische Bedeutung besitzt, das ist natürlich auch vergleichbar mit einem alten Mittel des klassenkämpferischen Misstrauens sozusagen. Ich glaube das ist so in dieser Natur der Sache verankert, ja. Und natürlich treffen so eiserne Faust und die Metaphorik des Samthandschuhs auch aufeinander. Am Ende haben die Menschen glaube ich einfach im Moment auch riesige Angst. Also ich bin davon überzeugt, dass Menschen viel mehr den aktuellen Einschränkungen den Raum geben würden und sich mehr einschränken ließen, wenn ihnen gleichzeitig auch eine Form von Hoffnungsschimmer oder Perspektive verdeutlicht würde. Also wenn man ihnen nicht nur aufzeigte, isoliere dich sozial, bleib Zuhause, du kannst schwer krank werden, reinige deine Hände. Das ist alles, finde ich, gar nicht so dramatisch. Aber gleichzeitig wird nicht das Positive aufgezeigt, das heißt alle möglichen Mechanismen und Strukturen, die unseren Körper auf natürliche Art stärken könnten, wie zum Beispiel ein Vitamin D3, das klingt jetzt sehr banal, aber es gibt einfach Forschungen, die zeigen, welche naturheilkundlichen Mittel, Menschen einnehmen könnten. Und schon wäre ein ganz andere- eine ganz andere Resistenz gegen ein Virus gegeben. Und mental auch sich mit Menschen vielleicht zu beschäftigen, die einem gut tun, also, dass man rausgeht, dass man doch in die Sonne geht. Das klingt alles sehr niedlich nach Küchenpsychologie. Ich glaube, wenn die Menschen sich abgeholt fühlen würden, wäre auch diese vermeintliche Protestkultur aktuell gar nicht so gravierend.
Annette Müller: Also diese Küchenpsychologie, da fängt ja die Gesundheit an, in der Küche, mit dem gesunden Essen. Deshalb ist das ja gar nicht so schlecht. Und wir haben ja definitiv auch ein Immunsystem. Aber jetzt zum Beispiel ganz aktuell auf diesen Podcast gemünzt, könnte ich mir vorstellen, dass alleine deine Erwähnung des Vitamin Ds dazu führen könnte, dass dieser Podcast nicht gesendet wird. Das ist Cancle Culture, das haben andere schon erlebt, dass sie ein Immunsystem sozusagen propagieren, dass sie sagen, okay, ihr könnte euch schützen, es ist Vitamin D, ihr könnt das Immunsystem in Ordnung bringen und dann seid ihr besser geschützt gegen eine Ansteckung. Und dann ist das gegen die Meinung der WHO und darf nicht gesendet werden.
Daniela Hillers: Das mag sein. Und vor allem werden wir dann auch als Verschwörungstheoretiker verschrien. Ich muss ehrlich sagen, dass ich dabei immer nur schmunzeln kann, denn dieser Begriff des Verschwörungstheoretikers zum Beispiel, wird ja so flächendeckend genutzt und scheint wie eine Art Geheimwaffe gegen jeden zu sein, der irgendwie sich noch seines eigenen Verstandes bemüht, was natürlich Quatsch ist. Es wird genügend Verschwörungstheoretiker geben, aber sinnvollen Ideen sollte auch einfach ein Raum gegeben werden, ja. Und wir sollten natürlich überlegen, wenn doch alle jetzt zum Beispiel eine Veränderung wünschen, im Rahmen der aktuellen, nennen wir es mal Protestkultur, was auch immer das jetzt gerade bedeutet, was sollte nach diesem vermeintlichen Umbruch denn passieren? Oder wie sollte denn eine neue Ordnung aussehen? Also der Faktor Mensch ist doch wesentlich, auch gerade in diesem Thema der Protestkultur.
Annette Müller: Also was ich verstanden habe ist, dass die Protestierenden eigentlich nicht die neue Normalität wollen, sondern eigentlich die alte Normalität wieder. Die alte Normalität ist die Reisefreiheit, es ist die Freiheit jeden zu treffen, es ist die Freiheit die Meinung zu sagen, es ist die Freiheit auch die Oma und Opa im Altersheim besuchen zu dürfen, das ist die Freiheit Weihnachten gemeinsam zu feiern, auf Partys zu gehen, zusammen zu tanzen, sich zu treffen und so weiter und sofort. Also ein ganz, in Anführungsstrichen normales Leben wieder zu führen, wie wir es noch im Februar 2020 kannten. Und dafür sind meiner Meinung nach, diese Menschen heute auf der Straße, zumindest habe ich das verstanden.
Daniela Hillers: Ich kann diesen Wunsch absolut nachvollziehen und jeder von uns möchte ja auch ein Stückchen Normalität als solches leben dürfen. Ich sage auch nicht, dass ich mit den Verhältnismäßigkeiten oder mit den uneinheitlichen Beschränkungen, die in allen Bundesländern vorherrschen, konform gehe, ganz im Gegenteil. Also ich finde es natürlich schlimm, welche Auswüchse die Begrenzungen haben und wie unterschiedlich es von Bundesland zu Bundesland ist. Aber letztendlich sollten wir doch schauen, was das Miteinander bedeutet und was wir alle tun können, damit wir in der Gesellschaft auch als wir funktionieren. Dazu zählt mit Sicherheit auch Protest. Aber letztendlich, gravierende Einschnitte im Leben, vor allem aus philosophischer Sicht, wirst du das wahrscheinlich nachvollziehen können, gravierende Einschnitte im Leben, haben immer zu einem Umdenkprozess geführt. Und vielleicht führt auch das jetzt alles gerade zu einer, obwohl es sehr massiv ist, zu einer Verbesserung. Denn nachhaltig werden wir das Erlebte, das heißt vielleicht auch eine soziale Distanz oder Auseinandersetzungen mit Menschen, Trennungen aufgrund der Pandemie, das werden wir niemals verdrängen und vergessen können. Und wir können nie wieder zum Stand von zuvor zurück. Das Gleiche gilt auch für schöne Erlebnisse in unserem Leben. Wer einmal das süße Leben gekostet hat, der wird ja nie wieder auf den Wissensstand von vorher zurückfallen. Das heißt, wenn wir Erkenntnisse gewonnen haben, werden wir immer auf Basis der neuen Erkenntnisse leben und arbeiten.
Annette Müller: Ja, das ist richtig, das erinnert mich an den Film Matrix, von den Menschen, die die rote Pille genommen haben. Die können nie mehr zurück auf den Stand der blauen Pille. Jetzt, wie siehst du das, dieses Rebellentum von heute auf der Straße, bis hin zur Eskalation, im Vergleich zu den 60ern, 68ern? Und in diesen Büchern, die du geschrieben hast, wenn du nochmal ein neues Buch schreiben würdest, wo du also diese zwei Dinge miteinander verbindest, was würdest du da schreiben? Würdest du schreiben, es sind auch romantische Abenteurer auf der Straße?
Daniela Hillers: Das würde ich schreiben. Mein aktuelles Buch heißt, das grausam laute Schweigen der Roten Armee Fraktion, ein Symptom unserer Gesellschaft. Während ich zunächst in meinem Buch, dieses grausam laute Schweigen, nur der Roten Armee Fraktion zuordnen wollte, hat sich im Laufe des Prozesses aber ergeben, dass ich es als Symptom unserer Gesellschaft sehe. und ich bespreche, was passiert, wenn Menschen nicht protestieren. Oder ich beleuchte was passiert, wenn eine Geschichte aufgearbeitet bleibt. Und gerade die Tatsache, dass wir aktuell, meiner Meinung nach, sehr undifferenzierte Proteste und Äußerungen öffentlich haben und erleben, ist auf den Umgang mit unserer Geschichte zurückzuführen. Das heißt, wenn eine etwas konsequentere Aufarbeitung der Geschichte stattfinden würde, wenn zum Beispiel das Thema Protestkultur auch an Universitäten und Schulen Einzug halten würde, wäre vielleicht die Auseinandersetzung heute etwas differenzierter und etwas, vielleicht zielführender. Mir fehlt die Fokussierung und Zielführung in der Argumentation häufig. Das kann ich glaube ich wirklich behaupten.
Annette Müller: Es gibt da diesen schönen Film, den kennst du bestimmt auch, die Welle, wo also ein Lehrer in der Schule dieses Experiment macht, wie entsteht eine Diktatur.
Daniela Hillers: Ja.
Annette Müller: Meinst du sowas damit?
Daniela Hillers: Ja, selbstverständlich. Das heißt nicht, dass wir heute wieder einen neuen Terrorismus hier in Deutschland zu befürchten haben. Aber letztendlich sollten doch Straftaten aufgeklärt werden und Bürger sollten informiert werden. Also ich spreche auch mit Jugendlichen in Bildungskampagnen und ich spreche mit Studenten, die noch nie von diesen Protesten hier im Land gehört haben, und die das dann aber ganz, ganz interessant finden. Also jeder fühlt sich diesem Thema, dass Leute laut werden, zugewandt. Und dennoch wundern sie sich, warum es fast beinahe eine Programmatik hat, dass nicht berichtet wird. Also wir sollten doch auch bedenken, dass keine einzige Gesellschaft in der Geschichte geschafft hat, ohne Straftaten zu existieren. Also ich stelle mir die Frage, ob bei einem gesunden Protest oder danach auch bei Krawallen, also das Ausschalten des Gewissens zur Routine werden kann, oder ob man sozusagen diese eiserne Schwelle nicht übertritt und einen sinnvollen Protest üben kann.
Annette Müller: Kannst du das noch ein bisschen ausführen? Also von was haben die jetzt noch nichts gehört? Also was überrascht diese jungen Leute?
Daniela Hillers: Die jungen Leute sind überrascht, dass es Menschen hier in diesem Land gab, die sich auflehnen und die protestierend auf die Straße gegangen sind.
Annette Müller: Und Sie sind davon überrascht, dass sie das nicht wissen.
Daniela Hillers: Genau. Und sie sind davon überrascht, dass scheinbar ein Schweigen diesen ganzen Kontext umgibt. Also, dass es Stellen gibt, die nicht reden wollen. Ich sage mal, wenn Opfer von Straftaten nicht sprechen wollen, aufgrund von Scham und Trauer, ist das noch verständlich. Wenn ein Täter sein Wissen nicht preisgeben möchte und schweigt, ist das auch noch verständlich, wenn es auch moralisch bedenklich ist. Aber wenn mir, ich sage mal, eine neue Verhaftung droht und zehn Jahre Gefängnis, dann wirst du vielleicht gut abwägen, ob du sprichst. Wenn aber auch der Staat stellenweise verhindern möchte, dass man über diese Proteste oder dann auch die gewaltsamen Ausschreitungen spricht, dann färbt sich das natürlich auch auf die Gesellschaft ab. Das kann zu einem Unmut führen, das kann aber genauso gut auch zu einer Lethargie führen, dass die Menschen sich gar nicht zu positivem Vorbild animiert fühlen. Denn meiner Meinung nach, sollte der Staat natürlich lückenlose Aufklärung und eine Kommunikation vorleben, damit sich die Menschen auch zu einer demokratischen Teilhabe animiert fühlen.
Annette Müller: Und wenn du jetzt Interviews führst und eben diesen Menschen begegnest, egal auf welcher Seite sie stehen, was macht es mit dir als Mensch? Wie sehr berührt dich das, nimmst du das mit in den Schlaf, träumst du davon, was macht das, muss dich ja irgendwie berühren?
Daniela Hillers: Also primär interessiert es mich. Ich bin natürlich nicht immer nur die Journalistin und Autorin, sondern auch die interessierte Bürgerin. Aber es bewegt mich nicht bis in den Schlaf, also ich träume nicht von Straftaten, aber ich setze mich natürlich auch in privaten Gesprächen mit Freunden, mit diesen Themen auseinander. Und interessanterweise, auch Freunde, die mit den historischen Themen bisher nichts zu tun hatten, schätzen diese Dialoge und suchen auch diese Gespräche und liefern sogar wieder neuen Input. Das heißt, ich merke, dass andere sich da auch, ja, irgendwie mitgezogen fühlen und dass andere durchaus sich auch animieren lassen, sich dann mit der Demokratie zu beschäftigen. Es gibt natürlich einzelne Fälle, ich habe mal mit einem Anwalt zu tun gehabt, nach einer Podiumsdiskussion in Mannheim, der 1976 maßgeblich die Anschlagspläne für die Attentate des Jahr 1977 bei sich hatte. Ich habe diesen Mann erst nicht erkannt und auf den dritten Blick habe ich dann erkannt, wer er ist und er wurde mir dann auch vorgestellt, da muss ich sagen, hatte ich persönlich als Bürgerin Gewissensbisse, denn in Jahr 1977 ist ja auch Hanns Martin Schleyer entführt und getötet worden. Und ich saß schon sehr oft mit dem jüngsten Sohn Hanns Martin Schleyers an einem Tisch. Und in mir hat das als Bürgerin, einfach einen Art Gewissensbiss hervorgebracht, dass ich jetzt einem Mann gegenübersaß, der die Anschlagspläne mit ausgearbeitet hat. Also das war so eine moralische Thematik in dem Moment. Ich habe mich auch mit dem Jörg Schleyer darüber unterhalten, der hat das alles als unproblematisch angesehen, er konnte aber verstehen, dass das innerlich einen Zwiespalt in mir geweckt hat.
Annette Müller: Und welchen Zwiespalt hat das genau geweckt?
Daniela Hillers: Ich saß einem Täter mit riesiger Verantwortung am Tisch gegenüber. Ich kann das auch nicht logisch begründen, denn bei anderen Tätern, die ich getroffen habe, waren die Gefühle etwas neutraler. Aber in dem Moment hat es mich einfach dem Jörg Schleyer gegenüber bewegt, zu wissen, dass dieser Mann, der mir da gerade Rede und Antwort steht, die Anschlagspläne auf dem Tisch hatte oder mit ausgearbeitet hat. Mich hat das ganz eigentümlich bewegt.
Annette Müller: Ja, das finde ich total spannend und interessant. Was kann es sein, kann es sein, dass der nicht genügend bestraft worden ist?
Daniela Hillers: Das ist er in der Tat auch nicht. Also er soll 1976 einer der führenden Köpfe der Roten Armee Fraktion gewesen sein, als er dann auch verhaftet wurde. Und gleichzeitig ist er nur zu zehn Jahren verurteilt worden und durfte sogar hinterher wieder als Anwalt tätig sein. Das lässt sich moralisch also mit meinem Weltbild überhaupt nicht in Einklang bringen. Letztendlich steht es mir nicht zu über Strafmaß zu urteilen. Denn es gibt Täter, die haben 26 Jahre gesessen und andere sind nach zehn Jahren begnadigt worden. Also wie die Justiz da arbeitet, das bewerte ich jetzt nicht.
Annette Müller: Weil ich glaube, von unserem moralischen Urteil oder unser Standpunkt, macht auch ganz viel mit uns. Ich kann mir vorstellen, wenn dieser Mann eine gerechte Strafe gehabt hätte, also eine in unseren Augen und in unserem Gefühl, gerechte Strafe gehabt hätte, hätte das wahrscheinlich eine andere emotionale Reaktion hervorgerufen, könnte ich mir jetzt einfach mal so vorstellen. Was mich noch wirklich sehr brennend interessieren würde, wenn du mit diesen Tätern und auch mit den Opfern zu tun hast als Mensch, hast du schon einmal dich in die Rolle der Täter hineinversetzt? Weil das ist ja auch immer ganz spannend, also ich mache das sehr, sehr gerne, dass ich eben auch andere Standpunkte einnehme, das ist ja auch ganz wichtig für die Philosophie, und alles anzuschauen, kritisch zu hinterfragen, auch die andere Seite zu hören. Und da merke ich dann eben auch so manche Sachen an mir und lerne mich auch auf eine ganz andere Weise kennen. Und wenn ich mir dann manchmal vorstelle, ich bin Täter, beziehungsweise Täterin, habe ich dann plötzlich Verständnis.
Daniela Hillers: Die Frage ist mir in letzter Zeit häufiger begegnet. Und ja, man begibt sich automatisch auch ein Stückweit in die Art zu denken oder versucht zumindest für den Zeitraum des Gespräches, nachzuvollziehen, welche Beweggründe der andere hatte. Woran ich als Autorin regelrecht scheitere und ich bin sogar ganz froh, ist die Tatsache, dass diese Täter mich nicht komplett einsteigen lassen in ihre Beweggründe. Das heißt, es gibt einige Phrasen und es gibt immer wieder die gleichen Äußerungen öffentlich, aber den wahren Kern des Bestrebens, weshalb man über diese imaginäre Grenze gegangen ist, den wahren Kern lassen sie mich dann doch nicht sehen oder mich nicht eintauchen. Also ich habe zum Beispiel auch mal die Frage gestellt, ob diese Protestkultur auch mit dem Wunsch nach einer starken Führung zu tun hat. Denn diese ganzen Gruppierungen geben ja alle ein freiheitliches Denken und Leben vor und sind letztendlich aber total hierarchisch organisiert. Also die schreien alle nach Revolution und wollen sich selbst als Avantgarde sehen, aber innerhalb dieser Bewegungen, hat man von Lieschen Müller bis zum absoluten Leader, alle. Alle sind vertreten. Das heißt, man hat den absoluten Anführer und absolut das schwache Glied, das sich unterordnet. Und da ist natürlich immer die Frage, wie viel Protest verkörpert denn auch jeder einzelne in so einer Bewegung.
Annette Müller: Also ich nehme mal an, die Mutigen sind vorne.
Daniela Hillers: Oder die Frechen, die Hinterlistigen, die Lügner, diejenigen, die einfach im richtigen Moment, den richtigen Kader innerhalb einer Bewegung kennenlernen. Also mein Buch, das grausam laute Schweigen, handelt von den Gesprächen mit zwei Tätern, die mir beide nicht den wahren Einblick gewähren wollten. Das heißt, ich habe natürlich auch immer ein Urteil, das ich persönlich fälle. Ich treffe eine Entscheidung natürlich, möchte ich mit demjenigen jetzt die Zeit hier verbringen, wie fühle ich mich in Gegenwart des anderen, wie harmlos oder schlimm wirkt derjenige auf mich. Und ich muss ehrlich sagen, es wirkt häufig erschreckend banal, wenn man diesen Menschen gegenübersitzt. Denn die haben genauso einen Alltag wie wir, die kaufen genauso ihr Gemüse auf dem Biomarkt, die versuchen sich heute irgendwie in dieser Freiheit, die sie jetzt heute, nach vielen Jahren Gefängnis genießen dürfen, einzuordnen. Die versuchen mit ihrer Gewalt, die sie ausgeübt haben und mit der Vergangenheit umzugehen, womit ich jetzt nichts rechtfertigen möchte, aber es ist doch eine wahnsinnige Normalität, die heute von diesen Menschen ausgeht. Und dann wundert man sich natürlich als Beobachter und kann das teilweise für sich kaum in Einklang bringen, den bösen Täter von einst und den harmlosen Rentner von heute.
Annette Müller: Das heißt, also da ist von einem romantischen Abenteurer, der jetzt Rebell geworden ist, nichts mehr übrig.
Daniela Hillers: Nein. Also der Peter Jürgen Boock hat mit mir das Gespräch geführt, ich habe ihn genau auf dieses Rebellentum und Abenteuerromantik angesprochen und er hat mir dann zugegeben etwas zynisch lachend erklärt, dass, wenn man mal fünf Tage im strömenden Regen, bei zwei Grad an der Straßenecke gestanden hat, um den Fahrtweg eines Autos auszuspionieren, dass in diesen fünf Tagen, einmal, für drei Sekunden, den Weg passiert, dann würde jegliche Romantik auch der Realität sterben.
Annette Müller: Ja, klingt nach einem Knochenjob.
Daniela Hillers: Das klingt nach so einem Knochenjob, wie manch einer von uns den ganzen Tag vielleicht sitzt und geistige Arbeit leistet, der nächste verrichtet Arbeit auf einem Bau, das klingt seltsamerweise genauso nach einem Job, ja.
Annette Müller: Ja, das ist wirklich total spannend und interessant.
Daniela Hillers: Ich glaube letztendlich, dass eine Protestkultur, auch zu einer Veränderung existieren muss. Also ich sehe Protest und Widerspruch als Baustein demokratischer Kultur. Also auch zur Herausbildung von Charakter und Persönlichkeit. Und Rebellion hat viele Seiten, auch ganz harmlose, die dann aber tief im Inneren bahnbrechend sein müssen. Das heißt, dieses laute, krawallige Außen, ist gar nicht mal die Triebfeder zur Veränderung und das müssen wir uns auch vor Augen führen, dass es auch einen ganz stillen Widertand geben kann, der dann aber andere nicht gefährdet. Das ist ja der zentrale Kern in unserer Demokratie.
Annette Müller: Diese Bewegung, die im Moment stattfindet, hältst du die für gefährdend, dass sie andere gefährdet?
Daniela Hillers: Primär kann es natürlich gefährlich sein, ich bin jetzt kein Virologe und kein Mediziner. Es kann natürlich gefährlich sein, wenn Infizierte sich wiederum in die Mengen begeben und mit zehntausenden Menschen langlaufen, Hand in Hand, dann kann das natürlich glaube ich gefährlich sein, dass sie andere infizieren. Was die Ideologie angeht, da ist es glaube ich zielführend, dass zumindest, auch wenn es, wie du eben genannt hast, eine Beschneidung medialer Freiheiten geht, da kann es natürlich durchaus sinnvoll sein, dass Menschen darauf auch aufmerksam machen. Das heißt die Bewegungen jetzt, bringen auch eine riesige Ambivalenz zum Vorschein.
Annette Müller: Hast du eigentlich vor, diese Bewegung jetzt genauso im Hier und Jetzt zu analysieren und zu begleiten, wie du sozusagen die Vergangenheit aufarbeitest?
Daniela Hillers: Wenn ich ehrlich bin, nein. Und das hat aber einen ganz profanen Grund, wir Historiker arbeiten uns so ein bisschen an gewissen Themen ab. Also ich behandle viel in meiner Arbeit Kriminalfälle, das können dann auch Geheimdienste beinhalten, das sind spektakuläre Überfälle oder Mordfälle, also vom Fall Uwe Barschel angefangen bis zu Fälschungen, das sind so meine Themen. Also häufig auch die Betrugsfalle Ego, das ist ein Buch, das in Planung ist, da werde ich mit Kunstfälschern und Betrügern ins Gespräch gehen. Ich glaube, das steckt in der DNA eines Historikers, dass man sich einfach gewissen Themen verschreibt und andere auch wiederum nicht direkt ausblendet, aber nicht so intensiv bearbeitet.
Annette Müller: Ja, also Terrorismus und Lüge, hat ja eine gewisse Faszination und auch eine Psychologie und eine Geltung in unserer Gesellschaft, das ist ja auch nochmal etwas, was wirklich eine ganz spannende Analyse ist, warum fälschen Menschen, warum müssen sie sich darstellen, warum schmückt man sich mit, zum Beispiel einer terroristischen Tat, oder vielleicht nur mit einem falschen Doktortitel.
Daniela Hillers: Oder einem gefälschten Bild. Wir müssen ja mal ganz klar sagen, die Rechtsordnung sieht natürlich auch das Recht vor. Aber was ist mit dem Aspekt der Gerechtigkeit? Das heißt, eine Sympathie für Straftaten zu haben, ist nicht unüblich. Also viele begutachten die Straftäter aus welcher Couleur auch immer, aus sicherer Entfernung. Also das ist so ein wohliger Schauer der Distanz, du sitzt auf dem Sofa und dann kannst du dir stellvertretend diejenigen anschauen, die in die Freiheit eintauchen, ja, die es wagen, sich so aufzulehnen. Also derjenige der auf dem Sofa sitzt als Beobachter. Der wagt es zwar nicht selbst, aber er genießt es, dass die anderen auch die Bösen sind.
Annette Müller: Ja, genau, das war ja meine Frage vorhin, wo ich dich gefragt hatte, bist du schonmal in die Rolle des Bösen geschlüpft, um eben auch diese guten Gefühle, die das Böse dann hat, wenn es das vermeintlich Gute hervorruft, zu genießen oder nachzuvollziehen.
Daniela Hillers: Nein, also insofern, das auf gar keinen Fall, weil ich einfach keine bösen Gefühle in mir habe. Also mir liegt es total fern, anderen Menschen zu schaden, auch wenn ich es interessant finde, mir die Abgründe anderer anzusehen, vielleicht im Sinne einer besseren Gesellschaftsstruktur. Aber zum Beispiel 68 wurde unterteilt, in Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen. Und da ziehe ich überhaupt keine Grenze, also für mich ist das natürlich fließend, aber für mich ist auch die Gewalt gegen Sachen im Kern ausgeschlossen. Das heißt, ich für mich, lehne absolut Straftaten ab und kann auch nicht mit diesem Geist konform gehen, auch wenn ich es betrachte in meiner Arbeit.
Annette Müller: Da gibt es gibt einen Spruch der sagte, wenn ein guter Mensch stirbt, ist es für ihn die Erlösung. Wenn ein schlechter Mensch stirbt, ist es die Erlösung für andere. Es gibt ja sehr viele Rebellen, die versuchen, vermeintlich böse Menschen zu töten, um damit etwas Gutes zu tun. Das hatten wir ja in unserer Geschichte.
Daniela Hillers: Dennoch wird sich die Waffe, meiner Überzeugung nach, immer gegen denjenigen richten, der sie selbst erhebt. Das können Worte sein, das kann auch in Form von Taten sein oder wirklich im abgegebenen Schuss. Da wären wir dann auch zum Beispiel bei dem amerikanischen System und den Hinrichtungen oder der Angriffskriege unter dem Deckmäntelchen des vermeintlich Guten. Das ist für mich eine energetische Sache, die nicht funktionieren kann. Auf energetischer Ebene kann das nicht funktionieren, dass du Gewalt ausübst, um etwas Positives zu erreichen.
Annette Müller: Und inwieweit unterscheidet sich jetzt, auf die Straße gehen und im Terrorismus Gewalt anzuwenden, von einem Krieg, der ja legitim ist.
Daniela Hillers: Meinst du völkerrechtlich legitim, wenn es ein Mandat gibt?
Annette Müller: Ja.
Daniela Hillers: Also zentral ist doch immer, was wir innerlich empfinden, also spürst du selbst den Drang nach Veränderung, oder ist das reine Lust auf dieses Abenteuer, um auf unser Ausgangsthema zurückzukommen. Wenn ich mein Leben eingerichtet habe, ja, brauche ich dann überhaupt diesen Ausbruch und muss ich mich überhaupt auflehnen? Ist das nicht dann auch ein Zeitgeist? Weil ich bezweifle, dass die, die sich jetzt gerade aktuell auflehnen, dass die nachhaltig sich auch weiterhin engagieren. Das heißt, wenn der Mundschutz wieder weg ist und die Demonstrationen sind wieder freigegeben und du darfst wieder überall hingehen, sind doch wahrscheinlich 99 Prozent dieser Menschen, die sich da jetzt an den Bewegungen anschließen, sind dann wieder Zuhause im Kämmerlein oder gehen ins Restaurant. Das sind doch nicht die Leute, die nachhaltig dann eine Revolution in diesem Land anzetteln wollen, nach dem Motto, jetzt gibt es schon ein paar Sollbruchstellen, jetzt kann man mal weiter drauf einschlagen und dann zerbricht dieses ganze System hier.
Annette Müller: Nein. Also da bin ich ganz bei dir, also das glaube ich auch nicht. Weil was diese Leute ja wollen, die wollen ja ihr altes Leben zurück, die möchten ja ihre Freiheit wiederhaben, die möchten diese Einschränkungen nicht mehr. Also soweit ich weiß, sehen die die Maske ja auch nicht als Schutz gegen den Virus, sondern die sehen diese Maske als Symbol für Gehorsam.
Daniela Hillers: Ich kann dazu nur sagen, vor Kurzem wurde mir gegenüber eine Aussage getätigt, ich konnte es nicht glauben, also die Maske sei zum Beispiel Merkels Versuch, jetzt ein Kalifat hier zu errichten.
Annette Müller: Und was war damit gemeint?
Daniela Hillers: Dass diese erste Verschleierung der Schritt hin wäre, zu einem Kalifat, in dem wir dann alle zum Beispiel in einer Burka rumlaufen.
Annette Müller: (Lacht)
Daniela Hillers: Also das fand ich so abstrus, dass ich keine Worte mehr hatte. Also, dass ich sprachlos bin, passiert mir als Autorin jetzt auch nicht so oft, ja. Aber ich muss doch immer- oder jeder von uns muss doch schauen, ob meine Handlungen anderen schaden. Also wenn meine Veränderung, lediglich mein Leben betrifft, ja, dann fügt das höchstens einem Menschen Schmerzen zu, den ich zum Beispiel verlasse, dem ich vielleicht einen Kummer bereite, ja. Aber kritisiere ich das große Ganze und den Staat und das System und mobilisiere andere gegen das Gesetz vorzugehen, dann sieht es doch schon wieder ganz anders aus. Und ich finde, die Frage können wir heute auch nicht klären, inwieweit die ganzen Proteste im Moment nachhaltig sind. Es ist nur ein subjektiver Eindruck, dass ich das Gefühl habe, die Proteste sind undifferenziert.
Annette Müller: Genau, meine Frage ist, müssen denn Rebellion und Proteste nachhaltig sein, oder können die Proteste auch aufhören, wenn man erreicht hat, was man möchte. Also ich stelle mir jetzt vor, steht bei mir jemand auf dem Fuß, auf meinem Fußzeh, das tut mir weh und ich sage, halt, ich protestiere, das mag ich nicht, geh da runter. Und dann geht der nicht runter, und dann sage ich, hey, dann werde ich lauter und sage, du gehst da jetzt runter. Und dann geht er immer noch nicht runter und dann schubse ich ihn weg. Und in dem Wegschubsen habe ich erreicht, was ich möchte, das heißt, ich habe rebelliert, ich war ungehorsam, ich habe verboten, dass mir derjenige auf dem Fuß steht und ich habe erreicht was ich will und damit ist gut.
Daniela Hillers: Da musst du aber auch natürlich immer betrachten, welcher Sachgegenstand der Rebellion zugrunde liegt.
Annette Müller: Naja, ich meinte ja jetzt meinen Fußzeh.
Daniela Hillers: Ja, natürlich, da kann ich das verstehen, da würde ich auch sagen, lass das sein, ja, das fügt mir körperlichen Schaden zu. Inwieweit die Rücksicht heute aber, die wir auf andere nehmen im Kollektiv, inwieweit das dann wiederum mir persönlich Schaden zufügt, natürlich habe ich im Moment einen Einbußen und ich bin bei Weitem kein Fan dieser ganzen Maßnahmen aktuell. Aber dennoch, ja, also ich stehe dem ganzen sehr, sehr kritisch gegenüber. Und dennoch ist es glaube ich gerechtfertigt, wenn man sich differenzierter mit diesen Protesten beschäftigt. Also es ist sogar notwendig, denn ich halte das häufig wirklich für eine riesige Blase.
Annette Müller: Ja, das ist wirklich sehr interessant und ich finde das sehr spannend, wenn wir eben diese beiden Dinge miteinander vergleichen und vielleicht aus der Vergangenheit lernen und das ins Hier und Jetzt übertragen können. Weil wir leben ja nun mal hier und jetzt und vielleicht bringt uns das ja auch eine gewisse Klugheit, eine gewisse Weisheit und einen Mehrwert und einen Nutzen, wenn wir dann deine Bücher lesen. Also da würde ich mich sehr drauf freuen, also ich habe es auf jeden Fall vor, das finde ich sehr spannend. Kannst du uns bitte nochmal die Titel nennen, Daniela?
Daniela Hillers: Ja, sehr gerne. Ich würde gerne noch eine Sache aber ergänzen. Unser Titel ist ja, von Rebellentum bis Eskalation. Also nicht alles das, was wir als Rebellentum verstehen, schadet ja auch anderen. Also das heißt, eine Eskalation, wie sie gewalttätig stattgefunden hat hier, ist ja weit mehr als ein Rebellentum, indem sich vielleicht auch jemand im Privaten mal für sich auflehnt. Das heißt, was jeder einzelne als Rebellentum oder Eskalation definiert, hängt ja auch von der Persönlichkeit ab. Was für andere vielleicht schon maßlos ist, ist für uns beide vielleicht eher niedlich, dass wir beide lächeln und sagen, wir trauen uns viel mehr zu, weil wir haben ein Abenteurergen in uns. Aber gleichzeitig, wenn wir ein Abenteuer leben, ist das ja auch immer eine Frage des persönlichen Horizontes und unserer Erfahrungen und Erlebnisse. Also nicht jedes Abenteuer ist ja gleichzeitig dann auch direkt ein Schritt hin zur Gewalt.
Annette Müller: Ja, das ist richtig. Und dieses Abenteurertum, diese Abenteuerkultur in der Rebellion, da kann ich mich noch gut dran erinnern, in meiner Jugend hieß es, gehen wir heute auf die Demo, oh ja.
Daniela Hillers: Und das heißt ja nicht, dass du gleichzeitig- oder, dass dein Umfeld gleichzeitig Gewalt ausgeübt hat. Das ist einfach eine Form von Ausdruck seiner Persönlichkeit, zu sagen, ich gehe auf die Straße. Und heute ist es ja auch etwas ganz anderes. Während es damals noch unerhört war, auf die Straße zu gehen, ist es heute ja Gang und Gebe, sodass wir heute das Recht wieder einklagen wollen.
Annette Müller: Das ist richtig. Deine beiden Buchtitel.
Daniela Hillers: Ja, sehr gerne. Das Erste ist, ist das Kunst, oder muss das weg? Die RAF im Spiegel von Gesellschaft und Kultur. In diesem Buch bin ich mit Kultur-Akteuren ins Gespräch gegangen, also das waren Maler, das waren Autoren wie Stefan Aust zum Beispiel, das war der Regisseur Gerd Conrads. Und ich habe mit diesen Menschen darüber gesprochen, inwieweit es notwendig ist, sich für die Entwicklung der Gesellschaft, dem Thema der Roten Armee Fraktion, auch künstlerisch zu nähern. Also ist es nötig, dass wir Bilder malen, dass wir Filme zeigen, dass wir Regie führen in diesen Bereichen, rund um die Rote-Armee-Fraktion. Und das zweite Buch, das ist das grausam laute Schweigen der Roten Armee Fraktion, da bin ich mit zwei Tätern ins Gespräch gegangen, die sich mir sozusagen ein Stückweit verweigert haben und das ganze Buch hat dann eine eigene Dynamik eingenommen, sodass ich aus dem Schweigen mehr Informationen gezogen habe als aus einem ganz normalen, herkömmlichen Interview, das ich ursprünglich führen wollte.
Annette Müller: Das ist sehr spannend. Liebe Zuhörer, ich hoffe der ein oder andere nimmt aus diesem Gespräch etwas mit uns interessiert sich auch für diese Bücher. Brandaktuell, das Leben sozusagen, unser Leben als Rebellion auf der Straße, ist es eine Abenteurerkultur, wie weit geht das zur Eskalation, ist es Rebellentum, inwieweit ist Protest angebracht, wo kann es hinführen. Und ich bedanke mich für das Dabeisein liebe Daniela, es war sehr spannend. Ich glaube wir müssen jetzt auch ganz einfach Schluss machen, obwohl dieses Thema ja doch so viel weitergehen könnte. Also ich fühle mich sehr inspiriert, vielleicht das ein oder andere noch mit dir weiterhin zu vertiefen. Ich danke dir ganz herzlich fürs Dabeisein, ich hoffe es hat dir auch Spaß gemacht, es hat dich auch inspiriert, also mich hat es sehr inspiriert.
Daniela Hillers: Herzlichen Dank Annette, ja, auf jeden Fall. Also ich schätze den Austausch sehr und das ist auch die Triebfeder meiner Arbeit. Letztendlich ist das ja der Motor, der ich antreibt, dass ich mich mit Menschen austauschen kann und reflektieren kann.
Annette Müller: Wunderbar, ja, vielleicht hören wir uns dann hier wieder, zu einer neuen Serie, Podcast Serie, Gedanken zur Menschlichkeit. Vielen Dank, bis dahin, auf Wiederhören.
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