Mademoiselle Lombard und Mademoiselle LeBoeuf

Irgendwann haben mich meine Eltern in ein Internat gesteckt. In Frankreich, 60 Kilometer südlich von Paris. In Fontainebleau. Fontainebleau ist eine wunderschöne kleine Stadt, mit einem herrlichen Schloss, eindrucksvollen Parkanlagen und der Wald ist weltberühmt. Weisse Birken in weissem Sand. Ein Traum! Doch nicht, wenn man sich hinter Internatsmauern befindet. Insbesondere nicht, wenn dieses Internat von ältlichen Fräuleins geleitet wird.

Ich erinnere mich sehr genau an Mademoiselle Lombard – ein große, stämmige Brunette und natürlich so kantig wie sich das für eine Französin gehört, die fast schon etwas von einem Transvestiten an sich hatte. Mächtig schritt sie über den Flur und knallte ihre Pömps mit jedem Auftreten auf den armen Boden, als wolle sie allen hörbar zeigen, dass sie aus einem härten Holz geschnitzt sei als das Parkett. Eine richtig furchteinflößende Person vor der ich höllischen Respekt hatte. Ihre beste Freundin allerdings war eher zart und klein. Sie trug ihr mausblondes, schütteres Haar immer auftoupiert und perfekt gekämmt. Allerdings konnte sie dadurch nicht verbergen, dass sie an Haarausfall litt. Die Kopfhaut glänzte bei jeder Bewegung durch den Filz trotzdem hindurch. Ich konnte sie nicht leiden und fühlte mich angewidert. Auf mich wirkte sie wie eine alte, leicht aufgedunsene schmutzige Puppe aus einem Horrorfilm, mit passendem Namen – LeBoeuf – der Ochse! Ganz besonders abstoßend fand ich ihr Eau de Cologne – stark alkoholische Bergamotte – es verfolgt mich noch heute. Wenn sie durch die Gänge lief hing der Duft noch ewig in der Luft. Die zwei waren ein Gespann wie gemacht für einen Film.

Auch unter Null kein Pardon

Es herrschten rauhe Sitten in diesem Mädchen Internat. Wir mussten alle Röcke oder Kleider tragen, darüber die Schuluniform. Das war ein blauer Kittel. Dazu nette Schühchen. Und das auch im dicksten Winter. In den Schulpausen wurden wir auf den Hof gejagt in die gesunde frische Luft. Selbst 2 Wollstrumpfhosen und dicke Schlüpfer haben die Blasenerkältungen nicht vermeiden können. Nun, ich hatte dennoch Glück, denn im 2. Winter durften wir Hosen tragen.

Diese mussten allerdings eine exakte, adrette Bügelfalte haben. Morgens, am Eingang in den Speisesaal wurde kontrolliert. Da standen dann Mademoiselle Lombard auf der linken Seite und Mademoiselle LeBoeuf auf der rechten Seite und prüften strengstens die Bügelfalten in den Hosen. Wehe diese Falten waren nicht 100% korrekt. Dann hies es zurück in den Schlafsaal und die Hosen richtig bügeln und auf das Frühstück verzichten.

Irgendwie fiel das in meine Zeit der Pubertät! Und ich war wütend! Ich wollte mir das nicht gefallen lassen und ich entschloss mich dazu mich dieser Schikane zu widersetzen. Nur wie? Davon hatte ich keine Ahnung. Aber ich wusste genau, ich werde hier etwas ändern. Das war klar. Nur wie?

Nachdem ich dann kurz auf „Heimaturlaub“ gefahren bin fiel mit die Lösung ein. Ich packte schnell restlos ALLE meine Kleider ein und nahm sie mit. Zuhause besorgte ich mir 3 Paar hauteng genähte Cordhosen, die so eng waren, dass ich sie gerade so mit ach und krach noch anziehen konnte. Dazu ein Paar warme Stiefel ein und einige Pullover. Mehr nicht! Innerlich bereitete ich mich auf das Donnerwetter vor, das mich am ersten Morgen an der Tür zum Frühstücksraum bei der Kontrolle erwarten würde. Sollte ich das wirklich tun? Ich war fast dabei meinen Koffer wieder umzupacken, doch mein Entschluss stand fest. Ich würde siegen, koste es was es wolle. Auf der ganzen Reise nach Frankreich klopfte mein Herz bis zum Hals und am liebsten wäre ich ausgebüxt. In der Nacht zuvor konnte ich nicht schlafen und ich dachte mich in Wut und Rage um hierdurch meinen Mut zu füttern. Wie ein Kämpfer für Gerechtigkeit stand ich am Morgen in der Schlange vor der Tür. Mademoiselle Lombard thronte wie gewohnt links und überprüfte die Bügelfalten der Mädchen sehr genau, Mademoiselle LeBoeuf stand auf der rechten Seite und vergewisserte sich, dass die Bügelfalten der Hosen in ihrer ganzen Länge korrekt waren und lies sich den oberen Teil zeigen, der unter dem Internatskittel verborgen war. An diesem ersten Morgen waren sie besonders streng, wahrscheinlich damit wir von Anfang an wissen wie der Hase läuft. Oh jeh, wie komme ich aus der Nummer raus? Einige Mädels sahen mich erschrocken an und gingen auf Abstand, andere kicherten. Die Luft wurde immer dicker und schließlich war ich an der Reihe. Da stand ich nun – trotzig und rotzig und so richtig auf Krawall gebürstet… ich sah wie Mademoiselle LeBoeuf noch blasser wurde als sie eh schon war und wie sie entsetzt und hilfesuchend Mademoiselle Lombard ansah…. was sollte sie tun? Beide starrten mich an und holten Luft, da rief ich kämpferisch – „Ich habe nichts anders mitgebracht!“ Mademoiselle Lombard, das Alphamädchen hielt kurz inne, dann winkte sie mich durch. Mit einem hörbaren Schnaufen blickte sie mir hinterher…. merkwürdig – sollte ich da so einen Anflug von Anerkennung in ihrem Blick erhascht haben? Nein, das konnte unmöglich sein. Später allerdings verriet mir meine private Französischlehrerin, die mich sehr mochte, dass sie zu ihr gesagt habe, dass ich es im Leben wohl mal sehr weit bringen würde.

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